DIE DOPPELTE MIMI
Ja, ist das denn LOLA BLAU? Nein, auch wenn sich in NEBENBEI die eine oder andere Tür Richtung Kreisler-Musical öffnet: Tiefkomisch und todtraurig verdoppelt das Stück Perspektive und Ausstattung.
Eins und eins macht zwei. Deshalb stehen im Studio des Schauspielhaus Salzburgs auch zwei Guckkastenbühnen aufeinander. Zusammen bilden sie das Setting für Mimi Schwarz. Natürlich heißt das Stück nicht wirklich so, auch wenn es die kleine Stiefschwester von LOLA BLAU, Georg Kreislers tragisch-komischem Musical sein könnte. Man achte auf Form und Semantik der Namensgebung oder auf die Analogien in Dramaturgie & Co. Bei aller Ähnlichkeit ist NEBENBEI, so heißt das Stück von Barbara Derkow Disselbeck, dann aber doch anders (Regie: Robert Pienz, Harald Fröhlich, Ausstattung: Franziska Lang, Robert Pienz, Choreografie: Marianne Haller, Dramaturgie: Tabea Baumann).
In aller Plot-Kürze
Ausbruch Zweiter Weltkrieg: Die jüdische Nachtclub-Sängerin Mimi Schwarz teilt sich mit ihrer Schwester Laura eine Wohnung. Dann kehrt Laura eines Tages nicht mehr vom Bäcker heim. Stattdessen steht Mimis Affäre Konny vor der Tür. Er drängt sie, sofort zu fliehen und versteckt sie vor den Nazis in seinem Keller. Hin und wieder besucht er sie, um sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Nur keinen Verdacht schöpfen. Seine Frau weiß angeblich Bescheid.
NEBENBEI: Wenn die Mutter mit der Tochter
Die Flaschen auf der altmodischen Bar wackeln verdächtig, als Miriam Schwarz (Daniela Enzi) die Leiter zu ihrem Heimzimmer erklimmt. Genau dort ist der einstige Varieté-Liebling gelandet. In die Jahre gekommen, könnten die Spuren der Zeit kaum lauter „hier!“ schreien. Daniela Enzis Figur ertrinkt in tragischen, bittersüßen Erinnerungen. Genau das ist einer der dramaturgischen Kniffe, die Mimi Schwarz eben doch von LOLA BLAU differenzieren. Miriam steht nicht alleine auf der Bühne. Eins und eins macht immer noch zwei, deshalb ist auch stets ihr junges Ich präsent, Mimi (Larissa Enzi). Mimi sprüht vor Lebensfreude und haucht mal kokett, mal fröhlich versiert ins Mikrofon. Begleitet werden die beiden Figuren bei ihren musikalischen Ausflügen von Fabio Buccafusco am Klavier, der das Gefühl der 30er Jahre auf die Bühne.
Tragisch-komisches Traumata
Das junge Ich wird zur narrativen Figur der gealterten Protagonistin. Ein spannender Aspekt, der mit den Perspektiven jongliert wie andere mit Bällen. Immer wieder spricht Daniela Enzi zur Seite und verbrüdert sich mit dem Publikum, wenn sie es konspirativ mit „ihr müsst wissen…“ ins monologische Boot holt. Mit Larissa Enzis Mimi wird die Vergangenheit haptisch greifbar. Sie verleiht ihr Kontur und gibt dann mitten im Plot – ganz wie beim kindlichen Fangen Spiel – wieder an ihr älteres Ich ab. Das harmoniert auch mit der Mentalität der Figuren. Daniela Enzi legt Miriam naiv, lebensfroh und vom Leben gezeichnet an. Das Kindliche dominiert, der Schrecken im Keller steigert es aber gelungen ins Pathologische. Auch Larissa Enzi beherrscht die sich in jungen Jahren ankündigenden düsteren Untertöne bereits und verbindet sie mit schwarzem Humor. So wird selbst Mimis krankhaft klingende Theorie vom sich verkleinernden Raum zu einer tiefkomischen und todtraurigen Szene.
Das Haus von Rocky Docky
Ertrinken, das funktioniert nicht nur in Erinnerungen. Auch an Alkohol mangelt es Miriam nicht und so beginnt sie langsam und dann immer schneller, den Hausbar-Bestand zu leeren. Enzis ‚ertrunkene‘ Miriam ist labil und bringt das verstärkt zur Schau getragene Traumata gelungen menschlich zum Ausdruck. Die Inszenierung kommt zwar ohne zusätzliche Schauspieler aus, das bedeutet aber nicht, dass keine weiteren Schauspieler gegenwärtig wären. Mimi und Miriam erwecken sie bildstark mit – und das ist das eigentlich Faszinierende – imaginierter Dialogizität zum Leben. Die Bretter der oberen Bühne wackeln dabei gefährlich, als Daniela und Larissa Enzi unisono zwischen Gegenwart und Vergangenheit pendeln. Auch das unteres Stockwer bildet ein Highlight. Liebevoll arrangierte Keller-Details lassen die Enge von Mimis Gefängnis sichtbar werden.
Kleine Stiefschwester hin oder her: NEBENBEI berührt und nahezu autobiografische Inszenierungen mit Kabarett-Einlagen verbinden eben. Auch wenn sie auf den typisch jüdische Wiener-Charme eines Georgs Kreisler verzichtete und sich das musikalische Repertoire meistens in ähnlichen Gefilden tummelt, besitzt Barbara Derkow Disselbecks Stück eine eigene tragisch-komische Komponente mit intensiver, eigenständiger Geschichte. Lola Blau und Mimi Schwarz, Schicksale, die bewegen.
Fotonachweis: Jan Friese
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