OBERSALZBERG: Die dunkelgraue Satire als Österreichische Erstaufführung am OFF Theater
Manche Ereignisse sind so tragisch, dass man ihnen nur mit Lachen beikommen kann: OBERSALZBERG nimmt sich Hitler und seiner engsten Vertrauten an – eine dunkelgraue Satire mit erstaunlich emotionalen Zügen.
„Ich musste weinen“, gesteht eine sichtlich gerührte Eva Braun (Christiane Warnecke). Gerührt, wohlgemerkt, von den eigenen Empfindungen. „Du musstest weinen?“, hakt sogleich besorgt ihre Schwester Gretl nach (Anna Knott). Gerda Bormann (Anja Clementi) und Joseph Goebbels (Tom Pfertner) fallen ebenfalls in den Chorus ein. „Du musstest weinen?“, tönt es aus allen Bühnenecken und theatralisch kann sich Eva Braun nur wiederholen: „Ja, ich musste gestern weinen“.
Mit dieser scheinbar bedeutungsschwangeren Szene beginnt OBERSALZBERG, die Österreichische Erstaufführung von Rudolf Zollners Satire am OFF Theater. Stichwort Satire. Die wird großgeschrieben, zumindest im ersten Teil des Theaterstücks. Minutenlang wirft sich das Ensemble den Spielball zu und wiederholt den einen Satz aus den unterschiedlichsten Perspektiven, bis ans Licht kommt: Eva und ihre Schwestern mussten weinen. Vor Rührung. Bei den Worten von Paula Wesselys Maria im Propagandafilm „Heimkehr“. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich: Mit den Mitteln der Übersteigerung und Verballhornung nähert sich die Inszenierung dem delikaten Thema des Dritten Reiches an. Das Preisgeben der Lächerlichkeit nimmt die Dramatik aus den Geschehnissen. Das Publikum schmunzelt und wärmt sich unwissentlich bereits für Teil zwei auf, der die Satire ins Drama schwenken lässt.
In aller Plot-Kürze
Auf dem Obersalzberg versammelt Eva Braun die engsten Vertrauten des Führers: Joseph Goebbels und Hermann Göring sind genauso vertreten wie Gerda Bormann oder Evas Schwester Gretl. Dieser Tag ist ein ganz besonderer; zwei Offiziere sollen das Heldenverdienstkreuz erhalten. Verliehen durch Hitler höchstpersönlich. Allerdings verunfallen sich mit dem Auto und ihre Ankunft verzögert sich. Plötzlich stehen zwei Männer auf der Terrasse. Während alle sie für die tapferen Offizieren vom Balkan halten, handelt es sich um zwei überrumpelte KZ-Flüchtlinge, die am falschen Ort vom Zug sprangen und sich jetzt in der sicheren Schweiz wähnen.
Kuriositäten-Sammlung
Das Ensemble präsentiert ein humoriges Kuriosum an Hitlers engsten Vertrauten. Christiane Warnecke beispielsweise ist eine wunderbare Eva Braun. Verspielt kichernd, ist diese Eva nicht die hellste Kerze auf der Torte. Ganz im Gegenteil, zelebriert Christiane Warnecke Naivität und hingebungsvolle Führertreue mit großartiger Einfalt. Noch simpler veranlagt scheint Schwester Gretl (Anna Knott). Bei jeder Gelegenheit will sie sich ins Foto schummeln und wird genauso oft zurückgerufen, wie mit ihrer abwesenden Schwester Ilse verwechselt. Die junge Schöne im Badeanzug schmollt und kokettiert gleich wieder mit dem nächsten Kandidaten. Charakteristika der realen Figuren fließen subtil ein und werden mit den Mitteln der Übersteigerung ins Extrem getrieben.
