The Black Rider | Ensemble (c) Jan Friese

The Black Rider – Schauspielhaus Salzburg

Warum in die Oper gehen? Sieh, die Freischütz-Persiflage liegt so nah.

„The Black Rider“ am Schauspielhaus Salzburg: Ein Anti-Musical, das als skurriler Traum grotesk gelungene Töne spukt und vorzüglich unterhält.

Treffen sich ein Musiker, ein Ex-Junkie und ein Regisseur im Theater… Nein, keine Sorge, es folgt kein Anti-Witz, nur ein Anti-Musical: „The Black Rider“. Das ist das Produkt der kreativen Allianz, die Jürgen Flimm einst genau zu diesem Zweck ans Thalia Theater in die Hansestadt beorderte. Es sollte sein Schaden nicht sein. Das verrückte Stück ging durch die Decke. Ein bisschen Vaudeville, ein bisschen Cabaret, etwas Circus und etwas Oper. „The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets“ ist eine wilde Mischung aus den unterschiedlichsten Einflüssen und eine Persiflage auf Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“.

In aller Plot Kürze

Wilhelm will heiraten – und zwar just die Tochter des Försters. Ein Umstand, der suboptimal scheint, schließlich ist ein gelungener Probeschuss die Voraussetzung für die Hand des hübschen Käthchens. Gar nicht so einfach für einen Schreiberling. Doch oh Schreck, je näher diese Probe rückt, desto unsicherer werden Wilhelms Schießkünste. In seiner Verzweiflung nimmt er von einem geheimnisvollen Mann Kugeln an, die ihr Ziel niemals verfehlen. Schnell gewöhnt sich Wilhelm an die magischen Kugeln, für den Probeschuss müssen bereits neue hergestellt werden. Da er den Fremden nicht wiedersieht, macht sich Wilhelm selbst an das Zauberwerk und lockt so den schwarzen Mann herbei, der die Bedingung für die magischen Kugeln nennt: Sechs Kugeln sollen Wilhelm gehören, aber die siebte, die sei sein.The Black Rider | Ensemble (c) Jan Friese

Anti-Musical mit Wumms und Verve

Warum Stunden in einer romantischen Oper absitzen, wenn es auch durchgeknallt und temporeich funktioniert. Mit „The Black Rider“ holte Robert Pienz ein Musical ans Haus, das zugleich voll aus dem Rahmen fällt. Kein Wunder, schließlich schrieb Tom Waits die Musik, Beatnik und Ex-Junkie William S. Burroughs das Libretto und Bob Wilson war für die visuelle Umsetzung verantwortlich. Schräg ist vermutlich auch genau deshalb eine Untertreibung. Die Texte sind bilingual, stark reduziert, aber meistens gereimt und selten sinnstiftend. Tatsächlich muten die Dialoge an einen Trip  an. Der kommt allerdings ohne illegale Substanzen aus, macht Spaß und ist gesundheitlich absolut unbedenklich. Auch ohne Flimms prominentes Team hat dieser „Black Rider“ Wumms und sehr viel Verve. Dafür griffen Ausstattung und Maske (Ragna Heiny und Marliesa Hagn) tief in die Farbtöpfe. Die daraus resultierende Visualität holt die Persiflage des Freischützs aus seinen düsteren, melancholischen Uraufführungssphären an die breite Salzburger Öffentlichkeit. Ein Publikum, das vermutlich nicht ins Thalia Theater nach Hamburg pilgern würde, um die neueste Theaterkunst zu bewundern, aber sich trotzdem an etwas Abwechslung erfreut.

