Mathematik und Kunst, geht das? Ja. – MÖBIUS. Eine Musikschleife am Toihaus Salzburg.
Ziemlich genau vor 158 Jahren entdeckten zwei Mathematiker unabhängig von einander das gleiche unendliche Phänomen, die Möbiusschleife. Bei dem Fund handelt es sich um eine Fläche mit nur einer Seite und einer Kante. Verstanden?
Die nüchterne Beschreibung klingt bereits verhältnismäßig abstrakt für eine Nicht-Physikerin wie mich, selbst wenn sie in diesem Fach über die Bernoulli’sche Gleichung maturierten (was übrigens noch keineswegs zum trendigen Big Bang Theory-Nerd qualifiziert – leider). Und dennoch ist die Möbiusschleife den meisten vermutlich wohlbekannter, als ihnen im ersten Augenblick bewusst sein dürfte.
Zu gewissem Ruhm verhalf M.C. Escher dem unendlichen geometrischen Phänomen, als der Künstler in einem Bild Armeisen über die Endlosschleife spazieren ließ. Ein Kunstobjekt ward etabliert und erfreut seither die darstellende und andere Kunstformen in unterschiedlichen Größen und Variationen. In der alten Bibliothek des Stiftes Melk steht ebenfalls so eine Möbiusschleife und inspirierte Gudrun Raber-Plaichinger zur elektronischen Performance MÖBIUS. EINE MUSIKSCHLEIFE. Die Künstlerin war von dem Phänomen so fasziniert, dass sie den experimentellen Gedanken fasste, das Unendlichkeitsband zu vertonen.
Das Resultat ist aktuell am Toihaus Salzburg zu bewundern. Mit Beginn der Vorstellung begibt sich das Publikum voll und ganz, psychisch wie physisch in eine Musikschleife; zuerst ist der Bühnenraum allerdings noch Bühnenraum und die Besucher*innen nehmen auf fein säuberlich und quer durch den ganzen Raum drapierten Stühlen Platz. Lichtsäulen scheinen wie zufällig platziert, in den vier Ecken findet sich bereits das elektronische Equipment der vier Musiker*innen (Matthias Leboucher, Yorgos Pervolarakis, Yoko Yagihara und Gudrun Raber-Plaichinger // Bühnenbild und Raumgestaltung: Florian Medicus und Felix Strasser), die noch vor Einsetzen der Musikschleife Position beziehen. Die Lichtsäulen beginnen zu pulsieren und die ersten Töne ergießen sich in den Raum, der genauso ohne Oben, Unten, Zwischen, Innen und Außen zu sein scheint, wie sein mathematisches Vorbild. „Die Schleife ist richtungslos, räumlich nicht fassbar. Und sie ist endlos. Klingt auf einem einzigen steten Ton: A – Ihr Name: A:Möbius.“ (Gudrun Raber-Plaichinger). Tatsächlich scheinen die evozierten Töne eingangs zufällig und atonal in sämtliche Richtungen zu strömen. Vermeintlich unkoordiniert, laut und leise, elektronisch und akustisch irren sie im Raum umher, entfernen sich und kommen wieder näher. Alles oszilliert zu einer Schleife und einem Organismus, sogar die eigenen Gedanken schließen sich der Rhythmik des dekonstruierten Raumes an und sind unvermutet der Zeit enthoben.
Doch ähnlich wie die Armeisen in M.C. Eschers berühmten Bildnis kehren auch die Töne wieder. Mit Voranschreiten der musikalischen Performance etabliert sich immer deutlicher erkennbar eine gewisse Struktur. Die Töne, das Licht, der Raum und das Publikum gleiten auf der einen Seite des Bandes dahin und tauchen auf der anderen wieder auf. Sie gelangen zurück an den Ausgangspunkt, ohne je die Fläche verlassen zu haben.
Mathematik und Kunst sind sich eigentlich so fern, wie sich zwei grundverschiedene Materien nur fern sein können. Für MÖBIUS. EINE MUSIKSCHLEIFE gehen sie allerdings eine harmonische Symbiose ein, die das Publikum auf eine tonreiche Reise mitnimmt und in Staunen versetzt.
Fotonachweis: Toihaus Theater / M. Grieshaber
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