Bezahlt wird nicht – Salzburger Strassentheater

Das Salzburger Straßentheater in neuem Kleid.

Mit der Komödie BEZAHLT WIRD NICHT startete das Salzburger Straßentheater unter der Leitung von Georg Clementi voller Temperament und sichtlich motiviert in den Sommer.

Die Bierrösser samt nigelnagelneuen Wagen stehen etwas verloren am Straßenrand, als viele glückliche Gesichter aus der Tribüne Lehen strömen. Bei ihrem zweiten Besuch  in einem der am dichtesten besiedelten Stadtteile Salzburgs brachte die unbeständige Wetterlage Rösser und Wagen um ihren großen Auftritt. Der guten Publikums-Laune tat das aber keinen Abbruch. Überhaupt war die Vorfreude groß, immerhin ist diesen Sommer alles neu: Leitung und Wagen.

Letzterer musste also dank Regen pittoresk vor der Tür parken, Ersterer saß in den vorderen Reihen. 2016 übernahm Georg Clementi die Leitung des Salzburger Straßentheaters, einer beliebten Salzburger Institution, die von Ende Juli bis Mitte August mit professionellen Schauspieler*innen durch die verschiedene Stadt- und Landbezirke von Salzburg tourt. Bei freiem Eintritt wird unter (meistens) freiem Himmel auf Plätzen und in Parks aufgespielt, Stiegls Bierrösser und der obligatorische Theaterwagen immer mit dabei.

G. Clementis Inszenierung von Dario Fos Komödie BEZAHLT WIRD NICHT trifft zielsicher den Nerv der Zeit. Die italienische Volkskomödie sorgt mit einem höchst engagierten Ensemble für jede Menge gute Stimmung und ziemlich viel sozialkritische Laune.

Rot das ist die Farbe der Arbeiterbewegung. Rot gekleidet sind auch die Ensemble-Mitglieder des Straßentheaters, die sich bereits vor Show-Beginn unter das Volk mischen. Es gilt die Kulisse aufzubauen und dabei wird bereits das eine oder andere Arbeiterlied angestimmt und sozialistische Schlager geträllert. Das führt zu erstaunlichen Erkenntnissen. 1) Wir sangen in der Schule offenbar sozialistische Lieder und ich kann immer noch das Partisanenlied („Bella Ciao“) in mehr oder weniger falschem Italienisch auswendig (definitiv mehr!). 2) Die Blaumänner der Bühnen-Aufbauphase sind eigentlich Rotmänner, -frauen und -kinder und irgendwie wirken alle ein bisschen wie Super Marios. In rote Farbe getränkt. 3) Eric Lebeau kann nicht nur wunderbar Kinderkonzerte gestalten (meine vierjährige Nichte kennt sein Album seit dem Letzten auswendig), sondern gemeinsam mit Christine Rothacker auch hervorragend sozialistische Lieder in allen (un)möglichen Schattierungen und auf der Ukulele mit Harmonika-Begleitung zelebrieren. 4) Die Hälfte der Theater (Off)ensive steht diesen Sommer auf der Straßentheater-Bühne, das freut.

BEZAHLT WIRD NICHT stammt aus der revolutionären Phase der italienischen Arbeiterbewegung des späten vorigen Jahrhunderts. Das Volk begann aufzubegehren, nach Emanzipation zu streben und wurde dabei von so manchem Intellektuellem unterstützt. Einer von ihnen war Dario Fo, der mit viel anarchistischem Witz, Sprachjonglagen und pointierten Beobachtungen für jede Menge Zündstoff sorgte.

