Warum der Buffo toll ist und die weibliche Intrigantin zum Publikumsliebling changiert.
Ich oute mich an dieser Stelle einfach: Ja, ich habe „Singin‘ in the Rain“ – DEN Hollywood-Musical-Klassiker schlechthin – noch nie auf der Leinwand erlebt. Und „Leinwand“ inkludiert natürlich auch den circa 30×30 Zentimeter großen Bildschirm meines Röhrenfernsehers, den ich seit dem 18. Lebensjahr stolz mein Eigen nennen darf. Der Wille war allerdings schon immer vorhanden. Es ist ja schon irgendwie unangenehm, wenn man von „Singin‘ in the Rain“ nur die eine Szene kennt und sich dieses Wissen mit vermutlich 90% der Weltbevölkerung teilen darf. Umso mehr freute ich mich jetzt über die Gelegenheit, mir den Hollywood-Klassiker in München zu Gemüte führen zu können.
SINGIN‘ IN THE RAIN funktioniert, und das erstaunt mich als „Singin‘ in the Rain“-Neuling nur marginal, auch ohne Regen. Sehr zur Freude von Freundin M. und mir, die wir recht wenig Lust verspüren, an einem verregneten Nachmittag durch Bayerns Hauptstadt zu wandeln. Nein, als wahre Glückspilze suchen wir stattdessen eine halbe Stunde in der Umgebung des Prinzregententheaters nach einem Café. Wir werden fündig; tatsächlich entdecken wir sehr viel, u.a. zahlreiche internationale Lokalitäten, auffallend viele bierlastige Gastro-Betriebe, ein sich im Umbau befindliches Einkaufszentrum und ja, endlich auch eine Bäckerei mit Café-Betrieb. Das Leben liebt uns und wir die endlich mögliche Zuckerzufuhr.
Entsprechend mit neuer Energie versehen stehen wir kurz darauf staunend im Saal des Prinzregententheaters. Freundin M. betrachtet noch faszinierter die Deckenbemalung in den Räumlichkeiten davor (immer diese Kunststudentinnen 😉 ), die mich anfangs kalt lässt, da ich genau in diesem Moment die etwas versteckte Tür zum „Nassbereich“ entdecke. Danach – zu meiner Ehrenrettung – bin ich ebenfalls gebührend beeindruckt. Pompös!
Es ist laut, es glitzert und es versprüht extrem gute Laune. – Apropos beeindruckt. Als sich der Vorhang öffnet, erwartet uns das alte, tonlose Hollywood, das sich bei einer Filmpremiere gerade selbst feiert. Don Lockwood und Lina Lamont sind als Ehrengäste geladen, die Paparazzi fotografieren, was ihre Kameras hergeben und die Fans jubeln, während die schick gekleidete Dora Bailey live für ihre Fans hinter den Radioapparaturen kommentiert. Noch etwas hin- und hergerissen goutiert die Verfasserin das bunte Treiben und die Lebendigkeit der Eingangsszene. Es ist laut, es glitzert und es versprüht extrem gute Laune. Es kann also nur gefallen. Nach den ersten narrativen Verwirrungen (das passiert, wenn man mit dem Inhalt nicht vertraut ist und sein Handy am Hauptbahnhof nicht mehr nach dem Stück befragt, weil sich dort seltsame Gestalten herumtreiben, um Geld schnorren, damit jegliche Internet-Recherche verleiden, weil einen stattdessen spontane Panik vor plötzlichem Handyzwangsverlust durchfährt) läuft auch der Plot. Davor entzücken noch schnell zwei gar allerliebste Knaben, die die Erinnerung von klein-Don und klein-Cosmo verkörpern. Don Lockwood (Daniel Prohaska) und Cosmo Brown (Peter Lesiak) sind nämlich beste Freunde. Allerbeste Freunde. Und nebenbei auch Stummfilm-Star und Stummfilm-Komponist.
Ganz in Manier des ohnehin stimmlich und schauspielerisch exzellenten Gärtnerplatztheater-Ensembles ist D. Prohaska ein famoser Lockwood, der natürlich vokal absolut bezaubert und mittels seiner Steppeinlagen und Spielfreude den bisher ohnehin nie auf der Leinwand erlebten Gene Kelly keinesfalls vermissen lässt. Besonders beim titelgebenden Song (no-na-ned) „Singin‘ in the Rain“ wird dieser Enthusiasmus greifbar und kulminiert in den enthusiastischen Sprünge durch die Bühnen-Pfütze. Das ist ansteckend, gut also, dass der Regen auf die Bühne beschränkt bleibt und es im Saal keine artifiziellen Wasserquellen gibt; stattdessen allerdings Sicht auf die wunderbare Kulisse (Bühne und Kostüme nach Rolf Langenfass). Zurück zum lebensfrohen Buffo Cosmo. P. Lesiak brilliert in dieser Rolle und makes ‚em sprichwörtlich laugh im dazugehörenden Song. Fabelhaft übrigens wie expressiv der Buffo Part an Lesiaks gesamter Mimik und Körperlichkeit zum Ausdruck kommt. Spätestens wenn er den Stuhl lässig nebenbei um springt beziehungsweise das neue Dreamteam (Don, Kathy, Cosmo) das Sofa (oh mein Gott, bitte landet nicht im Orchestergraben), ja, spätestens dann wird man schon ein klein wenig eifersüchtig. Ich will auch. Wobei, nein, lieber nicht, die Leichtigkeit, mit der Cosmos und die anderen im Stück diverse Sitzmöglichkeiten nieder laufen, ist vermutlich hart antrainiert.
Und dann ist da noch Kathy. Don, der alteingesessene Stummfilm-Star stolpert eines nachts beinahe zufällig über sie an einer Bushaltstelle: Kathy Selden (Nadine Zeintl), die aufstrebende Theaterschauspielerin, die nichts vom Stummfilm hält, weil das doch ohnehin nur Pantomime ist und das ein jeder kann, die aber vorerst noch als Tänzerin arbeitet, weil sie sonst ohne Job wäre, kabbelt sich gar hinreißend mit Don. Das, steht schnell fest, kann nur wahre Liebe sein. Wird sie auch, sobald ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt sind. Dazwischen hüpft Kathy bei Don und Linas Premieren-Sause aus einer Torte, intoniert mit Don und Cosmo fabelhaft „Good morning“ (ziemlich mitreißend und jetzt weiß ich endlich, dass nein, das kein Song ist, den die famose Miss Li erfunden hat) und versucht, die Situation zu retten und Lina Lamont ohne deren Wissen zu synchronisieren.
B. Mönch in einer weiteren Paraderolle. Apropos. Lina Lamont (Bettina Mönch) hat eine wirklich furchtbare Sprech- und Singstimme. Das wissen alle, nur Lina leider hat keine Ahnung. Trotzig und intrigant reagiert sie deshalb auf die wohlmeinenden Versuche, ihre Stimme unter Verschluss zu halten. Naiv und arrogant beansprucht sie Don für sich und arbeitet gegen Kathy. Lina ist also, kurzum, ein ziemlich unangenehmer Charakter und trotzdem könnte das österreichische Zuschauerherz – und vermutlich auch alle deutschen und anders „ländischen“ im Saal – ihr kaum mehr zugetan sein. Das hat sie vermutlich B. Mönch zu verdanken, die immer gnadenlos pointiert und herrlich naiv ihre Charaktere erstrahlen lässt. Mimik und Gestik sind ihre besten Freunde und lassen das Publikum in begeisterten Beifall ausbrechen. Sie behält Linas köstliche Sprachfehler konsequent den ganzen Abend bei und verleiht ihnen eine herrlich luftige Note. „Pierrääää“ ertönt es schrill-kreischend und so gar nicht französisch aus ihrem neuesten Tonfilm, und noch einmal „Pierräääää“, bevor sie schrill weiter parliert und das Premierenpublikum auf der Bühne die Flucht ergreifen lässt. Das andere Publikum ist höchst amüsiert und die Schreiberin dieser Zeilen beeindruckt, weil Mönch auf Wunsch ihre großartigen Stimme so atonal erklingen lassen kann, nur um dem Song dann unvermutet und ohne wirklich den Übergang zu entblößen, höchst brillant zu enden. I like (um grammatikalisch fehlerhaften Facebook-Jaron zu bemühen).
Was noch? Vieles vermutlich. Details sind liebevoll ausgearbeitet; vom betagten Millionär, der mit seiner vierfach so jungen Begleitung und der Notbeatmung beim Tanzen über die Bühne schwebt, über ein wirklich fabelhaftes „Moses supposes“, das meine Zunge bereits krachen lässt, wenn ich nur daran denke und die gelungene Orchestrierung eines extrem spielfreudigen Orchester (Gärtnerplatzorchester unter der Leitung von Jeff Frohner) bis hin zu den fabelhaften Stepptanzeinlagen der ProtagonistInnen und des Balletts.
Ich würde sagen, der Besuch hat sich gelohnt, definitiv. Und danach sprinten wir zum Bahnhof, der sich – danke, danke liebe Planer des Ostbahnhofes – in unmittelbarer Nähe zum Prinzregententheaters befindet. („Unmittelbare Nähe“ bezeichnet in der zeitlichen Umrechnung von Verfasserin und Freundin M. „18 Minuten“ per pedes. Nach der Vorstellung nur noch „15“.) Fabelhaft. Die nette Dame von der Garderobe hat unsere Jacken und Mäntel mittlerweile bereits extra mit Wäscheklammern versehen, um sie nach Stückende schneller ausfindig zu machen. Ich sammle sie trotzdem spontan in der Pause ein, woraufhin sie uns obendrauf noch eine gute Fahrt wünscht. Sehr lieb. (Danke also auch super freundliches und zuvorkommendes Garderobenpersonal!).
Im nun eben gerade nicht verpassten vorletzten Zug sind dann nicht nur massig Menschen anwesend, sondern auch – und das bis in die frühen Morgenstunden – „Singin‘ in the rain“ und „Good morning“. Persistent diese Ohrwürmer, äußerst persistent.
Fotonachweis: (c) Marie-Laure Briane // Gärtnerplatztheater München