Definitely your circus, definitely your monkeysThe Black Rider | Stelzfuß (Olaf Salzer) und Wilhelm (Wolfgang Kandler)

Die optische Schlagkraft ist ein Indiz. Abgerundet wird sie durch weiße Bühnendeko, die an Scherenschnitt erinnert. Die musikalische Inszenierung ist die Bestätigung: Der Circus als perfekter Rahmen für ein Stück, das wie ein skurriler Traum mit Schattenwelt anmutet. Mitverantwortlich dafür Stelzfuß. Olaf Salzer schlüpft in diese Mischung aus Conferencier und Beelzebub und begeistert mit beidem: Charmant und diabolisch verschenkt die Figur gönnerhaft ihre Freikugeln an den ahnungslosen Wilhelm und ist dabei teuflisch gut gelaunt. Den Wilhelm gibt Wolfgang Kandler mit Verrenkungen in alle Richtungen und treuherzigem Slapstick. Dieser naive Schreiberling erregt Mitleid, wenn er sich ahnungslos vom listigen Stelzfuß umgarnt lässt („Just the right bullets“). Lustiger Sidekick in allen Gassen: Simon Jaritz-Rudles Robert. Der Wilderer übt sich ebenfalls in mimischen und gestischen Verrenkungen. Das kommt an. Vor allem, wenn er plötzlich hingebungsvoll „November“ intoniert, auf dem glitzernden Hirsch, mit Bianca Farthofer als, äh, fleischgewordener Hirsch. Immer wieder ambivalent in verschiedenen Rollen unterwegs, Marko Vlatkovic.The Black Rider | Stelzfuß (Olaf Salzer) & Käthchen (Johanna Egger)

Der Teufel liegt im Detail

„Black Rider“ persifliert den Freischütz auf subtile Weise, in dem es seine Tradition in Frage stellt: Der Bräutigam muss sich als vortrefflicher Jäger erweisen, bevor er die blutjunge Braut zur Frau bekommt. Als Inkarnation so eines unbescholtenen Wesens ist Johanna Egger die ideale Besetzung. Lieblich, mädchenhaft und meistens in unschuldiges Weiß gehüllt, singt sie mit klarer Stimme und hofft auf ihren Wilhelm. Als er kurz vor der Hochzeit mit den Schüssen schwächelt (der Nachschub von Stelzfuß lässt zu wünschen übrig), gibt sich auch Braut Käthchen erstaunlich abweisend. Tja, wenn die Performance nicht stimmt, kennt auch eine verliebte Jägerstochter keine Gnade. Natürlich ist ein Haken dran, wo Stelzfuß draufsteht. Die Eltern scheinen Beelzebubs verirrte Kugel nur marginal zu betrauern. Anne (gelungen nonchalant und stimmkräftig Bina Blumencron) schubst die leblose Tochter in die Arme des Vaters (Theo Helm entsprechend barsch und verbohrt), der sie wieder zurück zur Mutter taumeln lässt. So geht das hin und her, bevor sie bei Wilhelm landet.The Black Rider | Herzog (Marcus Marotte) & Wilderer (Simon Jaritz-Rudle)

Gut gespukt: The Black Rider

Persiflage auf die Jägertradition vergangener Zeiten ist auch der Ur-Kuno. Der erste in der Familienlinie, der das Land sein Eigen nennen durfte, dem man aber entsprechend misstraute, weswegen er jährlich einen Probeschuss liefern musste. Marcus Marotte gibt den gespenstigen Ahn als eine Art Gemäldeerscheinung. Gut gespukt, Herr Kuno. Schade nur, dass das Bild in der ebenfalls surrealen Kulisse mit den aus den Fugen geratenen Dimensionen beinahe unterzugehen scheint. Die Optik von letzterem ist an Bob Wilsons Original angelehnt und sehr gelungen inszeniert. Auch, dass die Gesichter der Darsteller*innen eine Mischung aus Weißclown und Vaudeville erinnern, ist passend und fügt sich stimmig ins circusaffine Gesamtkonzept. Nichts anderes als es ein Circus, ein volkstümlicher, ist auch die Legende des Freischützs. Dem verpasste das Black Rider Orchestra unter der musikalischen Leitung von Gernot Haslauer großartig tempo- und facettenreich ihren Feinschliff mit den unterschiedlichsten musikalischen Anleihen. So macht Musical tatsächlich Spaß – und sollte öfters stattfinden. Gerne auch mit Album.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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