In Fos Volkskomödie beginnt alles mit dem Aufstand von italienischen Frauen im Supermarkt, die sich über die steigenden Lebensmittelpreise beschweren. Aus Protest gegen die Misswirtschaft beschließen sie, alles einzupacken und nichts dafür zu bezahlen – „Non si paga! Non si paga!“.  Als Antonia mit den Armen voller Einkaufstüten an diesem Nachmittag auf ihre Freundin Margherita trifft, gerät sie alsbald in Erklärungsnot. Und das ist erst der Anfang. Denn allen voran darf Giovanni, Antonias Mann, nichts von den Vorkommnissen im Supermarkt erfahren. Giovanni ist zwar klassenbewusst, aber auch sehr gesetzestreu. Antonia verstrickt ihre Freundin in ihr Lügengespinst, das sie höchst kreativ immer weiter spannt. Als unvermutet Carabinieri und Polizisten ausschwärmen, um alle Wohnungen im Viertel auf der Suche nach den gestohlenen Waren auf den Kopf zu stellen, sind plötzlich auffallend viele Frauen schwanger. Hochschwanger. Und die Dinge geraten vollends außer Kontrolle.

Es lässt sich erahnen, warum Dario Fos Zeitgenossen nicht allzu gut auf den Sohn eines kommunistischen Bahnhofvorstehers und Sozialisten zu sprechen waren bzw. sind. BEZAHLT WIRD NICHT lässt kein gutes Haar an der freien Marktwirtschaft und betreibt emsig Systemkritik. Clementis Inszenierung greift die gleichermaßen kritischen wie humorvollen Komponenten auf und entwickelte mit den Darsteller*innen eine frische, moderne Variante; zeitgenössische Einsprengsel und viel südliches Temperament inklusive.

Anja Clementi begeistert als Antonia mit großen Tönen und noch größeren italienischen Gesten. Petra Rohregger bildet als Margherita das passendes Gegenstück. Im Gegensatz zur verbal sehr gesegneten Antonia ringt Margherita als passive Freundin immer wieder um passende Einfälle für weitere Ausreden und lässt sich in ihrer Not gar eine Scheinschwangerschaft mit jeder Menge Lebensmittel anhängen. Giovanni (Géza Terner) ist in seiner Naivität köstlich emotional und absolut gesetzesfixiert. Zumindest so lange es ihm zu seinem eigenen Vorteil gereicht; denn sobald Antonias Ehemann selbst von etwaiger Arbeitslosigkeit bedroht wird, wettert er nicht länger gegen das „Lumpenproletariat“. Unvermutet liebäugelt er sogar mit den Ideen von Margheritas Mann Luigi (Michael Kuglitsch), einer absoluten proletarischen Frohnatur.
Dann sind da auch noch die heiteren Komödien-Elemente, die aus einer Commedia dell’arte stammen könnten. So ist es deshalb nicht weiter erstaunlich, dass es den Gesetzeshüter gleich in mehreren Varianten gibt (Detlef Trippel). Übrigens auch  zur Erheiterung der sichtlich amüsierten Darsteller. Mittlerweile hat das Publikum aber ohnehin bereits Tränen in den Augen. Da bringen dann die 3 Joker und Musiker (vulgo die menschlichen „Requisiten“) bisweilen das Fass zum Überlaufen (Alex Linse, Christine Rothacker und Eric Lebeau wahlweise als Feuerwehrauto, Polizisten mit Spiegelbrille, Glühbirnenangelhalter, Echo usw.). Oder das Publikumslachen zum Überkochen.

Sprachspiele werden zelebriert in BEZAHLT WIRD NICHT und Humor großgeschrieben. Trotzdem bleibt unterschwellig auch die kritische Note hängen und verklingt die sozialkritische Komponente keinesfalls ungehört.

Mit seiner ersten Inszenierung für das Salzburger Straßentheater hat Georg Clementi viel Geschick bewiesen. Bezahlt wurde dann doch. Emsig in die Spendenkörbe, die sich ihren Weg durch die Reihen bahnten (oder deren Weg durch die Reihen von fleißigen jugendlichen und kindlichen Helfer*innen gebahnt wurde). Salzburg darf sich bereits auf den nächsten Sommer und die nächste Straßentheater-Saison freuen. Und bis dahin „una mattina mi son svegliato // O bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao…“

 


Termine Straßentheater
Fotonachweis: Marco Riebler // Salzburger Kulturvereinigung

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