Fifty Shades of Teenager-Tochter
Von einem leidgeplagten Elternteil zum anderen – über den Wahnsinn, der sich PUBERTÄT nennt, philosophiert und disputiert ein verzweifelter Vater am Kleinen Theater. Herrlich offen, menschlich und pointiert.
Pubertät. Dieser große, mysteriöse Planet, den wir alle früher oder später einmal bereisen – meistens sind wir danach nicht schlauer als zuvor. Unseren Eltern ist es schon so ergangen. Unseren Kindern wird das gleiche widerfahren. Irgendwie tröstlich, dass wir alle in der gleichen Hormon-Patsche sitzen. Edi Jäger leiht in Fabian Kametz‘ Inszenierung PUBERTÄT (Text: Josefina Vázquez Arco) einem Erziehungsbeauftragten am Rande des adoleszenten Nervenzusammenbruchs seine Stimme.
Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. – Das denkt sich vielleicht auch Heinz, der beim Piercing-Studio auf seine 15jährige Tochter wartet. Ein Bauchnabel-Piercing soll es werden. Seine Prinzessin durchlöchert sich den Bauch – und das auch noch F R E I W I L L I G. Heinz kann es nicht begreifen. Seine Frau und er hätten ihr diese Verstümmelung niemals zugestanden, hätte nicht die (nach Heinz leicht senile) Oma jegliche Autorität untergraben. Immerhin hat sie der Enkelin die unvorsichtige Frage „und, was wünscht du dir zu Weihnachten?“ gestellt. Die Eltern mussten zähneknirschend nachgeben und der Vater führt die Tochter zur Piercing-Schlachtbank. An allem sind aber ohnehin nur die Hormone Schuld. Jawohl! Seit die bei seiner Tochter Kopf stehen, erkennt er seinen Schatz nicht wieder. Heinz ist sich mittlerweile ziemlich sicher, dass in Marias lieblicher Hülle eigentlich ein Außerirdischer haust. Er will seinen kleinen Liebling zurück!
Völlig losgelöst
Auf der Bühne eine Band. Ganz in Weiß gekleidet, eine Kreuzung aus Ärzteteam und futuristischer UFO-Besatzung (Robert Kainarm, Chris Neuschmid, Magdalena Köchl). Das scheint passend, immerhin hat der leidgeplagte Vater da ja diese Alien-Theorie und außerdem lässt der aufgewühlte Gefühlshaushalt seiner Tochter an eine psychiatrische Einrichtung denken. Ahnungslos tapst Heinz in das Tätowier- und Piercingstudio und starrt entsetzt auf Werbung von gepiercten Menschen, die da eigentlich gar nicht hängt. Voller Abscheu und Ekel tastet er gleich seine Zunge und die Lippen ab oder zieht sich schützend die Jacke vor die Brust. Man könne ja nie wissen… während er sich langsam in Rage redet. Es sind wunderbar humorige und menschliche Eindrücke, die programmatisch auf den Abend einstimmen.
Heinz‘ Gegenüber ist ein Leidensgenosse, ebenfalls Vater, der aber genauso imaginär bleibt wie die bereits erwähnten Plakate im Studio. Das verwundert zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr und lässt den versierten Mimen ohnehin von vornherein ungerührt. Außerdem regt es die Fantasie an. Das Publikum darf sich auserkoren fühlen: Es wird zum Konspiranten eines Vaters am Rande des Wahnsinn und mit hineingezogen in den Abgrund, der sich ‚Pubertät‘ nennt. Das verbindet. Mit wenig bis gar keiner Requisite, aber einem Einkaufskorb voller Nahrungsmittel nimmt ein unvollständige Bühnenwelt reale Konturen an. Gerade die Absenz der Requisiten lässt einen Raum entstehen, der in den Zuschauer*innen-Köpfen variiert – eine spannende Form mit individueller Note.
Hormon Alarm!
Früher kannten pubertierende 15jährigen nur zwei Unterscheidungen: Entweder etwas war „lässig“ oder „voll lässig“. Und heute? Existieren hunderte Differenzierungen, von „cool“ über „obercool“ oder „megacool“ bis hin zu „meganice“. Was nicht nur bei Germanistin für verkrampftes Zähneknirschen und unkontrollierte Zuckungen sorgt, dominiert längst das juvenile Vokabular und versetzt den ahnungslosen Vater in Angst und Schrecken. Seine Befürchtungen und Kommentare sprechen aus der Allgemein-Seele und werden zum Pointen liefernden Movens – von Edi Jäger persönlich und liebevoll serviert. Dabei baut der Schauspieler auf Körperlichkeit; er hüpft, was das Zeug hält, schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen und setzt auf ein expressives Mienenspiel; egal ob beim fassungslosen Vater, dem schmollenden Ehemann oder dem pubertierenden Schüler im Biologie-Unterricht. Außerdem greift E. Jäger als Heinz gerne mal zum Mikrofon. Kleines Duett mit der Tochter gefällig? Der eigenen, sowohl auf als auch hinter der Bühne. Magdalena Köchl ist die Tochter des Schauspielers und wird zur Projektionsfläche für die andere, die fiktive Version. Beide haben starke Stimmen mit leichten Differenzen, vermutlich erkältungsbedingt. Unbeirrt macht sie weiter und lässt sich nichts anmerken, Chapeau.
Mit gleicher Münze
Immer wieder wiederholt die Sängerin einzelne Wörter des sichtlich leidenden Vaters und wirft sie als Echo in den Raum, wo sie sich großzügig verteilen. Beinahe hat es den Anschein, Heinz dürfe gerne noch ein bisschen länger gequält werden. Der revanchiert sich mit diversen Rache-Fantasien, die er mit Verve zelebriert. Schadenfroh erzählt er davon, wie er seine väterliche Position auszunutzen gedenke, um seine Tochter zu erpressen, endlich ihr Zimmer aufzuräumen. Die diebische Freude an seinem perfiden Plan ist Heinz anzusehen. Er drohe ihr einfach, in die Schule zu marschieren. Dort werde er mit den Worten „Entschuldigung Herr Professor, ich wollte meiner Tochter nur schnell ihr Pausenbrot vorbeibringen“ mitten in den Unterricht platzen. Und bei der Verabschiedung werde er sagen: „Zuckerbussi, Schatzi!“. Vor allen Mitschülern*innen. Die totale Humiliation – das weiß auch Heinz und freut sich. Es sind diese Momente, wo man*frau geneigt ist, einen Notizblock zu zücken. Tatsächlich raunt es ein paar Sitze weiter von Lachanfälle gebeutelt „genial, warum hab nur ich nie an so etwas gedacht?“. Ja, wunderbare Ideen gibt es in PUBERTÄT zuhauf, aber aufschreiben? Das würde nicht funktionieren, denn Zuschauer*in ist viel zu sehr mit Lachen beschäftigt. – Ein Programm mit sehr viel Wiedererkennungswert – nicht nur für Eltern… 😉
Fotonachweis: Christian Hartmann
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