Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Staatsschauspieler heiß!
Typisch Thomas Bernhard – grantig, unzufrieden und unglaublich eloquent lässt er seinen Staatsschauspieler im DER THEATERMACHER monologisieren. Wortgewaltig und präzise teilt auch die Inszenierung am Schauspielhaus Salzburg aus.
Es ist ein Trend, der gleich von Anfang an zu spüren ist: Thomas Bernhards Texte haben mit den Jahren an Schärfe eingebüßt. Das heißt, nein, die ist ja eigentlich noch sehr präsent, aber wir Rezipienten*innen haben uns verändert und nehmen sie sichtlich gelassener zur Kenntnis. Das wäre vor 30 Jahren vermutlich noch anders gewesen. Dafür garantiert uns unsere entspannter Geisteshaltung einen neuen Blick auf die Bernhard’schen Text-Manöver. Wir können uns also an dieser Stelle getrost zurücklehnen und den THEATERMACHER in all seiner prächtigen und glorreichen Kritik mit einem Lächeln im Mundwinkel genießen. Und zum Genießen gibt es so einiges, besonders wenn es uns hübsch verpackt serviert wird (Regie: Robert Pienz, Ausstattung: Ragna Heiny, Dramaturgie: Theresa Taudes, Licht: Marcel Busa, Maske: Maria Gradl).
Staatsschauspieler Bruscon tingelt mit Frau und Kinder durch die österreichischen Provinzen, um seine Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ aufzuführen. Just am Blutwursttag landet die Familientruppe in einem abgeschiedenen Dörfchen mit dem für Bruscon programmatischen Namen Utzbach. Das diffamiert er sogleich als ‚Putzbach‘, wenn es ihm denn überhaupt über die eigentlich Utzbach gesperrten Lippen zu gleiten gedenkt. Natürlich gefällt ihm an dem Örtchen so rein gar nichts und schon gar nicht der Gasthof, in dem die Familie absteigt, um ihre Geschichtsstandpauke aufzuführen. Stattdessen verliert sich Bruscon in die tragisch-komischen Reden eines Kunstbesessenen, der genau damit ad absurdum geführt wird.
Des Theatermachers Tournee
Robert Pienz verzichtet auf den Misthaufen mit den 800 Fliegen, die laut Rezension zur Uraufführung in einem Probenstadium präsent gewesen sein sollen. Zumindest bis der Amtsarzt dem Fliegenspektakel einen Riegel vorgeschoben habe. Das war vermutlich auch besser so; genau wie der Umstand, dass auch R. Pienz lieber auf eine Bühne auf der Bühne setzt. Dort entfaltet sich das dörfliche Gasthaus-Idyll in Manier eines Peter Steiners Theaterstadls nebst Tierschädeln und einschlägigem Bildmaterial an den Wänden. Harald Fröhlich schlüpft in die Rolle des Bruscon und gibt sich völlig dem Redeschwall des Bernhard’schen Niederschwätzers hin. Auf Kommando setzt die Künstler-Tirade ein, die diesmal keinem Burgschauspieler, sondern eben dem Staatsschauspieler gezollt ist. H. Fröhlich hält konsequent und gestenreich an der Bruscon-Logorrhö fest, ohne die anderen auch nur ansatzweise zu Wort kommen zu lassen. Stattdessen wirft sich der Charakter mit stolz geschwellter Künstler-Brust eitel in Pose und verstrickt sich in selbstsicheren Widersprüchen.
