„Den Würmern wirst du Wildbret sein.“
Tod und Vergänglichkeit sind keine heiteren Themen: Petra Schönwalds Inszenierung LUPUS IN FABULA nähert sich ihnen deshalb feinfühlig und mit viel Emphase an. Eine Produktion, die nachdenklich stimmt und doch optimistisch ausklingt.
Anfangs scheint alles unwirklich. Meistens gehen wir automatisch davon aus, dass es ohnehin immer nur die anderen trifft. Nie käme uns in den Sinn, das zu hinterfragen. Doch was, wenn sich alles ändert und wir plötzlich die anderen sind? Diese Erfahrung machen drei Schwestern am Sterbebett des Vaters. Petra Schönwald inszenierte Henriette Dushes LUPUS IN FABULA in Koproduktion mit der ARGEkultur.
In Petra Schönwalds LUPUS IN FABULA ist der Tod allgegenwärtig (Bühne & Kostüme: Elke Gattinger, Technik: Ariane Pellini, Lukas Nemec, Ton: Christopher Biribauer): Der Bühnenboden wurde mit Erde aufgeschüttet. Das verströmt nicht nur einen süßlichen Geruch, sondern erinnert auch an ein überdimensionales Grab. Die drei Schwestern wühlen darin und lassen das dunkle Material durch ihre Finger gleiten; die Erde als haptische Metapher für die Familiengeschichte, die die Vergänglichkeit erlebbar werden lässt. Wie nebenbei häufen die Schwestern einen Teil davon zu einer länglichen Form an und adressieren sie als ‚Papa‘; liebevoll tätscheln sie den Erdhaufen, schmeicheln ihm, sie nicht zu verlassen oder brüllen ihn wütend an. Dass der Vater alsbald sargähnliche Züge trägt, ist vermutlich kein Zufall. Ebenso wenig wie die Blumen, die sie ihm schließlich ans Kopfende stecken.
Es hat etwas Intimes, den drei Schwestern bei ihrer Verzweiflung zuzusehen. Dabei sind die verschiedenen Stufen der Trauerarbeit feinfühlig nuanciert: Elisabeth Nelhiebel ist die souveräne Älteste. Stundenlang könnte sie über ihre Grabrede philosophieren, auf die sie sich schon zu freuen scheint. Und dann erst das schöne schwarze Kleid und die passenden Strümpfe, die sie sich extra für den feierlichen Anlass besorgte. Man muss ja gewappnet sein… Mit Funkeln in den Augen und selbstsicher erzählt sie den schockierten Schwestern lachend vom körperlichen Verfall des Vaters. Die beiden anderen können es nicht fassen und sind empört über ihre angebliche Pietätlosigkeit. Erst später bricht es wütend aus der gutgelaunten Ältesten hervor – sie wissen nicht, wie das sei, ständig mit dem siechenden Vater konfrontiert zu sein und ihn ’so‘ zu sehen. Sie sei es schließlich, die ihn pflege und manchmal, so gesteht sie leise und verschämt, manchmal wünsche sie sich, er wäre bereits gestorben. E. Nelhiebel oszilliert zwischen abgebrühter Frohnatur und sensibler Ältester, die schon zu lange ihr eigenes Leben hinter die Pflege des Vaters reiht. Über merklich mehr Abstand verfügt da die empörte Mittlere (Sophie Hichert); als stolze, frischgebackene Mutter kennt sie nur andere Sorgen. Und überhaupt vielleicht ist ihr Baby auch die Lösung, den Vater zurückzuholen? Neuen Mut schöpfend, hängt die Mittlere der abstrakten Idee nach. Ganz ruhig und friedlich liegt das Baby neben dem Vater und trinkt seine Milch. Das müsse er doch merken, auch jetzt, in diesem letzten Stadium seiner Krankheit. Gleichzeitig sucht sich S. Hichert in ihrer Rolle als Mittlere weit weg zu träumen. Doch mit den Schwestern im fantastischen Schlepptau ist das alles andere als einfach. Mindestens ebenso fern ist die Jüngste (Eva-Maria Weingärtler): Als sie der Anruf ereilt, verpasst sie prompt den Zug. Der nächste geht erst morgen, aber eigentlich beschäftigt sie ohnehin vielmehr die Frage, was jetzt sein wird, wenn der Vater nicht mehr ist. Immerhin hat er ihr oft finanziell ausgeholfen, mit dem Erfolg hat sie es nicht so. E.-M. Weingärtlers Jüngste ist von Selbstzweifel und Hilflosigkeit geplagt. Sie trauert dramatisch, wenn sie es könnte, würde sie sich vermutlich den archaischen Trauergebaren vom Haare Ausreißen und lautem Schreien hingeben. Stattdessen beschränkt sie sich aber auf die vorhandenen theatralen Möglichkeiten und reibt sich mit der omnipräsenten Erde ein. Das Resultat ist allerdings mindestens ebenso bedrückend.
LUPUS IN FABULA verlangt von seinen Schauspielerinnen jede Menge Empathie. Mit ihrem Einfühlungsvermögen nehmen sie die Zuschauer*innen mit auf eine intensive Reise. Eine, die nicht von heiterem Sonnenschein und guter Laune geprägt ist. Allerdings regt sie zum Reflektieren und Innehalten an. Petra Schönwalds Inszenierung thematisiert die Vergänglichkeit auf eindrückliche Weise. Außerdem macht sie deutlich, dass es an der Zeit ist, im Hier und Jetzt zu leben. Wer kann schon wirklich sagen, was morgen sein wird?!
Fotonachweis: Andreas Hechenberger
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