Drama, baby, drama!
Norwegische Dramatik weht durch das Studio im Schauspielhaus Salzburg: Henrik Ibsens HEDDA GABLER ist da (Regie: Charlotte Koppenhöfer).
Hedda Gabler hat ein Problem. Die standesbewusste Tochter des ehrenwerten Generals heiratet den intellektuellen Bücherwurm Jørgen Tesman. Bereits auf ihrer Hochzeitsreise erkennt sie ihren Irrtum. Tesman ist als positivistischer Kulturwissenschaftler keineswegs in der Lage, der aristokratischen Ästhetizistin das gesellschaftliche Leben zu bieten, nachdem es sie dürstet. Statt in hochwohlgeborenen Kreisen findet sich Hedda im kleinbürgerlichen Milieu wieder, bei Tesman und seinen Tanten. Als ihr ehemaliger Geliebter Ejlert Løvborg in der Stadt auftaucht und mit ihm Thea Elvsted, die für Ejlert ihren erheblich älteren Ehemann verließ, intrigiert Hedda eifersüchtig. Da kommt ihr das verschwundene Manuskript ganz gelegen, das Ejlert und Thea gemeinsam kreierten. Außerdem ist da noch Brack, der Richter, dessen Verhältnis mit Hedda ebenfalls ins Amouröse tendiert.
Newsflash: Kunst = N² – x
Henrik Ibsens Drama strotzt nicht nur vor Dreiecksbeziehungen, sondern setzt auf die Demaskierung sozialer und gesellschaftlicher Normen. K = N – x schrieben sich die Naturalisten einst auf ihre Banner. Ch. Koppenhöfer übertrug das Konzept in die Moderne und hebt es eine Stufe höher. Kunst ist fortan gleich Natur hoch Zwei minus die Unzulänglichkeit des Materials und die Subjektivität. Heute dominiert das hyperrealistische Geschehen. Die Methoden von Ibsen und seiner Naturalisten-Freund*innen sind bereits wieder passé. Auf der Bühne prävaliert deshalb auch ein gigantisches Stahlgerüst, das zum Klettern einlädt. Was an einen wunderbaren Trainingsparcours für ambitionierte Schauspieler*innen erinnert, ist vermutlich weniger der sportlichen Ertüchtigung als der Chiffre für die kleinbürgerliche Welt gezollt, in die Hedda gerät. Sie kann aus den beschränkten Wänden nicht ausbrechen und der Stahlkäfig wird zu ihrem Gefängnis (Ausstattung: Julie Weideli, Video: Michael Winiecki, Dramaturgie: Christoph Batscheider).
Das HEDDA GABLER-versum
In die Rolle der Hedda schlüpft eine wunderbar gelangweilte Alexandra Sagurna, die die noble Nase über die kleinbürgerlichen Tanten rümpft. Ihre Ennui wird von der Freude unterbrochen, eben diesen Kränkungen zuzufügen. Das ist einfach, da Jørgen Tesmans Tanten in den ärmlichen bürgerlichen Verhältnissen verortet sind, von denen sich die gesellschaftlich erhaben fühlende Hedda distanziert. Fräulein Juliane (Ute Hamm) ist dabei dank stählernem Bühnenbild-Gestänge nicht nur extrem kletterfreudig, sondern auch amüsierend süffisant. Spitzen hageln auf Hedda ein, prallen aber ohne merklichen Schaden an deren kühler Fassade ab.
