La Vie Bohème!
Endlich – Eine der schönsten Opern ist zurück: LA BOHÈME im Haus für Mozart. Andreas Gergen inszenierte Puccinis Klassiker frisch und schnörkellos.
Mit Rudolfos verzweifeltem Schrei „Mimì… Mimì“ endet Giacomo Puccinis berühmte Oper LA BOHÈME. Zu dem Stück inspirierte den Komponisten Henri Murgers Roman „Les scènes de la vie de bohème“, der ihm an einem regnerischen Tag zufällig in die Hände fiel. Kein Wunder also, dass sich der daraus geborene musikalische Stoff besonders hervorragend für trübes Wetter anlässt.
Die Pariser Bohème spiegelt den Traum von Freiheit, Unabhängigkeit und Kunst. Doch die Realität von Rodolfo und seinen Freunden sieht anders aus. In ihrer Pariser Mansarde ist es kalt und als die hübsche Nachbarin Mimì vor der Tür steht, hat der Dichter noch nicht einmal Feuer für die Kerze. Die beiden verlieben sich trotzdem. Aber die Beziehung ist von Mimìs Krankheit überschattet. Zwischen den Aufs und Abs der Bohèmian-WG kommen sich die beiden näher…
Puccinis Oper eignet sich hervorragend für zeitgenössische Adaptionen. Das liegt vermutlich am relativ hohen Identifikationspotential der ‚gewöhnlichen‘ Charaktere. Ein Kunstzug, der bis heute funktioniert. Inzwischen fand LA BOHÈME u.a. auch schon als Rockmusical RENT seinen Weg auf die jungen Bühnen dieser Welt. Andreas Gergen verfolgt eine ähnliche Strategie, wenn er Puccinis Klassiker in der Pariser Gesellschaft irgendwo zwischen 19. und 21. Jahrhundert verortet (Bühne: fettFilm, Kostüme: Regina Schill, Lichtdesign: Richard Schlager). Entstanden ist ein spannendes Zeitkonglomerat, das aus der Divergenz von modernen und alten Bildern entsteht. Einerseits sind da die verarmten Bohèmiens – deutlich erkennbar am coolen Hipster-Look mit einer Brise Chinos und dem smarten Anzug favorisierenden Dichter Rodolfo. Gleichzeitig treffen die vier Künstler-Freunde auf dem Platz vor dem Café auf das ausgelassene Volk, das in Kleidern aus dem 19. Jahrhundert der Weihnachtsatmosphäre frönt. Und schließlich gibt es ja auch noch die weiß gekleideten Statisten*innen, die einer Rave-Party aus den 90ern entsprungen scheinen.
Die Eindrücke LA BOHÈMES sind divergent und farbenfroh – die Kulisse der Pariser Mansardenwohnung trist und grau. Es ist die Schnörkellosigkeit der Bühne, die den Fokus auf das Geschehen legt. Schnee fällt in dicken, videoanimierten Flocken. Immer wieder wird Mimìs lächelndes Gesicht auf die überdimensionale Hauswand projiziert, noch bevor Rodolfo und sie aufeinander treffen. Eine dunkle Vorahnung schwingt da bereits mit.
Luciano Ganci begeistert mit seiner intensiven Darstellung des Rodolfos. Gefühlvoll und leidenschaftlich stellt er sich der Angebeteten vor („Che gelida manina“). Shelley Jackson antwortet als Mimì im gleichen empathischen Stil und sorgt mit ihrer Interpretation von „Sì. Mi chiamano Mimì“ für spontanen Jubel. Doch die beiden harmonieren nicht nur vokal wunderbar. Sie trennen sich unisono mit Marcello (wunderbar David Pershall) und Musetta (klar und vorlaut Hailey Clark) – die einen stehen für die großen Gefühle, die anderen für die leidenschaftlichen Emotionen. Die Tragik liegt dem Plot zugrunde – in der berühmten Todesszene erlebt sie ihren intensivsten Moment.
Gleichzeitig sind da aber auch die zahlreich heiteren Augenblicke LA BOHÈMES, die das Ensemble mit Verve und sichtlicher Freude an dezenter Schelmerei zelebriert; vor allem Colline und Schaunard dürfen sie nach außen tragen. Raimundas Juzuitis besticht als Colline mit voluminösem Bass; die Abschiedszene von seinem Mantel, den er für Mimìs Wohl schweren Herzens zum Pfandhaus bringt, kann sich trotz des Ernstes der Lage gewisser humoristischer Tendenzen nicht erwehren. Vermutlich hat noch nie jemand so liebevoll von seiner Oberbekleidung Abschied genommen. Musiker Schaunard (Elliott Carlton Hines) steht Colline in Sachen guter Laune nichts nach; immer wieder stürmen die zwei fröhlich in den Raum oder lässt Schaunard hypergelenkig die Hüften kreisen. Zu einem heiteren Höhepunkt oszilliert der ausgelassene Tanz durch die Wohnung der Bohèmiens. Mit Malerpinsel kämpfen die vier Freunde spielerisch gegeneinander, während die Videoanimation synchron immer mehr gigantische Farbkleckse auf die Hausmauer projiziert.
Als höchst eindrucksvoll entpuppen sich auch die choralen Momente (Musikalische Einstudierung und Leitung des Kinderchores: Stefan Müller). A. Gergen bietet für seine Inszenierung nicht nur den Chor und Extrachor des Landestheaters sowie der Festspiele, sondern auch den Theater Kinderchor auf. Unter dem Zepter Parpignols (einnehmend Franz Supper) und der wunderbaren Orchestrierung des Mozarteumorchesters (Leitung: Mirga Gražinytė-Tyla) oszilliert der Markt zum bunten weihnachtlichen Volksfest.
Tatsächlich fühlt es sich nach Vorhangfall ein bisschen wie Weihnachten an. So viel Schnee, Winter und Parpignol mit Weihnachtsmann-Kopfbedeckung. Eigentlich eine ideale Oper für die Vorweihnachtszeit… 😉
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Salzburger Landestheater
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