Zuhause – Schauspielhaus Salzburg

Zu Gast in fremden Psychen. – Ingrid Lausunds ZUHAUSE (Regie: Caroline Richards) monologisiert pointiert und präzise am Schauspielhaus Salzburg.

„Bless this home…“. – Sechs quer über das Bühnenbild verstreute Personen blicken starr gerade aus und grinsen pathologisch zu amerikanischen Fernsehidyllklängen ins Publikum. Dann bricht das Idyll und in acht Episoden darf das Publikum einen kleinen Blick über den heimischen Tellerrand werfen.

Ingrid Lausund scheint ein Faible für Alltagsorte zu besitzen. Eines ihrer Stücke spielt im Supermarkt („Hysterikon“), ein anderes im BüroZUHAUSE von Ingrid Lausund („Bandscheibenvorfall“) und dann erhält sogar noch die Tür eine eigene Stimme („Tür auf, Tür zu“). Wenig verwunderlich also, dass sich Lausund irgendwann auch mit dem Rückzugsort par exellence auseinandersetzte und das Zuhause auf die Bühne bat. Caroline Richards inszenierte das Stück jetzt am Schauspielhaus Salzburg und erhält mit den Lausund’schen Monologen sogleich das ideale Sezierbesteck für eine gelungene Obduktion der menschlichen Psyche.

In einstöckigen Wohnbereichsansammlungen monologisieren in verschiedenen Sequenzen schräge Gattungsexemplare, die so exaltiert vielleicht gar nicht sind. Das naturalistisch farbenfrohe und stellenweise reduzierte Bühnenbild (Ragna Heiny) unterstützt mit seinem Interieur Richards Inszenierung und spiegelt formvollendet das Seelenleben seiner Bewohner*innen. Dabei beginnen die einzelnen separaten Szenen meist höchst humorig und leicht, doch der Schein trügt und die Demontage der alltäglichen Situationen schreitet voran. In grotesk amüsanten Episoden flieht ein junger Mann (Magnus Pflüger) in einer IKEA Filiale vor den mephistophelisch anmutenden, ewig lächelnden Meinungsumfragemenschen (Christiane Warnecke und Lukas Möschl) und rebelliert gegen aufgedrängte Wegmarkierungen. ZUHAUSE von Ingrid LausundDa ist aber auch die junge Frau (Alexandra Sagurna), die liberal und weltoffen sein möchte. Deshalb engagiert sie eine türkische Reinigungskraft. Die Vorurteile, die unter ihrer freundlich-empathischen Oberflächen brodeln, kann sie trotzdem nicht abschütteln. Emotional berührend vor allem der naive junge Mann (L. Möschl), der unbekümmert im Kühlschrank hockend über jahrelange Misshandlungen und Demütigungen parliert und stolz immer wieder seine Erfolge repetiert. Angesichts der tragischen Geschichte sollte das Lachen eigentlich in der Kehle ersticken, alleine tut es das nicht. Stattdessen erliegt das Publikum im Saal seiner freimütigen Arglosigkeit und dem darin verborgenen Charme. Und lacht. Und schluckt betroffen. Und lacht dann trotzdem weiter.

Es ist auffallend, dass alle Figuren, diese exemplarischen Individuen, an irgendwelchen versteckten Neurosen und Dissoziationen leiden. Eine junge Frau (Ch. Warnecke) will sich ihrem abendliches Baderitual hingeben. Sie fühlt sich sichtlich wohl in ihrem exklusiven Wohntraum. Einzig dass das, was als erotischer Traum in der Wanne beginnt und das Publikum köstlich unterhält, ziemlich bald zu einem Albtraum avanciert. Die junge Frau sieht unvermutet ihr höchst privates Reich von Dritte-Welt-Phantasien invadiert und reagiert panisch. Da wird dann auch schon einmal prophylaktisch der Staubwedel zur Selbstverteidigung geschwungen, doch das schlechte Gewissen lässt sich nicht so einfach vertreiben.

Lausund prononciert mit „Bin nebenan! Monologe für Zuhause“ das innerliche wie äußerliche Zuhause. Liebevoll benennen deshalb auch dZUHAUSE von Ingrid Lausundie Protagonist*innen in Richards Regiearbeit sämtliche Details ihrer Heimstätten, kennen die Namen jedes Einrichtungsgegenstandes und  können ihre Euphorie über ihre Luxusgüter nur schwer disziplinieren. Stattdessen berauschen sie sich höchst amüsant an den erworbenen Accessoires (u.a. Ch. Warnecke, B. Heidegger). Dem Tragischen wohnt dabei stets die Komik inne; die Einzeldarstellungen verdichten sich zum großen Finale und die Innenschau nimmt köstlich anthropomorphe Züge an. Gelungen Antony Connor als boshafte Mutter mit eigenem musikalischem Thema, Ch. Warnecke als empörter Erzengel Michael und A. Sagurna als ertränktes und deshalb sehr gekränktes Croissant.

Die Tür zu den Bühnennachbar*innen für einen Abend fällt wieder ins Schloss. Halt, was ist denn jetzt nun eigentlich dieses Zuhause? Die Frage darf jede*r für sich ergründen. Heiter-pathologisch wird stattdessen noch einmal zu „Bless this home…“-Tönen grotesk ins Publikum gegrinst, das einem ganz Angst und Bange werden möchte. Die schöne Fassade ist retabliert. Nichts erinnert mehr an die demaskierende Innenschau. Stattdessen erklingen jetzt die vor Idylle triefenden Stimmen von John-Boy und seiner Familie zum Nachtgruß aus dem Fernsehgerät und werden sogleich durch die vorangegangenen Theaterstunden ad absurdum geführt. Sehr passend.

 

Bildnachweis: Gregor Hofstätter // Schauspielhaus Salzburg

 

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