Erstes österreichisches Gutmenschentheater – Cabaret Dada de Salzbourg

Schmeißt die Gläser an die Wand, Nonsens ist ein schönes Land

Vor den Kulissen, hinter den Kulissen und über die Sprache hinaus – das ERSTE ÖSTERREICHISCHE GUTMENSCHENTHEATER begeistert bei seiner Premiere mit einer surrealistisch-grotesken Inszenierung gegen die eigene Abschaffung. Wunderbar, Nachschlag erbeten.

‚Gutmenschen’… das ist eines dieser Worte, die gar keine richtigen Wörter sind. Eigentlich handelt es sich dabei ja um ein Unwort, wenngleich Unwort das größte aller Unwörter ist. Bei den Gutmenschen liegt das aber weniger an der Form als an der bedauerlichen Konnotation. Die besagte Komposition reist nämlich niemals alleine, sondern immer nur mit zentnerschwerem Gepäck voller hämischer Beitöne. Der Titel von Bernadette Heideggers Inszenierung ist vielleicht auch gerade deshalb bereits programmatisch aufzufassen: „ERSTES ÖSTERREICHISCHES GUTMENSCHENTHEATER. Ein Abend gegen die eigene Abschaffung – grotesk, absurd und ganz, ganz gut gemeint.“ Die Produktion rebelliert auf höchst vergnüglich-spannendem Niveau gegen althergebrachte Theater- und andere Werte und hält damit Zuschauervolk wie sich selbst einen eindrücklichen, weil wirren Spiegel vor (Regie: Bernadette Heidegger, Musik: Benjamin Baierlein, Bühne: Ragna Heiny).

Es gibt nicht’s, was es nicht gibt, und wir selbst stehen im Fokus der Aufmerksamkeit, scheint das Credo des GUTMENSCHENTHEATERS . In dem Sinne hat sich die Schauspieltruppe, die sich ‚Cabaret Dada de Salzbourg‘ nennt, der (ja, wir ahnen es) Nonsens-Kultur verschrieben. Tatsächlich fließt aber auch Michail Bachtins propagierte Lachkultur mit ein. Die verbindet sich auf elegante Weise mit den Klischees rund um den Theaterbetrieb. Vier Schauspieler*innen treffen sich bei der Probe und suchen in stereotyper Rollenspiel-Manier Plätze, an denen sie sich wohlfühlen, akzentuiert von Tönen, die ihren Gefühlen entsprechen. Was nach einer einfachen Sache klingt, kann beim GUTMENSCHENTHEATER nicht lange gut gehen – stattdessen invertiert es ins humorige Gegenteil. Während sich Gottlieb (Volker Wahl) als liebenswerter Adrian Monk der Bühnenzunft entpuppt, der partout nicht von seinem Plan abweichen möchte und persistent auf die korrekte Reihenfolge beharrt, nimmt Lebemann Reinhard (Stephan Lewetz) nichts und niemanden ernst. Bianca (Katharina Pizzera), begabt mit einer sehr kurzen Aufmerksamkeitsspanne, tänzelt derweil kokett um ihren Stuhl herum und Helga (Sophie Hichert) – tendenziell verklemmt – mahnt bieder zur Aufmerksamkeit. Das mit der Selbstfindung klappt für die Figuren also nur semi-optimal, erstaunt aber auch nicht. Schließlich gibt es an diesem Abend nichts, was es nicht gibt, und alles, was es gibt.

Dabei geht das ERSTE ÖSTERREICHISCHE GUTMENSCHENTHEATER in die kreativen Vollen. Es sind kafkaeske Züge, die sich auf theatrale Weise entfalten. Statt der Suche nach der korrekten Tür hält Helga nach der richtigen Ansprechperson Ausschau. Schließlich habe ihr der Intendant so einen eindeutig-zweideutigen Blick zugeworfen, wie sie Bianca gesteht. Ob sie darauf einsteigen solle, um die Rolle zu ergattern? Nonchalant kaut Bianca auf ihrem Kaugummi herum und hört ihr kaum zu, nur um Helga dann doch wieder zuzuhören, und das eben Gesagte zu revidieren – dicht gefolgt von einem Kaugummi gekautem „was hast du gesagt?“. Gleich darauf ein Déjà-vu, Gottlieb wendet sich mit dem gleichen Problem an Helga. – Der Zuschauerinnen-Kopf surrt vor lauter grotesk-komisch-surreal-spannender Eindrücke, die doch wieder herrlich normal sind. Weitere Gedanken an Kafka tauchen auf, wenn Reinhard mitten im Spiel – nein, zwar nicht zum Käfer wird, aber immerhin verschwindet. Oder sind es doch eher Parallelen zur fantastisch-surrealistischen russischen Literatur? Figuren tauchen plötzlich auf, die vorher nicht da waren. Ein Musiker (Benjamin Baierlein) sitzt hinter dem Piano und starrt mit sturem Blick unbewegt geradeaus, während die anderen mit weit aufgerissenen Augen ins Publikum blicken – schaurig schön.

Dada verpflichtet. Deshalb dürfen auch Wortspiele und der Anti-Kunst-Charakter eines Cabaret Voltaires – dem Schweizer Geburtsort des Dadaismus – inklusive gesungenen Einsprengseln nicht fehlen. Das Cabaret Dada de Salzbourg hat zwar noch kein eigenes Haus, das mit den Sprachspielen und onomatopoetischen Jonglagen beherrscht es aber schon recht fein. Deshalb erhebt es Theater zur programmatischen Kunstform, die sich im Augenblick der Erkenntnis ihrer Importanz selbst wieder humorig dekonstruiert. Freilich zieht sie es nie ganz durch; noch während des Auflösungsprozesses erhebt sie einmal mehr und das Spiel kann von Neuem beginnen.

Es mag verwundern, aber die mitunter scheinbar sinnlos aneinandergereihten Szenen ergeben erstaunlich viel Sinn. Genau genommen erschließt sich dieser in seiner ganzen Opulenz erst mit den finalen Worten der Darsteller*innen. Auf einmal fällt es wie Schuppen von den Augen: Der rote Faden, da ist er.  Am besten wäre jetzt eigentlich gleich nochmals in die Vorstellung zu gehen, mit dem Wissen um davor. Großartig – und ähnlich faszinierend wie die russischen Sprachkünstler.

 

Fotonachweis: Andreas Hechenberger

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