AnnenMayKantereit oder Die Jungs vom Kicker.
AnnenMayKantereit – schon einmal gehört? Mir half der Zufall auf die Beine und obwohl ich eigentlich nach etwas ganz anderem Ausschau gehalten hatte, stolperte ich über die vier Jungs aus Köln. Danach blieb ich hängen. Umso größer die Freude, als ich – wiederum durch Zufall – die frohe Kunde vernahm, dass die Band mit dem ungewöhnlichen Namen auf ihrer Tour in Salzburg im Rockhouse gastiert. Sofort war klar: Ich muss da hin, ganz unbedingt.
Freundin M. und die Verfasserin dieser Zeilen irren etwas orientierungslos im Rockhouse umher. Eigentlich wollen wir nur noch schnell vor Einlass die Nasszelle besuchen, das Unterfangen gestaltet sich allerdings schwierig. Nach zwei vergeblichen Versuchen, landen wir nach dem dritten Anlauf doch noch am Ziel. Daneben der Kicker, an dem sich vier Jungs gerade ziemlich verausgaben. Drei davon sehen verdächtig nach Christopher Annen, Severin Kantereit und Malte Huck aus und bilden damit bereits die Hälfte von AnnenMayKantereit (so einfach lässt sich der ungewöhnliche Bandname entschlüsseln). Unten hat ihr sehr junges und sehr weibliches Publikum mittlerweile eine sehr manierliche Warteschlange gebildet.
Hauptsache nicht Mitte 30.
Kurz nach Einlass lassen auch wir uns im Saal nieder. Dunkel und „höhlig“ ist es, das versprüht Charme. Wir werden zu Grottenolmen für einen Abend und passen uns an. Deshalb lassen wir uns auch lässig zu Boden gleiten, um uns dort herumlümmelnd die Wartezeit zu vertreiben. Die vergeht noch schneller mit bierlastigem Getränk in der Hand und anthropologischen Gelüsten im Sinn. Das Publikum ist schnell unterteilt. Wir freuen uns über jeden älteren Besucher, der uns selbst etwas jünger erscheinen lässt. An das jugendliche Gros des Anfang 20 und jünger Publikums reichen wir dennoch nicht mehr ganz heran. Immerhin oszilliert der Konzertbesuch zu einem amüsanten Jungbrunnen-Bad, sehr vitalisierend (und ganz ehrlich, auch Mitte 30 ist schön).
Und du wirst 21, 22, 23
Und du kannst doch gar nicht wissen, was du willst.
Und du wirst 24, 25, 26,
Und du tanzt nicht mehr wie früher.
(…)
Und wenn ich dich dann frage,
was du werden willst.
Dann sagst du immer nur,
„Ich weiß nicht. Hauptsache nicht Mitte 30“
Hauptsache nicht Mitte 30!(21, 22, 23 – AnnenMayKantereit)
Es geht los.
Nein, doch nur die Vorband, die eigentlich eine 1-Mann-Band ist und damit ein Paradoxon. Ganz eigentlich hat er (die Band ist in diesem Fall maskulin) auch einen Namen, den verstehen wir allerdings nicht. Erst später sehe ich ihn feinsäuberlich auf der Eintrittskarte aufblitzen: Fil Bo Riva. Aha. Sein Musikstil ähnelt AnnenMayKantereit, das scheint passend. Ebenso angemessen unterhält er das Publikum. Zu sehr? Immer öfter drängeln sich einzelne (oder mehrere) KonzertbesucherkollegInnen nach vorne. Die Ausreden reichen von gar-keiner-Ausrede-und-stummen-nach-vorne-drängeln bis hin zu „meine Freundin steht da vorne“ und vagem Gestikulieren mit den Extremitäten. Ja, klar, meine auch – und zwar in der 1. Reihe… Die vier Mädels, die sich eben selbst noch vorgezwängt haben, bilden jetzt unvermutet eine Wand und teilen dem einzigen Mann im Bunde gerade bedeutungsvoll mit: „Wir lassen hier niemanden durch“. Nein, natürlich nicht.
Ganz unauffällig und angenehm zurückhaltend nehmen schließlich AnnenMayKantereit auf der Bühne ihre Plätze ein. Die Jungs vom Kicker sind so sympathisch und normal wie ihre zahlreichen YouTube-Videos andeuten und ihr Song-Repertoire vermuten lässt. Das ist ziemlich variabel: Pop mit Rock-Elementen, Rock mit Pop-Elementen, laut und zornig, ruhig und melancholisch, balladenartig und nachdenklich. – Jugendlich verschmitzt übernimmt Henning May das Reden. Fast hat es den Anschein, als stünde der Frontsänger erst kurz vor seiner Volljährigkeit, wenn er lächelt folgt der nächste Verjüngungsschub, erst seine Stimme führt diese Vermutungen obsolet. Die hat eine ungewöhnlich raue und tiefe Farbe und einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Außerdem könnte sie vermutlich zu einem 60jährigen Kettenraucher gehören, was unwillkürlich alle Aufmerksamkeit auf H. May weilen lässt. Freundin M. stellt im Verlaufe des Abends fest, dass er auch über eine äußerst angenehme Sprechstimme verfügt. Da hat sie Recht. Man könnte ihm gut und gerne länger zuhören. Fast schon schüchtern wirkt H. May, wenn er immer wieder verlegen lächelt und gerührt strahlt, während er mit kleinen Kommentaren zwischen den Songs unterhält. Die unglaubliche Wandlung vollzieht sich, sobald die ersten Töne erklingen. Plötzlich ist der Frontsänger von AnnenMayKantereit höchst präsent, röhrt ins Mikro und gewinnt an Ausstrahlung und Souveränität. Nicht nur den weiblichen Besucherinnen gefällt das, deren Herzen ihm ohnedies persistent zufliegen. Das ist keine bloße Vermutung. Hinter uns erklingen immer wieder verzückte Mädchenstimmen und eindeutige Gesprächsfetzen. Die Blicke der anderen tun ihr Übriges.
