Es ist drückend schwül, als wir uns an diesem tatsächlich sehr (SEHR) warmen Juli-Abend auf den Weg zum Künstlerhaus begeben. Die Grillen zirpen und die Nachtigall schreit. Natürlich tut sie das nur im übertragenen Sinn, vermutlich ist der frühe Abend ohnehin nicht ihre Tageszeit. Ich gebe zu, das Nachtigall-Bild soll eigentlich als Überleitung dienen, ist an dieser Stelle unabdingbar und hoffentlich nicht zu bemüht. Tatsächlich befinden wir uns nämlich gerade auf den Weg ins alternative Sommerkino „Zur schreienden Nachtigall“. Ihre Rufe sind nur schwer zu überhören, oder vielleicht liegt es auch am richtigen FB-Freundeskreis. Die Mitteilungen häufen sich jedenfalls seit geraumer Zeit und irgendwann siegt die Neugierde über die Bequemlichkeit (Feierabend, jetzt wirklich noch einmal aufraffen?).
Zur schreienden Nachtigall. – Das cineastische, ambitionierte Projekt entwickelte sich aus einer Kombination des Musikfilm-Festivals MY Sound of Music mit dem Künstlerkollektiv des Bureau du Grand Mot. Es ist klar, dass soviel geballte Kreativität irgendwo ein Ventil finden muss. Das daraus entstandene Filmfestival verspricht deshalb spannende Einblicke, internationale Musikfilme und niveauvolle kulturelle Unterhaltung. Das alles übrigens bei freiem Eintritt und mit entsprechend abgestimmter Verköstigung vor Ort.
Wir suchen uns ein hübsches Plätzchen auf der Wiese. Die Vorfreude steigt allmählich, die Atmosphäre ist großartig. Vor allem nachdem sich die unheilvollen gelben Wolken und der drohende Regen unverrichteter Dinge verzogen haben. Trotzdem ist Geduld gefragt, bevor der Hauptfilm beginnt. Die Zeit lässt sich wunderbar mit Musik und kleinen Vorfilmen verkürzen, oder plaudernd den lauen (extrem schwülen) Sommerabend genießen. Rum-Cola irgendwer?
„Hit me with Music“ ist ein Volltreffer ohne Schmerzen. Jamaika 30 Jahre nach Bob Marley besticht mit seiner divergenten und tanzfreudigen Musik-Szene. Jelly Brain, Yellowman, Sickinhead sind nur ein paar der bunten Künstler-Exemplare, die im Zuge des Musikfilms, der an eine Reportage erinnert, ohne allerdings wirklich eine Reportage zu sein, in den Fokus rücken und das Wort ergreifen. „Hit me with Music“ ist ein ansteckend enthusiastischer Film über das Tanzen und über Jamaika, der berührt. Er versprüht unendlich viel Lebensfreude, macht Lust auf die Insel und scheut gleichzeitig nicht die weniger pittoresken Seiten der Dancehall Culture und ihre Probleme aufzuzeigen. Unaufdringlich, neutral und ohne moralische Beeinflussung darf sich die Zuschauerin selbst ihr Bild der jamaikanischen Geschichte und Gesellschaft bilden und erfreut sich übrigens absolut am Pidginenglisch der euphorischen KünstlerInnen.
Die Atmosphäre des Filmfestivals auf dem Rasen vor dem Künstlerhaus ist tatsächlich einnehmend, das Programm ansprechend; einfach nur die Seele baumeln lassen und das Leben genießen. Dabei gerät sogar die Filmauflösung in Vergessenheit, die durch die Projektion auf die große Leinwand etwas in Mitleidenschaft gezogen wird. Fast schon könnte man sich in Jamaika wähnen (fast, ich sagte fast 😉 ). Langsam neigt sich allerdings auch dieser Abend seinem Ende zu. Die ersten BesucherInnen verlassen bereits das Gelände. Der unvermutet aufkommende Wind versüßt die letzten Filmminuten und findet ein dankbares Publikum. So soll Sommerkino sein.
Die Nachtigall wird übrigens noch zweimal ihren Schrei erschallen lassen. Für Langplaner, Kurzentschlossene, Nochniedagewesene und Wiederholungstäter bietet sich am 28. Juli und 04. August (noch einmal) die Chance, in andere Welten einzutauchen und das sommerliche Kinoflair zu genießen.
PS: Falls es regnen sollte, gibt es eine Ausweichmöglichkeit. Wie praktisch (für alle, die aus Zucker sind – wie ich – und das Equipment).
Fotonachweis: (c) Zur schreienden Nachtigall.