Wake me up before you come come.
Mit Schnalzen, Schleim und einer Parabel gegen tradierte Meinungen und überholte Werte: SCHNALZEN nutzt die Möglichkeiten der Moderne und kombiniert sie mit Altbekanntem. Funktioniert einwandfrei und lädt zum Nachdenken ein.
Uns ist in alten maeren/ wunders vil geseit – dass uns in alten Geschichten, viel Wunderbares berichtet wird, ist hinlänglich bekannt. Dem „Nibelungenlied“ sei’s getrommelt und gepfiffen. Aber obwohl dieses Wunderbare auch seine Schattenseiten besitzt (am Ende sind fast alle Burgunder mausetot), hat es Bestand und konstituiert unsere Identität – nicht nur die derer, die immer noch nach dem Gold im Rhein fischen. Es ist dieser archaische Charakter, der mittelalterlichen Heldenepen und Volkssagen innewohnt und bis heute die Volkskultur prägt. Es ist auch dieser archaische Charakter, den sich das kollektiv Kollinski für seine neue Produktion zu eigen macht und mittels dessen es das Fremde in den Raum und an die bäuerlich-urige Tafel bittet.
Salzburger Parabel
Eigentlich ist SCHNALZEN weder ein Drama noch ein Schauspiel, sondern eine archaisch-moderne Parabel. Im Zentrum stehen Puppe, Schleim und die Sage vom Schwarzbach-Bauern. Für die entsprechenden Parabel-Atmosphäre – diesen altklug, belehrenden Ton -, sorgt Susanne Lipinski als Erzählerin und Performerin. Erstaunlicherweise gelingt das ohne Gedöns und Geschrei. Stattdessen steht die Schauspielerin im Dirndl und mit Metzger-Schürze mitten im Raum, ganz nah am Mikrofon und lässt es krachen. Das Mikrofon. Eindringlich und mit starker Intonation erzählt sie die Geschichte vom Schwarzbach-Bauern und seinem ‚Mägdelein‘.
Bereits an dieser Stelle wird deutlich, ja, für die Parabel bemühte man sich, die Grammatik und das Vokabular anzupassen. Deshalb berichtet die Erzählerin also vom ‚Mägdelein‘, das nicht alt werden sollte und vom ‚Dingelchen‘, das an ihrer statt plötzlich da war. Klar, dabei handelt es sich keinesfalls um Mittelhochdeutsch, aber daran hätten auch nur Germanisten ihre Freude. Dann lieber Neuhochdeutsch, das in seiner Struktur sogar ein bisschen an Auerbachs „Barfüßele“ erinnert.
Musik… liegt in der Luft
Die unheilvolle Musik im Hintergrund führt leitmotivisch durch den Abend und lässt nichts Gutes für das Mägdelein oder den Bauern erahnen. Gleichzeitig konstituiert diese Musik auch das Fremde; während Lukas Schnaitl die Harmonika spielt, liefert Gudrun Plaichinger den elektronischen Sound. Was kurzfristig wie eine Kakofonie anmutet – Heimat und Fremdes scheinen nicht homogen – entdröselt sich allerdings rasch und ergibt spannende musikalische Eindrücke. Die werden immer wieder von den Schnalzern unterbrochen. Richtig, denn SCHNALZEN setzt mit Matthias Lechner und Lukas Schnaitl von der Schnalzergruppe Maria Alm auf zwei waschechte Schnalzer
Die beiden jungen Pinzgauer lassen ihre Goaßl und ihre Peitsche knallen, als gäbe es kein morgen. Dafür stehen sie einander auf Plateaus gegenüber. Die Distanz ist präzise abgemessen, damit keine Peitsche mehr als nur das Nichts trifft. Und tatsächlich scheint das morgen sehr weit weg, wenn Schnüre durch die Luft schneiden – der Knall ist laut. Sehr laut. (Chapeau an die Performerinnen, die weder zucken noch eine Miene verziehen). Gleichzeitig scheint dieser präzise applizierte Laut perfekt, um aus eingefahrenen Mustern und überholtem Denken aufzuwecken. Das Schnalzen motiviert zum Innehalten und genauen Betrachten.
Der Schleim, der aus der Fremde kam
Das Fremde könnte tatsächlich kaum fremder sein. Es ist ein grauer Schleim von faszinierender Konsistenz. Langsam aber sicher erobert dieses graue Etwas unter der Führung von Susanne Lipinski die Bühne. Sprichwörtlich. Das graue Dingelchen scheint plötzlich überall. Faszinierend ist aber auch die Wahl der Form. Statt etwas Figürliches zu schaffen, das zumindest Menschlichem ähnelt, setzt SCHNALZEN auf Schleim. Eine Tabula rasa, die erst aufgeladen werden muss, von jedem Betrachter einzeln. Das ist extrem spannend und verleiht dem Fremden ein sehr individuelles Gesicht mit offenem Inhalt. Ein idealer Ansatzpunkt also, um das gesamte Publikum mit dem Fremden zu konfrontieren und zu fangen.
Bauer sucht Magd
Was vorher irgendwie lieb und nett war, dieses schleimige Ding, erhält eine unerwartete Wendung. Mit der müssen Bauer und Dorf erstmal klar kommen. Apropos Bauer, noch so eine faszinierende Gestalt und diesmal sogar in anthropomorphisierter Form. Das puppenhafte verliert die Figur allerdings mit den ersten Bewegungen. Penibel achtet Bethi Nock als Puppenspielerin auf die kleinsten Details. Immer wieder bewegt der Bauer leicht seinen Mund oder trauert geknickt um das Mägdelein. Auch den Bierkrug hebt er mit Bedacht und kann von Kartoffeln kaum genug bekommen. Der Bauer wird zu einer Groteske, die am Ende alles von sich wirft. Dass sich an dieser Stelle leichtes Gruseln breit macht, spricht für die Authentizität der Figurenführung. Dazwischen immer wieder volkstümliche G’stanzln, die am Ende eine unheimliche Dringlichkeit erreichen und den unschuldigen Tonfall, mit dem sie dargeboten werden (Susanne Lipinski und Gudrun Plaichinger) sofort wieder obsolet führen.
SCHNALZEN speist sich aus Gegensätzen. Hier bleibt kein Stein auf dem anderen. Heimat und Fremde werden mit Volkskultur und Zeitgenössischem, mit Puppenspiel und Schnalzerklängen dekonstruiert. So in seine Einzelteile zerlegt, obliegt es jedem Betrachter, ein neues Bild vom Fremden zu kreieren. Tatsächlich scheint die Zeit günstig. Wenn nicht nach so einem Abend, wann dann?
Fotonachweis: Bernhard Müller
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