Ibsen nannte seine HEDDA GABLER nie eine Tragikkomödie, aber in genau diese Richtung inszenierte Ch. Koppenhöfer das Bühnengeschehen. Wobei vermutlich vielmehr von tragikkomischen Brüchen gesprochen werden sollte. Denn sie blitzen phasenweise auf und verlaufen sich immer wieder in der großen HEDDA-Dramatik. Mitunter darf auch Tesman (Magnus Pflüger mit Verve und intellektueller Präzision) im heiteren Teil mitmischen. Betrunken taumelt er nach dem nicht ganz bacchantischen Gelage und ohne Weinlaub im Haar durch ein Labyrinth aus Metall und hängt elegant von einer Stange, mit dem Handschuh am Fuß. So ganz zuordenbar ist Tesman aber nicht; es sind die ironisch-zynischen Pfeile, die die Figur immer wieder verschießt und die für einiges Amüsement im Zuschauerraum sorgen. Gleichzeitig lassen sie ihn schwer fassbar werden und erinnern an einen Ejlert Løvborg. Der ehemalige Geliebte und Seelenfreund Heddas (Matthias Hinz als Künstlertyp ohne Beherrschung und Disziplin) glänzt mit seinen literarischen Schriften und einem hitzigen Temperament. Den Freitod verdirbt er sich dafür gigantisch, sehr zu Heddas Leidwesen. Vielleicht hätte das auch einfach Tesman übernehmen sollen. Den interessanterweise erinnert in Ch. Koppenhöfers Regiearbeit Løvborg an Tesman. Verkehrte Bühnenwelt.
„… so etwas tut man doch nicht!“
Ibsen, der naturalistische Pre-Feminist, verhalf in seinen Dramen Frauen zu neuen Positionen und heimste deshalb ordentlich Kritik ein. Seine beinahe emanzipierte Hedda darf ebenfalls dem Machttrip frönen und ist die treibende Kraft im analytischen Enthüllungsdrama. Die Position lässt die arrogant ennuyierte Hedda erblühen und die verhasste Langeweile abstreifen. Zu Tage tritt ein Hang zu Grausamkeit und Dominanz („Ich will ein einziges Mal in meinem Leben die Herrschaft haben über ein Menschenschicksal“). Eine beängstigende Tendenz, die freut, keine Hedda Gabler im eigenen Bekanntenkreis zu wissen. Dieses Glück hat Frau Elvsted nicht (Christiane Warnecke mit Schwäche für Eljert Løvborg). Die Figur ist scheu, aber gleichzeitig unglaublich diszipliniert, verletzlich aber trotzdem beherrscht. Als ganz und gar selbstbewusst erweist sich Olaf Salzers Richter Brack; scharfsinnig und präzise ist dieser Richter, der immer wieder unvermutet aus der Dunkelheit des Bühnenbilds auftaucht und plötzlich im Raum steht. Eine in der Tat etwas unheimliche Eigenschaft, die seinen scharfen Verstand wunderbar akzentuiert. Es ist der Richter, der Heddas Pistole in Løvborgs Hand erkennt. Seine Erpressung geht allerdings schief. Oder auch nicht, ist Hedda Tesman doch keine Figur, deren Verlust man*frau in Wehklagen verfallen lässt. Als Hedda Ejlerts Fehler mit der ihr noch verbliebenen väterlichen Pistole korrigiert, springt die leicht erschreckbare Zuschauerin beinahe aus ihrem Theaterstuhl. „… so etwas tut man doch nicht!“
Text, Text, Text … und Farbe
Ch. Koppenhöfers Interpretation ist zum Gros in moderner Reduktion verortet, die aber verbal für wenig Furore sorgt. Das vorhandene Textmaterial wird von den Schauspieler*innen zwar wunderbar dargeboten, aber sollte der hyper-zeitgenössische Zugang des Regiewerks gerade bei einem sprachverliebten naturalistischen Text-Konvolut nicht konsequent auf allen Ebenen zelebriert werden? Sprache als lebender Organismus also, der nie stillsteht.
Dafür sind Hände und Haaransätze der Protagonist*innen in Lila getüncht. Das Farbspiel bietet eine divergente Interpretationsfläche und bringt die Verderbtheit der Gesellschaft visuell nachdrücklich zum Ausdruck. Farbe als Chiffre für das soziale und menschliche Elend und die Tatsache, dass keine der HEDDA GABLER’schen Figuren den ersten Stein werfen sollte. Sie würden vermutlich meistens den Kürzeren ziehen. – HEDDA GABLER also oder ein Abend, der mit wunderbaren Schauspiel erfreut und zum Nachdenken anregt. (Außerdem will ich auch so ein Klettergerüst!).
Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg