Da jucken die Beine und zucken die Gegensätze. Georg Büttels „Tanz auf dem Vulkan“ am Teamtheater in München ist ein wilder Reigen durch die zwanziger Jahre mit Blick in die Moderne.
Schon als Kinder lernen wir, nicht zu nah ans Feuer zu treten, es könnte schmerzhaft werden. Regisseur Georg Büttel scheint das wenig zu kümmern. Stattdessen bittet er das Ensemble im Teamtheater gleich zum ganzen „Tanz auf dem Vulkan“ (Bühne: Thomas Bruner, Kostüme: Bianca Schmidt-Hedwig). Es ist feurig, es ist gefährlich und es ist ein Panoptikum der Wilden Zwanziger. Diese goldenen Jahre, die von der Euphorie der Nachkriegszeit und ihren Extremen geprägt waren. Der Titel ist hier Programm und das Stück eine literarische-musikalische-dramatische Hommage der unterschiedlichsten Wort-Koryphäen, die zahlreiche emotionale Stadien durchläuft. Statt auf einen einzigen Autor zu setzen, bediente sich Georg Büttel aus einem breiten Portfolio an klugen Künstlern und Künstlerinnen des Fin de Siècles. Von Ödön von Horváth, Kurt Tucholsky, Karl Kraus, Lili Grün über Stefan Zweig und Erich Knauf.
Ode an die Wilden Zwanziger
Der Charleston sitzt, wackelt und hat Luft, wenn Silke Franz, Anna Knott und Lea Luisa Schönhuber kess die Beine schwingen und mit den Knien wackeln, als gäbe es kein Morgen (Choregrafie: Anna Knott). Die Berliner Schnauze fabuliert frech und frei vor sich hin. Die Lebenslust ist überbordend und ansteckend. Wäre man alt genug, würde man sich an dieser Stelle gewiss an die schöne alte Zeit damals am Kurfürstendamm erinnern. Aber, man ist ja weder Berlinerin noch anno 1889. Das Seufzen kommt trotzdem von Herzen und die Goldenen Jahre waren selten so nahe. Büttels Inszenierung avanciert zur Zeitkapsel. Einmal aufgeklappt, tanzt und lacht es aus dem verheißungsvollen Ding. Aber, wie es einer Zeitkapsel halt so eigen ist, bewahrt sie alles, auch die schlechten Phasen. Das schillernde Panoptikum kann auch roh, schonungslos und düster.
Alles liegt im Auge des Betrachters – oder desjenigen, der die Szenen arrangierte. Georg Büttel überließ nichts dem Zufall. Genau wie die Goldenen Zwanziger, die von Gegensätzen aus Reichen und Armen, Mächtigen und Ohnmächtigen, Agierenden und Amüsierwütigen geprägt sind, fällt auch die Abfolge der Szenen entsprechend konträr aus. Auf die Erzählung von den für wenige Dollar ganze Häuserreihen aufkaufenden Amerikanern folgt der bettelnde Kriegsversehrte, auf den folgt das Oktoberfest, zu dem der eben erst eingesparte Kasimir (Max Pfnür) seine Karoline (Anna Knott) trifft, die zwar noch einen Job, aber bald keinen Kasimir mehr hat. So rührend und doch so gnadenlos, dieser Querschnitt einer Zeit, die – und das ist das perfide – auch die eigene sein könnte.
„Tanz auf dem Vulkan“: Selbstironie trifft Oktoberfest
Der aufkeimende Nationalsozialismus ist ebenso Thema in einer humorigen Szene rund um den Tafelhuber Toni, deren Titel an Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“ erinnert, aber von Horváth stammt („Wie der Tafelhuber Toni seinen Hitler verleugnet hat“). Max Pfnür verrenkt sich, gestisch wie mimisch, was das Zeug hält. Anna Knott gibt die kokette Tänzerin, die ganz bayerische Circe dann halt doch Sozialdemokratin ist und keinen Nationalsozialisten möchte. Das Publikum ist außer Rand und Band. Für ähnliche Abwechslung sorgt die Szene mit den Oberammergauer Passionsspielen. Ganz heilig sehen sie aus, die SchauspielerInnen da vorne als Engeln, Jungfrau und Jesus verkleidetet. Aber wehe sie machen den Mund auf, da tönt es plötzlich wie aus einem bayerischen Musical – und das geht ins Ohr. Selbstironie wird großgeschrieben und steigert das Oktoberfestflair, das auch zufällig gerade vor dem Haus tobt.
Aber auch der Aufschwung der Frauenbewegung wird thematisiert. So viele Volltreffer, was die Goldenen Zwanziger betrifft. Fast könnte angenommen werden, der Regisseur wollte ein Lehrstück entwickeln und saß dafür mit Klemmbord vor dem Regiebuch, um penibel auch wirklich alle Programmpunkte unterzubekommen. Von A wie Arbeitslosigkeit bis J wie Jazz. Selbst wenn dem so gewesen wäre, es ist wohltuend zu sehen, dass auch die Frauen im Fokus stehen dürfen – und sei die Szene um die gewünschte Abtreibung noch so bitter (Lea Luisa Schönhuber als ungewollt Schwangere und Max Pfnür als Arzt, dessen gute Laune-Predigt allmählich mit den immer selben Worten kippt). Eindrücklich hinterlässt sie einen fahlen Nachgeschmack. Den verstärkt die Kaffeefahrt zu den Schlachtfeldern von Verdun. Karl Kraus‘ bedrückender Text wird als fröhliche Werbeeinschaltung präsentiert, die für das optimale Maß an Beklemmung sorgt. Den „kosmischen Schindanger“, wie so herrlich pointiert im Stück ausgewiesen, wünscht man sich spätestens an dieser Stelle her.
Wilder Zwanziger-Reigen
Zu sehen und aufzunehmen gibt es an diesem Abend viel. Der Wilde-Zwanziger-Reigen dreht sich sozialkritisch weiter und wird zum Querschnitt einer Zeit, die zugleich auch Pate für die Moderne stehen könnte. Als wäre das noch nicht genug, legt das Ensemble mit den Loops noch einen drauf. Dafür werden die eigenen Stimmen und Geräusche aufgenommen und rekordverdächtig übereinander gestapelt – für die Performance dorthin gibt’s außerdem eine 1 mit Sternchen obendrauf. Das Ergebnis sind Soundkaskaden, die je nach Bedarf die Geräuschekulisse eines Wirtshauses oder eines Volksfests simulieren. Das scheint passend. So modern die Mittel, so modern ist auch diese Revue (Musik & Gesangseinstudierung: Thomas Unruh). Die Parallelen sind frappant und der titelgebende Vulkan könnte tatsächlich jederzeit eruptieren: Scharfzüngig, pointiert und wunderbar eloquent.
Fotonachweis: Teamtheater / Robert Haas
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