LYRIK LIEGT IN DER LUFT.
Ben Pascal vertonte den elfteiligen Gedichtezyklus SEBASTIAN IM TRAUM und setzte Georg Trakls literarischer Klangschönheit mit einer Big Band in Szene.
Salzburg hat ein divergentes Verhältnis zu seinen berühmten Töchtern und Söhnen. Die einen werden mit Ruhm, Marzipan-Kugeln und Schokoladen-Würfeln überhäuft. Die anderen, Zeit ihres Lebens eher depressiv, dürfen zwar am Ansehen naschen, müssen aber ohne nach ihnen benannten Leckereien ein posthumes Auskommen finden. Vielleicht ist aber auch genau diese angesprochene lebenslängliche Andersartigkeit der Grund, warum ihr literarisches Œuvre so einzigartig ausfällt. Georg Trakl ist einer von ihnen.
Seine Gedichte sind meistens düster und kreisen mit eigenwilliger Farbmetaphorik bevorzugt um den Abend, das Sterben, den Herbst oder den Untergang – manchmal auch mehreren Aspekten gemeinsam. Die späteren Texte, zu denen auch SEBASTIAN IM TRAUM zählt, besitzen obendrein noch eine bestimmte Musikalität.
Georg Trakl und die Big Band
Der elfteilige Zyklus SEBASTIAN IM TRAUM zählt zu Trakls Spätwerken und weckte das Interesse von Ben Pascal. Der Musiker, Regisseur, Schauspieler & Co stand zum 100jährigen Dichter-Jubiläum einst selbst als Georg Trakl auf der Bühne (warum ‚feiert‘ man eigentlich ein Todesjahr – sollte nicht eher auf die Geburt angestoßen werden?). Im Zuge dessen beschäftigte er sich auch intensiv mit Trakls Œuvre. Daraus entwickelte sich die Idee, SEBASTIAN IM TRAUM zu vertonen. Ein spannendes Unterfangen, das Ben Pascal mit einer Big Band komplettierte. Wobei sich der Künstler die Frage stellte, ob sich die fragile Welt des Dichters überhaupt mit der Wucht einer amerikanischen Band-Formation verträgt? Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen – ja, das tut sie. Denn genau diese Big-Band-Orchestrierung verleiht dem Zyklus eine eigenwillig spannende Note.
Spiel mir das Lied von Trakl
Abwechselnd homogen und disparat intoniert die Big Band unter der Leitung von Christoph Cech die polyseme Musikalität der literarischen Vorlage (Komposition: Ben Pascal). Immer mit dabei Ursi Wögerer als Leading Lady, die dem lyrischen Ich ihre Stimme leiht. Eine gelungene Wahl, die gerade durch ihre markante Stimmfarbe die Melancholie und Düsternis der Vorlage aufgreift und an manchen Stellen subtil so etwas wie zarte Freude durchblitzen lässt. Harmonisch begleitet Ursi Wögerer die Big Band oder wird von ihr instrumental in die Enge getrieben – aber selbst das erscheint weniger als Zufall denn als intendierte Musik-Dramaturgie. Das Sterben, der Untergang, die Kriegsgräuel und all die anderen düsteren Elemente in Trakls Lyrik werden hör- und damit in der Imagination auch greifbar.
Innere Welt
Die lyrische Welt ist bei Georg Trakl eine innere Welt; in sich geschlossen, seltsam-schön, beängstigend-traurig und mit großer Suggestionskraft. Diesen Ansatz greift auch Ben Pascal auf und ordnet jedem Gedicht eine eigene Stimmung und Farbe zu. Der musikalische Big-Band-Kosmos wird zur geschlossenen Welt mit ihren eigenen archetypischen Klang-Gestalten. Nebenbei sorgt Remo Rauscher für gelungene Live-Projektionen. Die haben nicht nur etwas seltsam Meditatives an sich, sondern greifen die klanglichen Motive auf und verleihen ihnen visuelle Körper. Düster wirft Rauscher schwarze Farbspuren auf das Papier; beinahe heiter vermengen sich Gelb und Blau oder wird das Rot auf der Küchenrolle plötzlich zur optischen Metapher für Trakls Kriegstraumata – 1914 musste er nach der Schlacht bei Grodek in einer Scheune etwa 90 Schwerverletzte alleine betreuen; ohne die Möglichkeit, ihnen medizinische Linderung zu verschaffen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf oszillieren die harten Schlagzeug-Töne (Thomas Käfel) zur klanglichen Kriegskulisse. Gewehrkugeln gleich peitschen die Schläge staccatoartig ins Publikum.
Das Wunderbare an SEBASTIAN IM TRAUM: Es ist so polysem wie sein literarisches Vorbild. Das heißt, der vertonte Gedichtezyklus ist frei interpretierbar und lässt die Imagination Purzelbäume schlagen. Die entstehenden Bilder mögen zwar manchmal, okay, meistens ins Melancholische tendieren, bergen aber spannende Aspekte – und bringen Georg Trakls Lyrik auf effiziente Art und Weise an die Zuschauer. Eine Variante, die man auch in den Schulen aufgreifen sollte. Damit ließe sich vermutlich der eine oder andere junge Mensch für Lyrik gewinnen. Nur das mit dem Klatschen darf in Salzburg an der ARGEkultur noch geübt werden. Eifrig applaudierte das Publikum nach jedem Gedicht und wartete nicht wie üblich das Ende des Stücks ab. Tja, das schreit nach der harten Schule des Festspielhauses. Hopp, hopp, worauf noch warten?! 😉
Fotonachweis: Ben Pascal
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