Improvisiere sich wer kann: Die Kammeroper Salzburg mischt die Opernszene auf
Oper. Für die kulturelle Elite eine Freude und für den Rest der Welt? Bisweilen ewiges Stillsitzen auf viel zu engen Stühlen, um einem Plot beizuwohnen, der seine Hochzeit vor 300 Jahren erleben durfte und dessen inbrünstig intonierte Dialoge selten verständlich das Ohr des Auditoriums erreichen. Nebenbei sterben die Figuren wie die Fliegen, aber so langsam, dass man bereits im zweiten Akt verzweifelt und sich im dritten Akt irgendwohin wünscht, aber bitte bloß nicht in den vierten. Apropos Zeit. Nämlich um aufzuräumen. Das genau ist das Stichwort für die Kammeroper Salzburg. Hinter dem scheinbar altehrwürdigen Siegel verbirgt sich die idealistisch euphorische Idee: Opern für dich, mich und jedermann.
Dann sollen sie doch Oper besuchen
„Wir wollen Leute zur Oper holen, die noch nie dort waren oder eine innere Blockade dazu haben“, bringt es Konstantin Paul auf den Punkt. Der künstlerische Leiter ist Theatermacher aus Leidenschaft und glaubt fest daran, dass Oper mehr kann als nur älteres Klientel zu bespaßen. Gemeinsam mit Gordon Safari (musikalischer Leiter) und Michael Hofer-Lenz (Leitung Ausstattung) hatte er bereits 2020 die Idee zur Opernrevolution. „Oper, wie du sie noch nie erlebt hast“, erklärt Paul begeistert. Dafür habe man sich für die Impro-Form entschieden. Impro, das kennt jeder. Schauspieler*innen improvisieren spontan und meistens nach Wünschen des Publikums. Im deutschsprachigem Raum inzwischen eher rar, erfreut sich Impro aber in der freien Szene großer Beliebtheit. Warum also nicht auch auf die Oper anwenden? Die Kammeroper Salzburg hat ein Faible für Experimente und wagt sich jetzt an diese freie fluide Form der Inszenierung.
Kammeroper Salzburg: Die hohe Kunst des Zuhörens
„Wir hatten bereits drei musikalische Proben“, verrät Gordon Safari, „und ja, letzte Woche auf der Fahrt zur Probe hatte ich schon leichte Bauchschmerzen, weil jede*r einen anderen Zugang zur musikalischen Improvisation hat. Das beginnt bereits bei der Stilistik. Die einen näher sich mit Jazz an, die anderen mehr über Geräusche, ich selbst bin eher klassisch geprägt. Aber, und das ist das absolut Erfreuliche, wir sind mit dieser unglaublichen Offenheit an die Thematik herangegangen und haben einfach zu experimentieren begonnen. Sprich, was passiert, wenn irgendjemand einen Ton etabliert und nach und nach alle einsteigen, vorerst noch ohne Text. Das war ein sehr faszinierender Moment und es entwickelte sich eine spannende Klanglichkeit. Vom jungen Berg bis zur absoluten Hochromantik und dabei so viel chromatische Bewegungen. Wir haben auch gemerkt, dass die hohe Kunst im Kollektiv das Zuhören liegt. Um zu spüren, wann wer dran ist. Wann es vielleicht Sinn macht, dass eine Situation gebrochen wird, man sich zurückhält oder auf etwas einsteigt, was der oder die Kolleg*in bereits vorher angelegt hat.“
What a feeling: Kammeroper Salzburg
Die Improvisation hört sich für das Publikum so einfach an, vom Ensemble erfordert sie aber Empathie und Know-how, damit es sich schnell auf Tonarten einigt oder die Vorgaben aufgreift, erklärt Gordon Safari. „Das hätte ich in dieser Qualität nicht vermutet, auch wenn ich die Musiker*innen natürlich schon bewusst danach ausgewählt habe, dass sie harmonieren.“ Die Faszination ist das Unberechenbare. Aktuell liegt noch eine Woche voller Proben vor Ensemble und Team, ehe die Uraufführung am 19.2 um 19:00 im ‚Living Room‘ stattfindet. „Alles ist möglich“, antwortet Konstantin Paul auf die Frage nach der Impulskontrolle. „Es könnte ein wahnsinnig schönes Streitgespräch entstehen, wo beide aneinander vorbeisingen oder vorbeisprechen. Dann wäre es szenisch betrachtet ein Fall von Der-stärkere-Gewinnt.“ Gordon Safari sieht hier auch schon die nächste Stufe verortet. „Es könnten sich Pärchen zwischen Instrumentalist*innen und Sänger*innen bilden. Wir müssen nur aufpassen, dass in einer Ensemble Szene nicht alle durcheinander singen. Das funktioniert einmal, aber darf natürlich kein permanenter Zustand werden. Zum Glück haben wir ein sehr gutes Feeling in der Gruppe und konnten es schon austarieren.“
Anonymes Voting
Impro inkludiert meistens auch das Publikum. Und hier wird es lustig. Denn abstimmen darf das Publikum und zwar nur das Publikum (es sei denn, das Publikum kneift, dann ist auch ein Plan B vorhanden). Wer jetzt Partizipation fürchtet, keine Angst. Hier muss niemand die Hand heben oder ins Mikro sprechen. Stattdessen werden die Wünsche und Vorlieben auf Bierdeckeln notiert und abgesammelt. Danach wird ausgelost, wie es weitergeht. Das Publikum sitzt inzwischen entspannt an seinem Tisch und darf am Wein nippen, Bier trinken oder sich am Kaffee laben. Kurzum Dinge tun, die an einem herkömmlichen österreichischen Opernhaus schlicht unmöglich wären.
Auch wenn die Premiere erst die Tage folgen wird, das erste Resümee macht Lust auf die Improv Night der Kammeroper. „Ich habe selten nach einer Probe die Kollegen*innen sagen hören, das ist ja Wahnsinn, was hier abgeht und zwar unabhängig voneinander“, schwärmt Safari. „Diese Euphorie im Ensemble ist tatsächlich ungewöhnlich. Denn in musikalischen Proben geht es meistens nur darum: Haben wir dieses Problem geklärt, haben wir jenes Problem geklärt, ist das save fürs Konzert usw. Das ist hier überhaupt nicht der Fall. Und die Begeisterung ist so spürbar und wird sich zu einhundert Prozent auch auf das Publikum übertragen. Ich glaube, man verpasst wirklich was, wenn man sich das entgehen lässt.“
Fotonachweis: Kammeroper Salzburg
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