Farm der Tiere – Landestheater Salzburg

Düsteres Maske wechsle dich Spiel auf der „Farm der Tiere“.

George Orwells dystopische Fabel hat viele Facetten und im Salzburger Landestheater auch einen Hauch von Origami. Faszinierend, erschreckend und gerade deshalb absolut sehenswert: FARM DER TIERE.

Zu behaupten, dass George Orwell politisch interessiert war, wäre maßlos untertrieben. Nicht von ungefähr prägte den englischen Literaten schon lange eine große Abneigung gegen totalitäre Systeme. Unterdrückung jeglicher Art war ihm ein Dorn im Auge. Und was macht ein politisch engagierter Schreiberling in so einer Situation? Genau, er greift zur Feder und bringt seinen Missmut zu Papier (oder in Orwells Fall vermutlich Schreibmaschine). In Form seiner dystopischen Fabel „Farm der Tiere“ prangerte der Autor die Fehler des Menschseins an. Getarnt in tierische Hüllen warnte George Orwell vor den kommunistischen und faschistoiden Auswüchsen. Aktuell ist dieser Liebling der schulischen Kanons am Landestheater zu sehen (Inszenierung: Oliver Wronka, Bühne und Kostüme: Nina Wronka, Dramaturgie: Angela Beyerlein, Anna Lukasser-Weitlaner).

Tiere Öst’reichs und Europas!

Der Bauer (Gero Nievelstein) torkelt sturzbetrunken durch den kleinen Saal der Kammerspiele. „Old MacDonald had a farm, e i e i o“ grölt er vor sich hin. Immer fahriger werden die Zeilen, dann  verschwindet der Bauer im Eingang der „Herrenfarm“. Alles ist weiß. Die Schauspieler eilen in Weiß gekleidet durch den Saal. Weiß die Haare, während sie sich geschäftig formieren und Tiermasken über die Köpfe stülpen; die sind selbstverständlich ebenfalls weiß. Irgendwie erinnern sie an überdimensionale Origami-Kunstwerke, die sprechen. Die weißen Tiere wenden sich kumpelig konspirativ an das Publikum. Revolution lautet das Credo. Durcheinander und doch als großer Chor verteilen sie emsig Zettelchen. Das Volk soll schließlich einstimmen können in den Ruf nach Freiheit und Demokratie (Musik „Tiere Öst’reichs“: Richard Kristen).
Es sind starke Eindrücke, mit denen Oliver Wronkas Inszenierung beginnt. Mit zeitgenössischer Note und ambitionierter Regie-Handschrift erweckt er George Orwells tierischen Unort zu neuem Leben. Die Stimmung ist euphorisch, Umsturz und Tatendrang liegen in der Luft.

Animalischer Wahnsinn und künstlerische Leistung

Die Schauspieler*innen leisten Hervorragendes, denn O. Wronkas FARM DER TIERE setzt auf doppelte oder gar dreifache Besetzung der verschiedenen Charaktere. Die Spieler*innen schlüpfen deshalb in die unterschiedlichsten tierischen Rollen und lösen sich gegenseitig elegant aus anderen Parts ab. Der Effekt ist beachtlich. Schnell ist vergessen, dass da vorne tatsächlich eigentlich Menschen auf der Bühne stehen. Faszinierend ist übrigens auch die Fähigkeit, immer genau über den jeweiligen Masken-Aufenthaltsstandort Bescheid zu wissen. Die werden gefühlt im Minutentakt aufgehängt, abgehängt oder weitergereicht. Der permanente Maskenwechsel funktioniert nicht nur fließend, sondern erhält gerade durch den Eindruck der spielerischen Leichtigkeit choreographische Reminiszenzen. Zusätzlich akzentuiert wird der starke Eindruck durch Schauspieler*innen, die sich sprichwörtlich mit jeder Faser ihres Körpers in die jeweiligen Rollen einfühlen.
Das düstere Maske wechsel dich Spiel eröffnet aber noch weitere Interpretationsflächen: Tiere aka Menschen sind austauschbare Masse. Im Umkehrschluss könnte jede*r Opfer oder Täter*in sein. Wird der Faden weiter gesponnen, wählt jede*r – je nach Grad der Partizipation – seine*ihre eigene Rolle. In eine ähnliche Kerbe schlägt O. Wronka, wenn er die Tiere in identischen Kostümen aufspazieren lässt. „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ lautet das berühmte Zitat aus Orwells Klassiker. Vermutlich ist das auch der Grund, warum die Schweinemasken dann doch ein klitzekleines bisschen von den restlichen Masken differenzieren. Ein graues Ohr hier, ein Streifen auf der Nase dort (haben Schweine eigentlich Nasen und nennt man das überhaupt Nase?), schnell wird klar, wer „gleicher“ ist.

