Odysseus, Verbrecher.

Heimkehr? Aus einem Krieg, Held Trojas, Städteverwüster, ist noch keiner heimgekehrt – jedenfalls nicht als der, der er war. Willkommen in Ithaka.

(Athene in „Odysseus, Verbrecher.“ – Christoph Ransmayr)

Die Tage des griechischen Heldentums sind passé. Traurig steht es um den einst so ruhmreichen Helden Odysseus, den Christoph Ransmayr im Schauspiel einer Heimkehr als traumatisierten Anti-Helden, als Städtevernichter, zeichnet (Regie: Robert Pienz, Dramaturgie: Christoph Bartscheider). Nach 10-jähriger Irrfahrt wird er endlich wieder Zuhause in der Schweinebucht an Land gespült. Mit ihm aber nicht nur eine Rettungsinsel voller Ramsch, die ihm Athene als Strandläuferin streitig macht, sondern auch furchtbare Erinnerungen, die sich im Chor der Krüppel und Gefallenen manifestieren. Im Fachjargon vermutlich „posttraumatische Störung“ genannt, taumeln diese traurigen Fantasiegebilde Odysseus Unterbewusstseins zombiehaft über die Bühne und plagen den ehemaligen Helden mit anklagenden Worten und Sätzen. Schwer zu ertragen übrigens auch für die Verfasserin, denn gar blechern hallen ihre Wortfetzen durch den Raum und spätestens das „wir haben dich lieb“ evoziert konkrete Erinnerungen an längst vergangene Kindheitstage. Damals gab es eine Puppe, die nicht nur stehen konnte, sondern deren Inneres auch eine kleine Scheibe inkludierte, die das immer gleiche Satzkonstrukt stimmlich analog kolportierte – sofern Batterien vorhanden.

Das Bühnenbild und die Musik sind düster beschwingt und sehr treffend (Musik: Christoph Lindenbauer, Christian Kapun, Licht: Marcel Busa, Ausstattung: Ragna Heiny). Bisweilen wabbert Nebel durch den Raum, aber das erscheint ebenfalls durchaus geboten, angesichts der letzten Tage der Menschheit, die angebrochen scheinen. Schwer drückt auch das Aufeinandertreffen von Athene (Martina Dähne) und Odysseus (Harald Fröhlich) aufs Gemüt. Die Göttin als einfache Strandräuberin? Zumindest weist sie auch irgendwie Ransmayrs Odysseus den Weg, selbst wenn sich bei ihrer Darstellung die Frage aufdrängt, wovor sich Odysseus jetzt eigentlich genau einschüchtern lässt? Macht versprüht Athene an diesem Abend nur bedingt. Beinahe unsicher bedroht sie ihn mit ihrer Waffe. Odysseus, dieser gebrochene, traumatisierte Held mit erstaunlich österreichischem Sprachkolorit (schön dargestellt durch H. Fröhlich), folgt ihrem indirekten Rat und begibt sich auf die Spuren seiner Vergangenheit. Die folgenden Stationen orientieren sich dabei ganz an Homer; Odysseus trifft relativ rasch auf die drei Hirten (Moritz Grabbe, Theo Helm, Antony Connor), die in wunderbar humoristischer Runde Wache halten und sich an einem moralisch recht dubiosen Kartenspiel ergötzen. Die Karte mit den meisten Toten gewinnt. Die Abgebrühtheit eines kriegsgeplagten Landes wird anschaulich an den drei einfachen Männern demonstriert, die voller Hingabe, so gänzlich ohne Anzeichen eines schlechten Gewissens ihrem fragwürdigen Spiel frönen – und gleichzeitig auch für ziemlich viel Erheiterung sorgen (ein Höhepunkt das grandiose Mienenspiel der drei beteiligten Parteien). Das ist einer der besonderen Vorzüge von Robert Pienz‘ Inszenierung ODYSSEUS, VERBRECHER. Die Darsteller erweitern die Tiefen ihrer Charaktere und verleihen ihnen neue Koloraturen und eine spezielle Lebendigkeit. Die Hirten heben das Elend der Moderne auf eine Ebene, die durch ihre Komik und die darin enthaltene Tragik greifbar wird. Der im Roman etwas konturlosen Sohn Telemach (Simon Ahlborn), auf den Odysseus infolgedessen treffen wird, erhält eine ungeahnte, grandiose Naivität, die anfangs beinahe schmerzhaft ist (und ja, die weiße Kleidung ist vorhersehbar), die aber genau in dem Moment ihre volle Wirkung entfalten kann, als sie kippt und den pazifistisch erzogenen Sohn seinem Vater blind in den Kampf folgen lässt. Danach betritt ein verstörter Telemach die Bühne – zerstört ist die Seele (ergo ruiniert die weiße, unschuldige Kleidung), rot fließt das Blut (und *platsch* macht die Theaterblutpatrone an der Wand). Jetzt trifft auch Telemach auf den Chor der Krüppel und Gefallenen.

Besonders die zweite Spielhälfte begeistert. Plötzlich erwacht auch das Publikum. War die Frau vor der Verfasserin im ersten Teil vor allem damit beschäftigt, ihren Blick schweifen zu lassen, scheint sie nun ganz auf das Geschehen fokussiert. Beinahe ist man versucht, ihr dafür lobend die Schulter zu tätscheln. Währenddessen glänzen die Reformer, die bei Homer Penelopes Freier sind, mit ihrer absoluten Gefühlskälte. Eben noch über den Sauhirten (A. Connor) und Ziegenhirten (T. Helm) gelächelt, ruft der Hohn und Spott der gleichen Schauspieler in ihren neuen Rollen unvermutet ziemlich konträre Gefühle hervor. Allen voran Martin Brunnemann als Antinoos, der in seinem (leider nur) 5 Minuten währenden Auftritt die Gefühle und Energien eines ganzen Abends zu transportieren scheint. Bewundernswert also, dass Julia Gschnitzer als Eurykleia nicht einmal mit der Wimper zuckt, als sie sein Schrei-Ziel wird. Unentwegt positiv hält Eurykleia lieber daran fest, dass Odysseus zurückgekommen ist und nur einmal kurz verrutscht ihre stoische Gelassenheit und sie scheint doch getroffen von der offen zur Schau getragenen Häme der Männer. Doch da ist ohnehin bereits klar, dass sie diesmal den richtigen Odysseus verkündet hat.

Der moderne Odysseus kehrt in eine andere Welt zurück als sein griechisches Vorbild. Seine einzige Leistung ist es, überlebt zu haben. Penelope (Daniela Enzi wunderbar abgeklärt, erhaben und um einiges weiser als ihr verirrter Gatte) ist sich darüber bewusst, dass sie den alten Odysseus bereits im Krieg verloren hat. Heimkehrer kommen nie als die zurück, die sie einmal waren. Das ist deprimierend, trifft aber den Kern der Sache. Und vermutlich deshalb gibt es auch genau deshalb kein Happy End für den aktuellen, kriegsgebeutelten Odysseus. Der Städteverwüster, ein Verbrecher, hat den Kampf als Souvenir für den Sohn und Ithaka mitgebracht; seine Odyssee währt an.

Der Applaus ist tosend und nicht endenwollend. Die eingangs latent lethargische Zuschauerin in der Reihe davor bricht nun in wahre Jubelstürme aus und verleiht diesen doch  tatsächlich mit hohen Schreien Ausdruck. Wer hätte das geahnt?

Fotonachweis: Jan Friese // Blowup Studio

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Ein Kommentar

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