wallflowering – ARGEkultur

Wecke das Mauerblümchen in dir

Von der unauffälligen Matrjoschka zur hyperaktiven Dauergrinserin: WALLFLOWERING – eine anschauliche performative Ursachenforschung.

Schon mal als ‚Mauerblümchen‘ bezeichnet worden? Nein? Gut. Alles andere wäre auch ein ziemlich uncharmanter Vergleich, der bevorzugt Frauen in despektierlicher Absicht an den Kopf geworfen wird. Aber womit hat das einsame Blümchen an der Wand diesen negativ konnotierten Beiton eigentlich verdient? Choreographin Iris Heitzinger und Schauspielerin Françoise Boillat holen die vernachlässigte Flora ins Rampenlicht und legen ein feministisches Scherflein drauf: Mit ihrer Performance WALLFLOWERING begeben sie sich auf performative Spurensuche nach der weiblichen Identität (künstlerische Beratung: Guillaume Béguin, Dante Murillo, Musik: André Décosterd, Lichtdesign: Peter Thalhamer, Technik: Hannes Peithner-Lichtenfels).

Tatsächlich ist die Frage nach dem weiblichen Ich mehr als begründet. Davon zeugt schon, dass Frauen immer noch in paternalistisch geprägten Rollenbilder feststecken. Dass die aber durchaus problematisch sind, fällt auf, wenn WALLFLOWERING den Finger unkonventionell in die Wunde legen. Dass das Ego schmerzt, ist klar. Aber manchmal kann Schmerz ja auch durchaus heilsam sein.

Wie viele Kostüme passen auf eine Frau?
Viele! Deshalb beginnen I. Heitzinger und F. Boillat ihre so gar nicht graue Performance in einem überdimensionalen, steifen schwarzen Lackkleid (Kostüm/Make-up: Christine Hinterkörner, Schneiderin: Svitlana Holzer). Nicht wahrgenommen sitzen sie die ersten Minuten regungslos im Raum. Vielleicht stehen sie aber auch, so ganz ist das kurze Zeit später schon nicht mehr nachvollziehbar – Mauerblümchen-Dasein verpflichtet eben. Als sich im schreibenden Kopf bereits die Frage formiert, ob WALLFLOWERING vielleicht doch eigentlich ein Standbild ist und die ersten rhetorischen Überlegungen angestellt werden, ob das jetzt ‚cool‘, ‚Kunst‘ oder doch nur ‚mühsam‘ sei, kommt Leben in die zwei Performerinnen. Langsam – von maskulinen englischen Wortfetzen echogleich umtönt (es fliegen die erfolgreichen Verben, es surren die optimierten Substantive) – schreiten sie zum Bühnenrand. Alles synchron, ein Stereotypen-Credo, das sich so ziemlich durch die ganze Produktion zieht. Zwei weibliche Prototypen auf ihr Geschlecht reduziert, die provokant ihre Grenzen ausloten: Hier ein koketter Blick, dort eine kleine Handbewegung, bevor sie aus dem überdimensionalen, steifen schwarzen Lackkleid schlüpfen. Ganz in Gold gehüllt stehen die Darstellerinnen dann divaesk vor dem Publikum, das alte Kleid als vergangenes Rollenbild symbolisch am Bühnenrand drapiert – aufrecht und immer noch steif. Das Mauerblümchen ist passé, mit der Devestitur kommt Leben in I. Heitzinger und F. Boillat. Sie winden sich in lasziven Posen auf dem Bühnenboden und bewegen sich anzüglich zu sexuell konnotierten Rhythmen. Gleichzeitig üben sie sich in maskulinen Posen, die im weiblichen Kostüm seltsam prollig und amüsant wirken. Die feminine Demaskierung schreitet zügig voran; die nächste Rolle lässt nicht lange auf sich warten. Unter dem goldenen Kleid steckt ein grüner Glitzertraum der zur fröhlichen Maskerade animiert. Die beiden Darstellerinnen werfen sich dafür in peinsame Posen und üben sich in zehnminütigem Dauergrinsen, das nach Kiefersperre schreit. Die bleibt zum Glück aus, der schale Beigeschmack bleibt. Denn mit ihrer provokanten Darstellung treffen I. Heitzinger und F. Boillat ins Schwarze. Schließlich verwandeln sich die beiden Darstellerin zurück in stinknormale Mauerblümchen. Was vormals noch wenig erstrebenswert klang, ein Mauerblümchen-Dasein zu fristen, hat in den letzten 55 Minuten enorm an Reiz gewonnen. Erleichtert und atemlos stehen die beiden Performerinnen da, streichen sich die Perücke vom Kopf, fahren sich noch einmal über das Gesicht und wirken herrlich normal. Ja, die einsame Blume an der Wand, das hat was – frisch, frei und ohne Zwänge.

WALLFLOWERING demonstriert auf provozierend offensive Weise, wie problematisch weiblichen Rollenbilder immer noch sind. Höchste Zeit also, das zu ändern.

 

 

Fotonachweis: Bernhard Mueller // ARGEkultur

 

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