Barockes Coming-Home
Das Theater ecce läutet das Ende des Sommers mit der Wiederaufnahme einer Volkskomödie des „dänischen Molières“ Ludvig Holberg ein: JEPPE VOM BERGE, im einmaligen Setting des Salzburger Heckentheaters – ein Erlebnis.
Es ist laut, es ist zottig und ziemlich tragisch – genau darin liegt auch die Komik von Ludvig Holbergs „Jeppe vom Berge“ begründet. Reinhold Tritscher inszenierte den Liebling des dänischen Theaters anno 1722 neu und brachte die hauseigene Wiederaufnahme auf die barocken Bretter des Salzburger Mirabellgartens. Das trifft sich gut, schließlich wird Holbergs Stück gerne mit genau dieser Epoche assoziiert. Die, so der Konsens, habe den Autor maßgeblich beeinflusst. Das mag stimmen und die Commedia dell’arte-Faszination – auch die wird Holberg unterstellt – bereitet dann mental schon auf die derbe Komik vor, die vom ersten Augenblick das Geschehen dominiert.
In aller Plot-Kürze
Jeppe vom Berge ist ein Bauer, dem das Schicksal übel mitspielt: Seine Frau schlägt ihn, der Wirt betrügt ihn und der Religionslehrer setzt ihm zu allem Überfluss auch noch Hörner auf. Kurzum, Jeppe hat es nicht leicht. Deshalb ist er auch längst dem Alkohol verfallen. Als Jeppe wieder einmal das ganze Geld vertrinkt und benebelt einschläft, kommen zufällig der Baron und seine Spaßgesellschaft vorbei. Das fidele Trüppchen plant einen üblen Scherz auf Jeppes Kosten; sie lassen den Bauern seinen Rausch ausschlafen und reden dem Ahnungslosen dann ein, er sei ein Baron. Zum Erstaunen aller entwickelt der frisch geadelte Jeppe ein herrisches Wesen und schmiedet bereits die ersten Hinrichtungen aus den Reihen seines avancierten Hausstands. Das Amüsement ist groß, ehe Jeppe zurück in den Schlaf und sein jämmerliches Dasein befördert wird.
Klein und kompakt: das Bühnenbild hält
Die Moral von Holbergs Geschichte ist so klar, wie sie retrospektiv in der Moderne nur klar sein kann: Der Geknechtete erhebt sich und ist um keinen Deut besser als seine Unterdrücker; gleichzeitig wird er in die Schranken gewiesen – der Bauer soll wissen, wo sein Platz ist. Klar, dass diese Vergleiche im zeitgenössischen Kontext überholt wirken, deshalb inszeniert Reinhold Tritscher auch gekonnt an antiquierten Klischees vorbei (Bühne: Alois Ellmauer, Kostüme: Nora Fankhauser, technische Leitung: Simon Habl, Choreographie: Beata Milewska). Der Ort von JEPPE VOM BERGE ist nicht festgelegt, aber die Volksnähe des „dänischen Molières“ bleibt. Wie um das zu unterstreichen, erhebt sich ein zeitloses Bühnenbild im wunderbaren Ambiente des Heckentheaters, das nicht nur puristisch, sondern auch extrem stabil ist. Das scheint auch dringend notwendig, denn selten wurde die Kulisse so gemartert und hielt trotzdem stoisch stand, wie in JEPPE VOM BERGE. Da fliegen die Holzscheite und hageln die Tritte – die Wand steht und birgt erstaunlich viele versteckte Extras. Volksnähe und eine Verhaftung im Nirgendwo und Überall – kurzum, Internationalität – suggerieren auch die musikalischen Einsprengsel; die beiden Musiker Rupert Bopp und Muamer Kebic geigen oder hauen in die Tasten, was das Zeug hält. Egal ob volkstümliche Weisen, Stücke, die jiddische Reminiszenzen tragen, polnisches Liedgut und noch vieles mehr, wenn sie nicht gerade die Geräuschkulisse für die Hirschkuh im Dirnl (wunderbar kreativ Beata Milewska) mit Nonsense-Sprech nach Minions-Fasson liefern.
Elektro-Pop im Heckentheater
Musik spielt in Tritschers Inszenierung eine dominante Rolle und wird zum Transporteur der tragisch-heiteren Erregungen. Die Hauptrolle wurde mit Jurek Milewski optimal besetzt: Der Schauspieler schöpft aus dem emotionalen Vollen. Er mimt den Jeppe mit einer großen Portion trunkenem Charme und schelmischem Witz. Als geknechteter Bauer im Paradies läuft er mit Elektro-Pop-Klängen zu despotischen Höchstleistungen auf. Gleichzeitig beweist J. Milewski jede Menge Einsatzfreude. Für den Protagonisten seines Regiewerks schuf Tritscher einen komprimierten Fitnessparcours: Akrobatisch turnt Jeppe durch den Abend oder jongliert mit Trinkbechern im Mund, während er sich gleichzeitig körperlich verausgabt – das Publikum ist begeistert. Auch von den Gesangseinlagen, denn die beherrscht J. Milewski selbstverständlich auch. Das verwundert an dieser Stelle bereits nicht mehr.
Jurij Diez spielt den ominösen Wirt, der Jeppe immer wieder über’s Ohr haut. Unterstützt wird er von der lasziven Kellnerin (Larissa Enzi). Die beiden halten sich durchtrieben bedeckt und ziehen Jeppe die letzte Øre aus der Tasche, ehe sie ihn zur Tür hinaus bugsieren – und im Anschluss daran selbst als Spaßgesellschaft des Barons wieder auftauchen. Slapstickhafte Einlagen folgen, die durch kleine, präzise Gesten akzentuiert und hervorgehoben werden, dass es eine Freude ist. Völlig überdreht rasen J. Diez und L. Enzi durch das Bühnenbild und zupfen sich immer wieder ihre Perücken zurecht – köstlich vor allem bei Diez‘ Erik. Ihnen dicht auf den Fersen, der Baron (Gerhard Es), der mit diebischer Freude in der eigenen Intrige schwelgt. So viel liebevoll zelebrierter Klamauk steckt an. Übrigens auch in Form von Beata Milewska, die als Köchin gefährlich nahe mit dem Fleischbeil an Jeppes Hals herumwedelt.
Kleine Kostümdetails ergänzen das stimmige Bild. Der Trunkenbold sprintet den ganzen Abend mit offenem Reißverschluss an der Hose durch das Stück, während die Spaßgesellschaft trachtig elegant auftritt und mit schimmernden Materialien unaufdringlich, aber effektiv Wohlstand und gehobene Gesellschaft suggeriert.
Kurz nach der Pause öffneten sich an diesem Abend plötzlich die himmlischen Schleusen und prasselten unbarmherzig auf Jeppe und Nille nieder. Das Publikum flüchtete wie auf Stichwort in die Hecken, spannte Schirme auf oder beides (an dieser Stelle danke an die nette Schirm-Teilerin!), die Schauspieler*innen irritierte das wenig – sie spielten beherzt weiter. Und wurden belohnt.
JEPPE VOM BERGE ist immer noch laut, zottig und ziemlich tragisch – gleichzeitig ist Reinhold Tritschers Adaption auch in der modernisierten Variante pointenreich und klug.
Fotonachweis: Andreas Hauch // Theater ecce
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