Don Carlos – Landestheater Salzburg

Don’t shoot the messenger.

Neulich am Landestheater Salzburg: DON CARLOS ungestüm und leidenschaftlich.

Johann Christoph Friedrich von Schiller hatte einen Traum. Bereits zwei Jahre vor der Französischen Revolution setzte er auf das Medium der Kunst, um die ästhetische Bildung des Menschen voranzutreiben. „Evolution statt Revolution“ lautete das Credo, dem sich der deutsche Dichterfürst verschrieben hatte. Genau diese staats- und freiheitstheoretischen Reflexionen sind es, die den hochexplosiven  Zündstoff darstellen, der Schillers DON CARLOS (1787) konstituiert. Gleichzeitig besticht das dramatische Gedicht mit einer großen thematischen Fülle: Politik-, Familien-, Liebes- oder Freundesdrama? Alles inkludiert. Das ist praktisch, denn das Resultat ist eine wunderbare Symbiose, die das Politische mit dem Innersten vereint, der Familie. DON CARLOS ward geboren (lose und auf der wirklich nicht immer historischen Vorlage des Abbé de St. Réal basierend).

DON CARLOS in aller Kürze.

Am spanischen Hof läuft so einiges schief. Prinz Carlos ist in seine junge Stiefmutter Elisabeth verliebt, die aber leider aus staatspolitischen Gründen mit dem verhassten Vater Philipp II vermählt wurde. Carlos ist wütend und verliert ob seines Kummers seine politischen Intentionen aus den Augen. Zur gleichen Zeit stellt sich sein Jugendfreund Marquis von Posa bei Don Carlos: Gregor Schleuning und Gregor SchulzCarlos ein und gemahnt ihn an seine Pflichten. Die liegen im politischen Freiheitskampf. Wenn da nur die Liebe und die zahlreichen Intrigen bei Hofe nicht wären.

Starke Charaktere, starke Bilder.

DON CARLOS ist eine dezente Warnung des Dichters vor dem absolutistischen Staat. Am Landestheater Salzburg inszenierte Alexandra Liedtke das ewig aktuelle Stück Pre-Revolutionsgeschichte und begeistert (Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Johanna Lakner, Musik: Karsten Riedl).
Die Bühne wurde auf das Nötigste reduziert und trägt kafkaeske Züge. Türen öffnen sich, Hofbeamte kommen und gehen, lauschen und intrigieren. Es ist ein düsteres Bild, das Schiller mit DON CARLOS zeichnete und Liedke empathisch und leidenschaftlich belebt. Infant Carlos und Don Philipp II bilden dabei das Epizentrum der entfesselten Emotionen. Mit Gregor Schulz und Marcus Bluhm sind die Rollen großartig besetzt. Scheinbar unberechenbar kann das VatDon Carlos: Ensembleer-Sohn-Gespann zu jeder Zeit eruptieren und liefert sich persistent starke verbale Duelle. Ihr Hass ist greifbar, ihre Leidenschaft so sengend wie das Feuer, das unvermutet aus dem Bühnenboden schießt. Für das Freiheits- und Menschenwürde-Moment sorgt vor allem Marquis von Posa. Gregor Schleuning gibt den Jugendfreund nur vordergründig souverän und beherrscht; tief im Innersten brodelt es bereits sichtlich. Umso größer die Detonation, als er sich für den Freund opfert.
Don Carlos: Julienne Pfeil, Hanno Waldner, Janina Raspe und Nikola RudleWunderbar als Königin ist Julienne Pfeil anzusehen, die ebenfalls nicht mit großen Emotionen geizt und von starkem weiblichen Hofpersonal unterstützt wird; Nikola Rudle gelingt die Prinzessin von Eboli vorzüglich. Jugendlich verliebt schickt sie dem Prinzen ein Brieflein, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Allein hält Carlos Elisabeth für die Absenderin und eilt höchst freudig zum vereinbarten Treffpunkt.

Liebe ist…

Was regelmäßig in Intrigen kulminiert und sich in dramatische Höhen schraubt, dem verleiht die aktuelle Inszenierung eine durchaus humorige Beinote. Vor allem Prinzessin von Eboli und Don Carlos zelebrieren die komischen Momente; die eine im Wort, der andere im Habitus. Lachen im Publikum bahnt sich seinen Weg durch die Reihen und lockert das bedrückende Sujet.Don Carlos: Mikola Rudle und Gregor Schulz

Als ideale Intrigant*innen profilieren sich Britta Bayer und Marco Dott, die immer wieder um König und Sohn schleichen und emsig denunzieren. Ein erfrischendes Kontrastprogramm liefert Graf von Lerma (Hanno Waldner); ernst gemeint oder Persiflage, so genau weiß man es nicht, Lermas wohlmeinendes, latent tollpatschiges und devotes Auftreten überzeugt jedoch. Sympathisch ist der von den höfischen Intrigen scheinbar unbefleckte Oberste der Leibwache allemal. Und er lässt neben Posa das Gute bei Hofe aufleben. Selbst wenn der Marquis mit seinem eindrücklichen Plädoyer auf die Menschenwürde direkt den wackeren Männern des WILHELM TELLS entsprungen scheint. Bürger einer späteren Zeit waren auch sie.

Bürgerglück versöhnt mit Fürstengröße? Auch 1787 „mais non“.

Schillers Zeichnung des Menschen ist düster; seine Deformation wird überdeutlich, die Entbehrlichkeit des Despotismus ebenso. Gelungen die szenische Umsetzung; sei es bewusst, sei es Zufall: Wenn der absolute Monarch mit dem freiheitsliebenden Posa disputiert, dann steigert sich der Schatten des herrischen Regenten an der Wand ins schier Unermessliche. Der des Marquis‘ hingegen scheint zu schrumpfen. Das Schattenspiel trägt dazu bei, dass die entsprechende Szene zu einer der Stärksten des Abends oszilliert.

Die Inszenierung am Salzburger Landestheater verleiht Schillers Botschaft einen modernen, frischen  Anstrich. Jugendlich und schwungvoll fasziniert dieser „neue“ und mindestens ebenso leidenschaftliche DON CARLOS. (Und das übrigens nicht nur – aber ein klein wenig sicher auch – weil G. Schleuning als Posa sehr lange Minuten tot in einem Meer von Eiswürfel liegen muss. Höchst heroisch. Oder bei der Bühnenbeleuchtung vielleicht auch einfach nur eine angenehme Abkühlung). Zeit wird für das Publikum relativ und verflüchtigt sich im Flug. Wie, schon vorbei? Schade.

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Landestheater Salzburg

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