„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“

Jede Geste sitzt, wenn Gregor Weisgerber zur robusten Kuh mutiert oder als Jungschwein mit Gregor Schulz vor Energie und Übermut strotzt. Letzter scharrt als Pferd Boxer ungeduldig mit den Beinen und schnaubt immer wieder voller Tatendrang vor sich hin. Gleichzeitig werden Hände zu Hufen geformt und keinen Augenblick auf jede noch so kleine tierische Nuance vergessen (Körpertraining: Verena Pircher). Elisa Afie Agbaglah und Sabrina Amali gackern sich hervorragend und mit vielen kleinen Hühner-Ticks amüsant durch ihr Hennen-Dasein. Kurz darauf bewerfen sie die gierig gewordenen Schweine mit ihren Eiern. Gero Nievelstein ist ein gemütlich kritische Esel Benjamin, der sich von Politik distanziert. Irgendwann ist das nur leider nicht mehr möglich und dem bejahrten Esel mit den Kassandra-Tendenzen wird langsam Angst und Bange. Herrlich eitel Stute Mollie (E. A. Agbaglah), die sich nur ungern von ihren hübschen Bändchen in der Mähne trennt und beim ABC nur die Buchstaben zu ihrem eigenen Namen lernt.

Orwell goes 21. Jahrhundert

Oliver Wronka prangert mit seiner Inszenierung totalitäre Systemen im unschuldig weißen Farbton an und demaskiert sie gerade mit diesem Hang zur Ironie. Ziemlich rot hingegen ist das Kunstblut, das die Wand hinabfließt, nachdem die ersten „Kameraden“ von den Schweinen geopfert wurden. Dem Regisseur gelingt ein exzellenter Spannungsbogen; tatsächlich ist es faszinierend, wie sich das gemeinschaftliche Streben nach Freiheit und Demokratie schleichend wendet. Bühnenbild, Kostüm und Schauspiel bilden dafür eine gelungene Einheit. Zwischendurch sorgen Videoeinspielungen für einen zusätzlich zeitgenössischen Anstrich (Videoschnitt: Flora Hölzl). Wobei die Lyrics der aggressiv aus den Lautsprechern tönenden Folk Punk Songs meistens in spannender Analogie zu den filmischen Sequenzen stehen. Trotzdem scheinen die drastischen Bilder zu Massentierhaltung und Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft dann doch zu ambitioniert. Oder erzwungen didaktisch? Tatsächlich sind die bestehenden 80 Theater-Minuten bereits zum Bersten mit weisen Botschaften gefüllt. Noch einer zusätzlichen Nachricht an das Publikum hätte es nicht mehr bedurft.

Die FARM DER TIERE ist zeitgenössisch, intensiv und erschreckend. Tatsächlich wird das Sujet vermutlich leider niemals an Aktualität einbüßen. Am Landestheater Salzburg sensibilisiert die Inszenierung dafür bereits vorsichtshalber neue Generationen für die Demaskierung amoralischer Abgründe und totalitärer Systeme. Eine Produktion, die garantiert zum Nachdenken anregt. „Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war.“ (George Orwell, „Farm der Tiere“)

 

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Salzburger Landestheater

 

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