Die Freundschaft der Außenseiter in Zeiten des Despotismus
Die Theater OFFensive zeigt mit ihrer feinfühligen Inszenierung des KUSS DER SPINNENFRAU, dass leicht jede*r kann, unbequem nur wenige. Bewegendes Theater, das fasziniert.
Es gibt Orte und Zeiten, da möchte frau nicht geboren sein. Einer davon ist – ganz klar – die Militärjuntar in Argentinien. Noch schlimmer als für ’normale‘ Bürger*innen war diese diktatorische Episode vermutlich für Oppositionelle und LGBQTI-Minoritäten. Manuel Puig konnte ein Lied davon singen, trotzdem stand er zu seiner Sexualität. Als literarischer Spätzünder schrieb Puig seinen ersten Roman mit 32. Es lag vermutlich an der unverhohlenen Sexualität und militärischen Zensur, dass „La traición de Rita Hayworth“ („Der Verrat von Rita Hayworth“) erst nach dreijähriger Odyssee durch die Verlage publiziert werden konnte. Für seinen ersten Roman wurde der Autor geliebt, für den zweiten gefeiert, der dritte wurde verboten und der vierte galt bereits als karriereschädigend. Deshalb verließ er mit „El beso de la mujer araña“ („Kuss der Spinnenfrau“) im Gepäck das Land; zuerst ging Manuel Puig nach Mexiko ins Exil, dann landete er in New York.
Der homosexuelle Molina und Marxist Vincent teilen sich eine Zelle. Dem einen wird die Verführung eines Minderjährigen vorgeworfen, der andere gilt als politischer Staatsfeind. Trotz unterschiedlicher sozialer und ideologischer Provenienz nähern sich die beiden langsam an.
Alex Linse inszenierte Puigs Thesenroman KUSS DER SPINNENFRAU auf engstem Raum (Regie & Ausstattung: Alex Linse, Assistenz: Jonas Zacharias). Ein kleines abgegrenztes Quadrat im Zentrum wird zur Gefängniszelle der Inhaftierten, die Zuschauer-Bestuhlung darum formiert. Eine kluge Strategie, die einen ungewöhnlichen Blick auf die Bühne garantiert und eine vivisektorische Perspektive evoziert. Fast schon voyeuristisch mutet der Blick des Publikums auf die Darsteller an, denen es aufgrund des begrenzten Raums nicht nur physisch nahe kommt: Clemens Ansorg und Max Pfnür lassen als Molina und Valentin die Grenzen von Raum und Zeit schwinden.
Als linienkonformer, leicht barscher Genosse überzeugt M. Pfnür. Ruppig-maskulin lässt sich sein Valentin von Molinas Film-Nacherzählung in Bann ziehen – Anfangs zögerlich, später auf das Ende begierig. Mit der Nähe kommt das gefährliche Vertrauen und die Möglichkeit auf Anwendung unlauterer Taktiken zur ‚Wahrheitsfindung‘. Immer wieder will sich Valentin dem neuen Freund politisch anvertrauen, doch der wird emotional. Bloß nichts erzählen, falls er später ebenfalls verhört werden sollte. Was er aber nicht wisse, könne er nicht wiedergeben. Dass Molinas Angst nicht gänzlich unbegründet scheint, wird an den Striemen sichtbar, die den Marxisten entstellen. Sein Körper ist übersät von akkurat applizierten Spuren, die vielleicht nicht zufällig an Kratzspuren denken lassen. Immerhin ist da ja noch die filmische Ebene, die Manuel Puig mittels seines intertextuellen Bruders im Geiste mit Alter Ego-Tendenzen (aka Molina) kreierte. Was zuerst an Misshandlung erinnert, gemahnt zu fortgeschrittener Inszenierung an die Leopardenfrau aus Molinas cineastischer Nacherzählung. Eine filmische Allegorie von vielen zur eigenen Situation, nur diesmal auch optisch greifbar. Als der kampfbereite Genosse an einer Vergiftung laboriert, kümmert sich Molina aufopferungsvoll um ihn. Es sind intensive Szenen, in denen sich der scheinbar toughe Valentin verletzlich und angreifbar zeigt, während C. Ansorg seinen Molina mit jeder Menge Empathie und femininem Gestus speist. C. Ansorg beherrscht die Molina’sche Seelenklaviatur perfekt und verleiht der sensiblen Figur die entsprechend sanfte Note. Für den gestischen Feinschliff nutzt er die Requisiten: Immer wieder streicht Molina penibel die Decke auf dem einfachen Klappbett glatt, zupft an ihr herum als wäre sie aus kostbarem Material, während Valentin grob mit den eigenen Utensilien hantiert. Da ist es nur konsequent, dass sich an entsprechender Stelle sogar die Augen des Cineasten röten und die Figur tatsächlich kurz vor einem Tränenausbruch scheint. Faszinierend feinfühlig nimmt er etwaige seelische Verletzungen vorweg, die ihm sein Zellengenosse zufügen könnte und wirft sie stattdessen demselben vor die Füße. Alleine hatte der das gar nicht vor und offenbart seinen weichen Kern hinter all den Genossen-Rufen. KUSS DER SPINNENFRAU wird zu einem Spiel der Annäherung, Entfremdung und neuerlich doppelt so starken Annäherung. Selbstverständlich kulminiert die Bekanntschaft in eine Freundschaft, die in eine gemeinsame Nacht mündet.
Es sind die Einspieler aus dem Off, die die bis dahin subtil-dramatische Kurve der Inszenierung unvermutet nach oben schnellen lassen: Im Black sind die Stimmen eines Militärs und Molinas zu hören. Letzterer wird genötigt, Valentin zu verraten. Als die Scheinwerfer genauso plötzlich den Raum wieder erhellen, steht Molina wie aus dem Nichts mit einer Tüte voller Lebensmittel vor Valentin. Eine unheimliche Situation – die Misstrauen sät und das Publikum zu Mitwissern wider Willen auserwählt. Zu Stimmen aus dem Off oszillieren schließlich auch Molina und Valentin. In einer Brechung von der Brechung resümieren sie die letzten Zeilen ihres Lebens.
Manuel Puigs Vorlage ist nicht umsonst ein Thesenroman: gesprochene Rede, Bewusstseinsströme und Polizeiberichte – alles da. Die Dramatisierung punktet vor allem mit ihren stringenten Raffungen und Adaptierungen, die die divergenten Ebenen von KUSS DER SPINNENFRAU homogen miteinander verweben. A. Linses Inszenierung verstärkt diese Effekte und sorgt für eindrückliche Momente, die im Gedächtnis bleiben. Wie überhaupt der ganze faszinierende und intensive Abend.
Fotonachweis: Alex Linse // Theater OFFensive
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