We Care | Kollektiv Kollinski Sozial

We Care – Kollektiv Kollinski | Gold Extra | Szene Salzburg

Theater lieber ungemütlich: „We Care“ bei der Sommer Szene – eine aufmüpfige Performance, die so heiter wie tragisch daherkommt und nicht nur olfaktorisch in die Vollen geht.

Der Mensch ist ein Auslaufmodell, findet die Reinigungsfachkraft mit eigenem „We Care“-Unternehmen. Nur zwei Arme, zwei Beine und ein Kopf, der sich noch nicht mal um 360 Grad wenden lassen kann. Da geht doch noch mehr: Von säureresistenten Fingern über Größen verstellbaren Körpern. Die Liste ist lange, sehr lange. Sie stammt von der Powerfrau hinter dem Putzwagen, die in knallpinkem Blazer das Publikum mit einem Schwall Kroatisch in den Leerstand lotst. „Dalje, dalje“, weiter, weiter also. Dass das keine gemütlichen 80 Minuten werden können, ist klar. Schließlich steckt das Kollektiv Kollinski Sozial (aha, Kollektiv Kollinski hat ein Update erhalten?) und Gold Extra dahinter. Beide lassen selten einen Stein auf dem anderen und prangern Missstände lieber an, als sie stumm zu akzeptieren. Dass das Ganze in einem Leerstand im AVA-Hof passiert, sind zwei Fliegen auf einen Streich.

Unsung heroes

„We Care“ ist der neueste Bühnenclou, der aus der herrlich aufmüpfigen Allianz in Kooperation mit der Sommerszene entstand und sich so gar nicht festlegen lässt. Die Performance nimmt sich kein Blatt vor den Mund, sondern wühlt paradigmatisch im Partydreck, der sich als gesellschaftlicher, moralischer Abfall entpuppt. Putzen, Pflege, 24 Stunden am Tag und besonders gerne zu Randzeiten. Mit „We Care“ wird die Aufmerksamkeit auf die Unberührbaren der mitteleuropäischen Gesellschaft gelenkt, die in prekären Arbeitssituationen stecken.

Das Perfide wie geistreiche, die Regie (Sonja Prlić, Karl Zechenter) verleiht ihrem Aushängeschild ein freches, selbstbewusstes Gesicht. Diese Facility-Managerin (Susanne Lipinski) macht Spaß. Sie reißt mit, ist herrlich selbstironisch und immer gut drauf. Bis die Fassade bröckelt. Susanne Lipinski lässt tief in ihre Figur blicken, die sich von der virtuellen Assistentin manisch ihre Arbeitsleistung berechnen lässt und alsbald den lieben Nachwuchs zur Oma „nach unten“ verbannt. Weil dort in Kroatien bei der Oma, da sind sie doch eh so gerne – und dann kann sie noch ein paar mehr Stunden machen und der Löwe auf dem Gartenzaun ist auch gesichert. „We Care“ bedient jedes Klischee und genau das verleiht ihm einen starken Wiedererkennungswert, der breitenwirksam aufgestellt ist.

Olfaktorisches Dilemma: We Care

Das Stück muss nicht schön sein und ist es auch nicht. Hier wird mit Optik und Gerüchen hantiert. Die Bühne ist ein penibel kurartiertes Chaos (Selina Nowak), das die Protagonistin nur vordergründig reinigt. Am Ende ist der Saustall perfekt. Wen die moralische Komponente nicht jucken sollte, dem möchte man ein Herz aus Stein attestieren und spätestens die olfaktorische Komponente wird selbst die Herzlosesten übel treffen. Inspiriert von den Klimaklebern, wird mit etwas gemanscht, das verdächtig nach Chili sin Carne aussieht. Authentizität ist alles. Überhaupt ist „We Care“ randvoll mit Zitaten, Parallelen und optischem wie visuellem Schabernack. Wo also nur beginnen?

Personal Assistant als Helferin der Entrechteten

Vielleicht bei der KI, die hier Anna heißt, in einem Zylinder wohnt, der an einen Teekocher erinnert und mit einem lapidaren „Hey, Anna!“ begrüßt wird. Anna ist der Virtual Assistant und eine gute KI, deshalb wird sie nicht müde, Reportagen-Schnipsel zur prekären Situation von Arbeitsmigrantinnen einzustreuen. Computerspielereien, die schon wieder etwas überholt wirken, verbinden sich mit KI-generierten Räumlichkeiten und Licht-Eskapaden. Dazwischen die Schauspielerin, die gerne die Perspektive wechselt und andere Figuren aus dem gleichen beruflichen Milieu einnimmt. Egal ob hyper-fröhlich („Ich bin eine Cleanfluencerin!“) oder desillusioniert, das Reinigungsdamendasein hält viele (gesellschaftliche) Facetten und Abgründe bereit.

Wenn die Reinigungsfachkraft am ominösen Fleck auf dem Boden rumschnüffelt und fachkundig analysiert, erinnert sie an die TV-Serie „Der Tatortreiniger“. Wenn das Licht flimmert und der Bass wummert, ravt sie hinter dem Publikum vorbei, als gäbe es kein Morgen. Selten kommentiert sie die Einspielungen auf der Bühne, die durch ihr simples Sein und Ignoriert werden, ihre volle tragische Kraft entfalten. Das Bild, das die Koproduktion von Gold Extra, Kollektiv Kollinski Sozial und die Szene Salzburg daraus zaubern, ist so heiter wie tragisch, so auf den Punkt wie desillusionierend.

 

Fotonachweis: Bernhard Müller

 

Konzept: Susanne Lipinski, Sonja Prlić, Karl Zechenter
Schauspiel: Susanne Lipinski
Regie, Dramaturgie: Sonja Prlić, Karl Zechenter
Licht, Soundgestaltung, Softwaresteuerung, elektronische Devices: Sebastian Frisch
Bühne & Kostüm: Selina Nowak
Projektionen & Animationen: Reinhold Bidner, Tobias Hammerle
Organisation: Sophia Reiterer
Musik: Sebastian Frisch, Karl Zechenter
Musikalische Beratung: Gudrun Plaichinger

 

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