„Sei frech und wild und wunderbar“
Marion Hackl komprimierte Theodor Fontanes Klassiker mit NICHT SO WILD, EFFI auf handliche Theaterlänge. Entstanden ist ein frech-kluges Jugendstück, das keinesfalls nur den Jungen vorbehalten bleiben sollte.
Für Theodor Fontanes Zeitgenossen*innen war klar, wer bei dem zwischen 1894 bis 1895 als Mehrteiler publizierten Text „Effi Briest“ gegen die Moral verstieß. Selbstverständlich die ehebrecherische junge Frau und ihr sittenloser Liebhaber. Die aktuelle Gesellschaft sieht das freilich ein wenig anders; wir sympathisieren lieber mit der 17jährigen, die – noch nicht einmal volljährig – mit dem Verflossenen ihrer Mutter von eben dieser vermählt wurde. Dass der lieblose Gatte satte 21 Jahre älter ist als die kindliche Effi, ist das Tüpfelchen auf dem Skandal-i und wäre eigentlich auch ein Fall für’s Jugendamt. Wenn, ja, wenn es sich nicht um großartige Literatur handeln würde. Die hat Marion Hackl in NICHT SO WILD, EFFI ansprechend und wunderbar flapsig am Schauspielhaus Salzburg inszeniert (Regie und Konzept: M. Hackl, Bühne: Johannes Stockinger, Kostüme: M. Hackl).
NICHT SO WILD, EFFI ist im Hier und Jetzt verankert und zeigt sich von Anfang an als temporeiche, unterhaltsame Produktion. Spielerisch und unbefangen nähert sie sich ihrer berühmten Vorlage an. Gegenwarts bezogen ja, aber zugleich auch nicht zu modernitätsaffin, deshalb verzichtet die Regisseurin auf iPads oder e-Reader. Stattdessen stehen die drei junge Menschen da vorne mit Reclam-Büchlein in der Hand auf der Bühne und rezitieren abwechselnd die ersten Zeilen aus Fontanes „Effi Briest“ (Jonas Breitstadt, Cora Mainz, Magdalena Oettl). Sie kichern, sie albern herum und haben sichtlich Spaß. Alsbald verschwinden die Textvorlagen allerdings; was sich zuvor als Schulvorführung tarnte und den Jugendstück Charakter unterstrich, oszilliert rasant und professionell in eine ausgewachsene Theaterproduktion. Dafür schlüpfen die drei Schauspieler*innen in die verschiedensten Rollen aus dem recht voluminösen Repertoire, die sie zuvorkommend mit lockeren Bemerkungen oder Gesten einführen.
Atemloses Cross-Acting und Figuren-Sharing
NICHT SO WILD, EFFI kennt keine strikten Geschlechter-Differenzierungen. Das wäre vermutlich auch relativ schwierig bei einer Produktion, die einen der bekanntesten Zeitromane des 19. Jahrhunderts auf nur drei Personen reduzierte. Dafür bietet sich den drei Schauspieler*innen jede Menge Gelegenheit, ihre Wandelbarkeit unter Beweis zu stellen. Davon machen sie zum Glück ausgiebigst Gebrauch. Jonas Breitstedt überzeugt als lebenslustige Hulda oder frisch vermählte Effi genauso wie als gestrenger und prinzipientreuer Baron von Innstetten, der ein liebloses und ehrgeiziges Ehe-Regiment führt. Magdalena Oettl springt mit dem gleichen Elan durch ihr vielseitiges Rollen-Repertoire und trifft doch immer genau den richtigen Ton. Eben noch die naiv-fröhliche Effi, erzählt sie schon als Dienstmädchen Johanna mit schaurigem Unterton und ernster Mimik die Geschichte des unter mysteriösen Umständen verstorbenen Chinesen. Und ja, an dieser Stelle fällt es schwer, sich eines leichten Gruselns zu erwehren. Cora Mainz gelingt mit ihrer Effi eine ähnliche Punktlandung; zugleich verleiht sie Effis Fröhlichkeit eine wunderbare Tiefe, die ein tragisches Moment birgt und kassandrahaft auf die nahende Katastrophe vorausdeutet.
NICHT SO WILD, EFFI bietet trotz aller Tragik und Opulenz der Vorlage großartigen Unterhaltungswert. Das liegt sicherlich auch an der wunderbar übersteigerten Gestik, die die drei Darsteller*innen immer wieder an den optimalen Stellen einstreuen. Dadurch erhält das Spiel um Effi eine fröhliche Leichtigkeit, ohne die Inszenierung zu bloßem Klamauk oder blanker Albernheit zu verdammen. Auch die Sprache passt sich an, Jugendstück verpflichtet eben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die drei Erzähler*innen aus der Rahmenhandlung gerne das Reclam-Büchlein zücken und bei diesen Gelegenheiten auch vom Fontane’schen Sprachduktus abschweifen. Stattdessen ruft Effis Schicksal spontan ein emotional wertendes „krass!“ hervor und überhaupt zeigt sich ein Hang zum Reflektieren. Zurück in der Binnenhandlung sorgen die antiken Chorelemente und die aufgedröselten Reden in Kombination mit dem Figuren-Sharing für spannende Unterhaltung.
Bittere Rache
Die Kostümen oszillieren in NICHT SO WILD, EFFI zu Stimmungs-Chiffren: Weiße, überdimensionale Latzhosen akzentuieren Effis Lebenslust und ihre Naivität, ihr Feststecken im Kindlichen; gleichzeitig führt das spätere Rot und die deutlich feminine Kleidung ihren Übergangs ins Erwachsenenleben und den ‚Sündenfall‘ mit Major Crampas ein. Kostüme und Schauspiel harmonieren prächtig und transportieren gelungen Effis Wandel vom naiven Mädchen zur depressiven Frau.
Zusätzlich verleiht M. Hackl EFFI mit diversen Videoeinspielern und Medieneinsatz einen jugendliche-modernen Anstrich (Video: Michael Winiecki, Sound Advice: Joey Wimplinger); im Park, der verdächtig nach Schloss Hellbrunn aussieht, stirbt der vom gehörnten Innstetten zum Duell aufgeforderte Crampas einen exzessiv repetierten Tod. Immer wieder fällt der schneidige Major und Frauenversteher (Matthias Hinz) in Manier eines Stummfilm-Heldens zu Boden – oder in dem Fall eines Antihelden.
Das tragische Schicksals Effis können auch die drei stellvertretenden jungen Menschen auf der Bühne nicht ganz begreifen. Als Projektionsfläche der Inszenierung leihen sie der gesellschaftlichen Meinung des Hier und Jetzt ihre Stimmen und bedauern Effi. – Übrigens genau so lange, bis sie hinter der Bühne in Jubelschreie ausbrechen; aber das lag dann wohl doch eher an der gelungenen Premiere. 😉
Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg
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