Jetzt bumst’s tatsächlich und das ziemlich eindrücklich: Tabea Baumann inszenierte „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ als intensives Kammerspiel mit geballter Frauenpower.
Die Farbe Weiß steht wie keine andere für die Unschuld und am Schauspielhaus Salzburg ab sofort auch für Katharina Blum. Tabea Baumann inszenierte die Erzählung von Heinrich Böll als Kammerspiel und tauchte die Protagonistin (Johanna Klaushofer) dafür großflächig in Weiß – vom (fast) Scheitel bis zur Bühnensohle. Damit sind die Rollen auch optisch klar verteilt und die Moral hat ihren Stammplatz erhalten. Zumindest, solange Katharina Blum nach ihrer Unschuld fahndet. Ist die erst verloren, darf auch ein Kleiderwechsel mit genauso bezeichnender Farbwahl stattfinden. Damit wird das dezidierte Bild von Recht und Gerechtigkeit bemüht, das auch der Autor vertritt – nicht umsonst trägt der Text den Untertitel: „Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann“.
In aller Plot-Kürze
Katharina Blum lernt auf einer Faschingsfeier einen Mann kennen und nimmt ihn mit nach Hause. Am nächsten Tag wird ihre Wohnung von der Polizei gestürmt, vom jungen Mann fehlt jede Spur. Es stellt sich heraus, dass es sich bei diesem um Ludwig Götten handelt: Angeblich ein gesuchter Bankräuber, Mörder und Terrorist. Durch die zufällige Bekanntschaft gerät die bis dahin unbescholtene Katharina Blum zuerst ins Visier der Polizei, dann in das der Boulevardpresse. Letzteres wiegt schwerer und lässt die junge Frau am Ende vor den Trümmern ihrer Existenz stehen.
Robin Hood meets Jeanne d’Arc
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ist eine Abrechnung mit der Boulevardpresse, namentlich der BILD-Zeitung. Die war es einst, die Heinrich Böll in eine ähnliche prekäre Lage brachte. Des Autors Rache, das ist hinlänglich bekannt, ist das geschriebene Wort (Fragen diesbezüglich gerne posthum an Marcel Reich-Ranicki richten, dem „Büchernörgele“, „Klugscheißerchen“ und „Korinthenkackerli“ aus Michael Endes „Wunschpunsch“). Johanna Klaushofers Blum ist das perfekte Opfer: Still und erhaben sitzt sie da; anfangs verletzlich, später wütend, weigert sich diese Blum vehement, bestimmte Wörter zu verwenden. Sie wird zur Personifikation der Unschuld, nicht nur aufgrund ihrer weißen Kleidung. Mit der Dauer des Stücks läuft sich ihre Schauspielerin warm und wird (Achtung, kitschige Wortwahl) zur Rächerin der Entrechteten. Ein bisschen Robin Hood, ein bisschen Jeanne d’Arc mit der Lizenz, die Moral klar auf ihrer Seite zu wissen.
Tabea Baumann wählte für „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ eine sehr optische Umsetzung (Ausstattung: Eric Droin). Auf diese Weise kann das Publikum der Zerstörung der Protagonistin auf mehreren Ebenen beiwohnen. En passant wird selbst das weiße Bühnenbild dekonstruiert. Mit jeder Anschuldigung, jedem angeblichen Fleck auf Blums weißer Weste verschwindet wieder eine Kachel, bis die Figur am Ende in einem dunklen Gerüst hockt. Ein metallenes Spinnennetz, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Das weiß Johanna Klaushofers Figur genauso wie das Publikum und genau deshalb ist die radikale Schwarz-Weiß-Differenzierung eine gelungene Herangehensweise, um die moralische Gewichtung noch stärker zu akzentuieren.
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“: Eine Ode an die Frau
Mit der Nähe des Stücks zum Original wird auch dem Text Tribut gezollt. 49 Jahre und kein Tag älter. Leider – sollte hinzugefügt werden. Denn das Stück ist nach wie vor höchst aktuell. Hier ein Smartphone, dort ein medialer Shitstorm? Es wäre ein Leichtes gewesen, trotzdem verzichtet die Regisseurin auf szenische Neuinterpretation und genau das sorgt für Hinsehen. Zudem rückt sie für die beiden Gesetzeshüter zwei Frauen in den Fokus. In einer Welt, in der das weibliche Wesen immer noch unterrepräsentiert ist, schlüpfen zwei Schauspielerinnen in die männlichen Rollen. Tatsächlich sind Sophia Fischbacher und Christine Tielkes großartig anzusehen auf Verbrecherfang. Hier jagt ein Klischee das nächste und wurde bis ins Detail perfektioniert; während Tielkes den abgebrühten Kommissar mimt, der die Verdächtige auf den Fuß brüskiert, gibt Fischbacher den latent tollpatschigen, aber eben doch auch irgendwie liebenswürdigen Untergebenen, der gerne auch die 101 Tasse Kaffee einer Nicht-Kaffeetrinkerin anbietet. Inklusive maskulinem Grunzen beim einzigen Lachen im Stück und einigen haptischen Ticks.
Personifizierte Journaille
Die Feminisierung ist hiermit eröffnet und Dr. Hubert Blorna wechselt das biologische Geschlecht. Eine gelungene Aktualisierung, die sich harmonisch ins Gesamtkonzept einfügt – mit fließenden Übergängen zwischen den Charakteren (Christine Tielkes & Sophia Fischbacher als Dr. Blorna und ihre Frau Trude). Übrigens: genauso wie bei Tötges. Diesmal tatsächlich ein Mann (Simon Jaritz-Rudle), der als Vertreter der Presse alles ist, aber mit Sicherheit kein Sympathieträger. Mit der Floskel „Ich stelle nur Fragen“ verabschiedet er sich süffisant aus jeder Szene und hetzt auch schon wieder bei der Tür hinaus. Das verleiht ihm etwas ewig Getriebenes, vor allem, da alle anderen Figuren stets im Raum verweilen dürfen. Tatsächlich ist Tötges die personifizierte Journaille und ja, die beherrscht Jaritz-Rudle sehr überzeugend, inklusive zweifelhaftem Erscheinungsbild. Für zusätzliche Spannung und moralische Wertung sorgen die permanenten Wechsel in der Sprachlichkeit: von direkter Person in die dritte, von Innenschau oder erzählerischer Wiedergabe und vice versa.
Gewertet werden darf, soll und muss an so einem Abend. Genau das gelingt mit dieser Inszenierung der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum. Oder: wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ vorzüglich. Es ist ein klassisches Kammerspiel über die Moral, mit klar verteilten Rollen, das im besten Falle auch zum Nachdenken anregt und eindrücklich demonstriert, was Theater kann. Aristoteles hat’s erwähnt: sehr Katharsis förderlich und so.
Fotonachweis: Jan Friese
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