Kleine Geister | Jan Friese

Kleine Geister – Schauspielhaus Salzburg

Kleine Geister, ganz groß

Theodora Bauers infernalisches Polittheater „Kleine Geister“ feiert am Schauspielhaus Salzburg in der Regie von Sandra Schüddekopf Uraufführung. Skurril, humorvoll und mit dem gewissen Wiedererkennungsfaktor.

Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Das klingt abgedroschen, ist aber wirklich so. Wie sonst sollte es sich erklären, dass ein paar Minuten vor der Uraufführung von „Kleine Geister“ Ex-Kanzler Sebastian Kurz eine Bewährungsstrafe von acht Monaten bedingt auffasste? In echt. Wer jetzt weder der Autorin Theodora Bauer, die das Stück im Auftrag des Schauspielhauses Salzburg schrieb, noch dem Haus selbst hellseherische Kräfte oder den Besitz einer Glaskugel attestieren möchte, der könnte deshalb direkt zu dem Schluss gelangen, dass Beelzebub neuerdings auch kräftig im kleinen Weltgeschehen mitmischt – selbst wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

In aller Plot-Kürze

Urban, einst in den Reihen einer einflussreichen österreichischen Partei, sieht sich mit einem düsteren Dilemma konfrontiert: Seine Verstrickungen in fragwürdige Machenschaften führen zu seinem Selbstmord. Doch statt Ruhe im Tod erwartet ihn die Hölle, wo er als Dämonenlehrling seiner Partei zur Macht verhelfen muss, um ewigen Qualen zu entgehen. Begleitet von zwei eher hinderlichen Mitstreitern, beginnt eine surreale Odyssee durch die Abgründe der politischen Welt.

Kleiner Mann, jetzt wird’s politisch

Dass der Teufel auch in der Realität die Hände im Spiel hat, rückt nach der hingebungsvollen, ja, ekstatischen Darstellung von Florian Stohrs Volant in den Bereich des Möglichen. Der Schauspieler mit der einprägsamen Stimme ist seit seiner zweiten Produktion in Salzburg („Spitzenhäubchen und Arsen“) auf die latent durchgeknallten Rollen gebucht. Wahrhaftig wahnsinnig kommt auch dieser Volant daher, der im ewigen Höllenbereich eine Mischung aus Spa und ewiger Verdammung betreibt. Hier wird gematcht, was einfach nicht matcht, und mit Gusto intrigiert. Aus Imagegründen nennt sich der Teufel jetzt lieber Chief Afterlife Executor oder einfach nur Volant. Bereits mit den ersten Dialogen wird deutlich, die Autorin geizt nicht mit Anleihen. Hier ein bisschen William Golding, dort etwas Michail Bulgakow und ganz viel Goethe bitte sehr, denn Faust geht immer.

Besonders Bulgakows „Der Meister und Margarita“ scheint es auch der Regie angetan zu haben (Sandra Schüddekopf, Dramaturgie: Jérôme Junod). Diese greift das russische Konzept auf, appliziert es auf die österreichische Politik und drosselt die Phantastik genau im richtigen Maß, sodass „Kleine Geister“ ein wunderbares Futter für die breite Masse ergibt. Dafür wird das infernalische Polittreiben in ein absurdes Setting aus rotgekacheltem Spa und Umkleide gepackt, das sich auch in ein steriles Büro mit zwei vernachlässigten Zimmerpflanzen verwandeln lässt. Skurril harmoniert es prächtig mit den abenteuerlichen Dialogen, Handlungen und Figuren, ohne zu sehr auf den Magen zu schlagen. Wohl bekomms!

Auf Krawall gebürstet

Für Unterhaltung sorgt in „Kleine Geister“ das höllische Personal – allen voran ein kratzbürstiges Duo bestehend aus selbstbewusster Fellnase (Johanna Egger mit wunderbarer Stimme) und dem gefallenen Nazi Vulgus (Wolfgang Kandler). Die eine schnurrt schon seit 5.000 Jahren durch ihr Reich, während der andere erst seit jungen 80 Jahren seine Sicht von Ordnung durchsetzen möchte. Zoff garantiert. Dass Vulgus aus dem Lateinischen übersetzt für „die Menge“ steht, ist wenig schmeichelhaft. Die Blut-und-Boden-Ideologie spiegelt sich dann auch pflichtbewusst im blutroten Kostüm des vor sich hin schimpfenden Volksvertreters, der hier unten in der Hölle unkontrolliert Zornesschreie ausstößt und tatsächlich für wenig Wohlbefinden sorgt (Ausstattung: Agnes Hamvas, Sounddesign: Rupert Derschmidt, Licht: Marcel Busá).

Als Dämonenlehrlinge wider Willen finden sich Urban (Paul Graf) und GT (Sophia Fischbacher), plus Frosch. So harmlos wie Urban daherkommt, ist er dann auch wirklich. Sophia Fischbachers GT gibt die rotzige Revoluzzerin, die eigentlich auf alles pfeift, nonchalant, cool und als nicht gerade hellste Kerze auf dem Kuchen. Ihr dabei zuzuschauen, ist höchst unterhaltsam, vor allem die Schlagabtausche mit Urban, und der Eifer, mit dem sich GT zum Vorzeigelehrling mausert. Der Frosch wird von Paul Graf und Sophia Fischbacher abwechselnd geführt. Die Stimme erhält die grüne Puppe von Florian Stohr, der sie mit genauso diabolischer Spielfreude ausstattet, wie er sie auch seinem Volant angedeihen lässt (Puppenbau: Agnes Hamvas & Paul Graf). Was den grünen Quäker genau zu Fall gebracht hat, wird leider nicht näher erwähnt. Allerdings philosophiert der Frosch ausführlich über die Tatsache, dass auch Tiere das Potenzial zum Bösen besitzen.

Achtung, tieffliegende Seitenhiebe: „Kleine Geister“

Die politischen Seitenhiebe fliegen tief. Genau deshalb ist der Wiedererkennungswert auch so groß, wenn Peter (Felix Krasser) und Georg (Soi Schüssler) versuchen, eine verlorene Festplatte wieder aufzutreiben, um sie dann richtig verschwinden zu lassen. Anleihen an Ibiza, die Schredderaffäre, Postenschacher, kurzum, die österreichische Politik sind herzlich willkommen. In die gleiche Kerbe zielt auch die Szene mit der schneidigen Publikumsansprache durch Peter, wenn er aalglatt von falschen Vorwürfen spricht, die Kritik smart weglächelt oder dem „Tschortschi“ die Leviten liest, doch bitteschön das große Ganze im Auge zu behalten und sich jetzt nur ja nicht so anzustellen. Doppelzüngig morpht Felix Krasser für Peter mehrere österreichische Politiker in eine Figur und sorgt für einen Zuckerschock, den die Pastelltöne der Anzüge befeuern. Wolfgang Kandlers zweite Rolle, Tobias, greift zur anderen Seite der Medaille und wird mit schwerem Wiener Zungenschlag zum Proll, der ungeniert vom korrupten System profitiert.

Genau jetzt ist dann auch der richtige Zeitpunkt, Beate Meinl-Reisinger zu korrigieren. Die NEOS-Politikerin erwähnte mal: „Politik ist wie Fifty Shades of Grey, aber nicht so lustig.“ Im Gegenteil, richtig ausgespielt, besitzt die österreichische Politik sogar noch tieferen Unterhaltungswert.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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