Versteckte Geistesmenschen
Im THEATERMACHER monologisiert nur einer – der Theatermacher höchstpersönlich nämlich. Der Rest übt sich eindrücklich in Schweigen und gibt dem Schwadroneur großzügig verbalen Sprachraum. Gleichzeitig ist es kein dezentes Innehalten, sondern ein aggressives und akzentuierendes Nichtreden, das auch die Schweiger in den Fokus rückt, und dem Stück seine Spannung verleiht. Marcus Marotte verbringt in seiner Rolle als Wirt den gesamten ersten Teil mit diesen verbalen Exerzitien. Emotionen transportiert er mit Körper und Habitus expressiv nach außen. Falls der Wirt doch das Wort ergreift, dann stets einsilbig und mit einer für sich selbst sprechenden Simplizität, die in seiner Mimik reflektiert wird. Immer wieder versucht er aus Bruscons wortmächtiger Präsenz zu fliehen, schafft es aber nicht, rechtzeitig den Raum zu verlassen. Beinahe ist verfasserin versucht, es für ihn zu tun. Irgendwie muss Bruscon doch Einhalt geboten werden! Aber der kennt schon lange kein Halten mehr. Auch Sohn (Matthias Hinz als Ferruccio) und Tochter (Kristina Kahlert als Sarah) parliert er in Grund und Boden und ist sich für keine Beleidigung zu schade. Mit stummen, scheinbar ausdruckslosen Mienen verfolgen die beiden seine Tiraden. Sie schaffen das scheinbar Unmögliche und unterbieten sogar noch den Wirt an Wortspenden. Der erste einfältige Eindruck verstärkt sich mit ihren Ticks und Eigenheiten; Ferruccio nimmt keine Stufen, er hüpft viel lieber – egal ob auf die Bühne oder über Truhen. Vor Schreck die Augen weit aufgerissen, versteift er sich allerdings, als ihn sein Vater unerwartet umarmt. Beim Zuckerbrot und Peitsche schwingenden Herrn Papa dominiert Letzteres – deshalb spricht er den Nachwuchs auch so gerne von jeglichem schauspielerischen Talent frei. Erst nach dem unbeholfenen väterlichen Zuneigungsbeteuerungs-Versuch kann Ferruccio wieder aufatmen. Seltsam entrückt streichelt Sarah den Tierkopf an ihrem Pelz und drückt ihn lachend an sich oder hüllt sich in den Bühnenvorhang ein. Den Kommandos des Vaters folgen die beiden auf’s Wort, auch wenn sich erste Anzeichen von Widerstand regen. Trotzig streckt Sarah ihrem Staats-schauspieler-Vater die Zunge raus und bringt statt des gewünschten Mineralwassers normales Leitungswasser. Revolution! Auf die Barrikaden! Gleichzeitig verraten die Blicke der Kinder eine Tiefe, die erahnen lässt, dass da tatsächlich noch mehr schlummert als simple Geistlosigkeit.
Den tragisch-komischen Charakter des THEATERMACHERS unterstreichen zahlreiche Pointen wie die Kehrseite des Wirts, die immer wieder die Schwingtüre stoppt. Aber auch die mit ‚Blut‘ besprenkelten Stiefel und Schürze der Wirtin sorgen für Erheiterung – schließlich ist ja Blutwursttag. Und die sind auch wirklich dem potentiellen Misthaufen mit seinen 800 Fliegen vorzuziehen. Als endlich die georderte Fritattensuppe auf dem Tisch steht, schaufeln sie die erwachsenen Kinder gierig und linkisch in sich hinein.
Die Sache mit dem Notlicht – eine Anspielung an den inzwischen sehr bekannten ‚Theaterskandal‘ anno 1972 – wäre dann übrigens gut ausgegangen, aber leider kam ja das Unwetter der Vorstellung dazwischen. Das poltert eindrucksvoll mit lautem Getöse und grellem Licht hinter der Kulisse durch den Saal. Auf seinem Höhepunkt verschluckt die Naturgewalt gierig so manches gesprochene Wort. Vielleicht auch besser so, weil immerhin blieb damit anderen das Schicksal erspart, mit hochgehaltenem Pappschild vor dem Notlicht zu stehen, um nur ja keinen Strahl Streulicht entkommen zu lassen. Ganze fünfzehn Minuten lang. Dieses Schicksal ereilte einst verfasserin – und das, so sei an dieser Stelle verraten, geht in die Arme. Ziemlich sehr sogar.
Fotonachweis: Jan Friese
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