Perversion des Krieges
In eine ähnliche Richtung tendiert Tom Pfertners Goebbels. Bisweilen steif und immer an der falschen Stelle zu markantem Gelächter neigend, offenbart Joseph Goebbels vor der versammelten Frauenschar, dass er eigentlich Schauspieler werden wollte. Aber man lehnte ihn ab. Genau wie Hitler, wirft da auch schon Eva Braun hilfreich ein. Das trübt den Heldenmut keinesfalls. Gönnerhaft schwärmt Goebbels später von der Ehre der beiden Kriegshelden, die noch dazu beim Russland-Einsatz an vorderster Front dabei sein werden dürfen. Während den beiden Geflüchteten (Victor Petro & Paul Clementi) sichtlich die Gesichtsfarbe abhanden kommt, kann sich Goebbels vor Freude kaum zügeln. OBERSALZBERG fängt damit treffend die Perversion des Krieges ein.
Auf die Kuh gekommen
Zur Eskalation kommt es, als auch noch Hermann Göring (Max Pfnür) seine Aufwartung auf dem Obersalzberg macht. Mit einigen Fatsuit-Rundungen ausgestattet, stürmt die Figur auf die Bühne und behält diesen lauten Eindruck bei. Max Pfnürs Göring schreit sich mit Vorliebe in Rage, wenn er nicht gerade Kontrahent Goebbels das Essen aus den Händen reißt oder mit „zack, zack, zack“-Kommentaren zeitgenössische Polit-Satire betreibt.
Auch Görings Jagdleidenschaft findet persifliert Eingang, wenn der Reichsjägermeister versehentlich und unter viel Getöse eine Kuh erlegt. Die Abkanzelung durch den Führer erträgt Göring mit scheinbarer Gelassenheit und schleicht dann doch sichtlich geknickt von dannen. Besser verkraftet es Albert Speer (Alex Linse). Herrlich humorig die Szene, als ihm die Führerfigur entgleitet und den Obersalzberg hinabkullert.
Der Führer als Hosenrolle
Auf Schelte versteht sich der Führer, der zur Erheiterung des Publikums eine Hosenrolle ist. Larissa Enzi gibt einen sehr gelungenen Despoten, der auch die abgehackte Sprache zelebriert, die aus den diversen Originalaufnahmen bekannt ist. Die ist zwar der Tatsache der unausgefeilten ersten Radiogeräte gezollt, kommt aber an. Gleichzeitig erinnert die Rollenführung an Charlie Chaplin in „Der große Diktator“, was zu Heiterkeitsausbrüchen im Publikum führt. Die werden durch Gerda „Bormännchen“ Bormanns perfide männliche Manipulation verstärkt.
Shalom Chaverim am OBERSALZBERG
Im Mittelteil plätschert der OBERSALZBERG vor sich hin. Es ist nicht ganz klar, wohin das Stück führen soll. Das wird erst nach kurzer Durststrecke beim Erscheinen der beiden KZ-Flüchtlingen deutlich (Victor Petro & Paul Clementi). Das Geschehen nimmt rapide Tempo auf und das Lachen wechselt mit betretenem Schweigen. Die Flüchtlinge landen auf der Terrasse von Hitlers Domizil am Obersalzburg. Durch die Verwechslung mit den beiden Offizieren sollen sie das Helden Verdienstzeichen erhalten. Prompt fällt der eine von ihnen in Ohnmacht und auch der andere schluckt schwer, als er den Freund panisch aus der Bredouille schwatzen muss (sehr gelungen Victor Petro).
Das Ende ist stark. Beginnt das Stück mit einer Verballhornung auf das Weinen, so geht es jetzt wirklich ans Eingemachte und tatsächliches Weinen, wenn die beiden jungen Männer auf der Mauer stehen und „שלום חורים“ („Shalom Chaverim“) singen – ein hebräisches Abschiedslied. Ein sehr emotionaler, starker Moment – der dem Stück von seiner Länge nimmt und das Potential besitzt, sich tief in die Erinnerung einzugraben. In dem Sinne: להיתראות.
Fotonachweis: OFF Theater Salzburg
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