Doch um hier nicht einzig dem Leadsänger mit der unvergleichlichen Stimmfarbe zu huldigen: Auch der Rest der Band darf sich, nein, muss sich sehen lassen (Christopher Annen – Gitarre-Mundharmonika-Kombi, Severin Kantereit – Schlagzeug & Bassist – Malte Huck). Mit Betreten des Bühnenbodens versprühen sie unglaublichen Enthusiasmus, der ansteckt. Sie spielen sich in Rage und lassen ihre Instrumente erstrahlen. Das macht Spaß.
Wer hat an der Uhr gedreht?
Ein Hit jagt den nächsten. Das Publikum ist erstaunlich textsicher, auch wenn die Metaebene der Songs gerne ignoriert wird. H. May auf der Bühne: „Ich möcht gern mit dir in ner Altbauwohnung wohnen„. Mädel im Publikum: „Also Altbau ist auch nicht immer geil“. H. May auf der Bühne: „Ich würde auch manchmal morgens Brötchen holen“. Mädel im Publikum: „Moiiii, wie süß“. – Durch den Abend wummert der Bass, die Tontechnik sorgt dafür, dass die Band die Magengegend zum Vibrieren bringt. Plötzlich steigen auch die Temperaturen und das nicht nur, weil der Typ vor einem viel zu groß ist und immer weiter zurückkommt, so dass unfreiwilligerweise die eigene Hand versehentlich auf seinem Gesäß landet. Das Vergnügen ist nicht existent, wirkt er doch wie ein zu groß gewachsener Vierzehnjähriger. Mit Zahnspange. Der einem bei der Gelegenheit nicht nur die Sicht nimmt, sondern auch gerne den Ellbogen gefährlich in die eigene Magengegend oder Getränke haltende Hand rammt. Zurückrammen hilft nicht, er scheint schmerzresistent. Nur ganz am Ende, als ich endlich zum vollen Schlag aushole, reagiert er auf einmal doch. Es geht ja.
Über die Probleme und Nöte der Anfang 20er.
Vom neuen Zimmer angeln wir uns zur WG und der bereits erwähnten Altbauwohnungssehnsucht, über Kaffee und Zigaretten zu Liebeskummer. Das Publikum fällt begeistert ein; sie sympathisieren mit den Jungs und ihren Songnöten, hüpfen wie unter Strom jubelnd, klatschend und ziemlich lautstark im Takt. Soviel Publikumsliebe erfreut sichtlich. – Eingängig die Songauswahl, hübsch die zwei eigentlich noch nicht existierenden Nummern oder das Liebeslied, dessen Titel mir leider wieder abhanden gekommen ist (mea culpa). Dann wird amüsant improvisiert. Empathisch fordert H. May einzelne Besucher in der 1., 3., und 8. Reihe auf, doch endlich ihre Mobiltelefone einzupacken, „den Dreck seht ihr euch doch eh nie wieder an“. Das erscheint harsch, als „Dreck“ möchte man das Konzert nicht tituliert wissen. Dass sich die Handyfilmer ihre Videos nie wieder ansehen werden, könnte allerdings stimmen. Die Verfasserin bestaunt währenddessen das Improvisationstalent von H. May. Das hätte man dem schüchtern wirkenden jungen Mann so gar nicht zugetraut. Als er danach verschmitzt ins Publikum lächelt, springen ihm nicht empörte Smartphone-BesitzerInnen an die Gurgel, sondern jubelt die Menge. So viel jungenhaftem Charme fällt es schwer, sich zu entziehen, sogar dann, wenn er eigentlich ein Machtwort spricht.
(Das hier verwendete Fotomaterial wurde in sekundenschnelle und während ein oder zwei Songs aufgenommen. Die Autorin distanziert sich eindeutig von minutenlanger Mitfilmerei, das wäre ihr tatsächlich viel zu mühsam. 😉 )
AnnenMayKantereit in der Bredouille. Wunderbar die Zugaben. Endlich kommen die Songs, die die Verfasserin davor bereits vermisste: „Barfuß am Klavier“ und „21, 22, 23“. Der Applaus und die „Zugaberufe“ sind nicht enden wollend. Die Jungs stürmen erneut auf die Bühne, verschmitzt kündet ihr Band-Sprachrohr, dass sie „so etwas eigentlich nie machen“, entgegen allgemeiner Gewohnheiten gibt es an diesem Abend aber ungewöhnlich viele Zugaben. Das hat sich das enthusiastische Publikum hörbar verdient. Allerdings, so H. May weiter, seien ihnen mittlerweile die fröhlichen Songs ausgegangen. Dann wird halt „Pocahontas“ intoniert. Das kennt die Verfasserin noch nicht, ist aber mit famoser Schlagzeugbegleitung der krönende Abschluss eines fabelhaften Konzerts.
Die Bar. Wir ergattern einen der wenigen freien Barhocker und sind auch ziemlich glücklich darüber, während wir uns über der nächsten Runde bierlastiger Getränke hermachen und uns gegenseitig ins Ohr brüllen. Anders ist keine Kommunikation mehr möglich, wird doch bereits fleißig aufgelegt. Irgendwie ist das aber auch ganz okay so, wir Grottenolme verstehen uns ja.
Auf den diversen Wegen zu den Nasszellenräumlichkeiten stolpern wir immer wieder über den stets von Mädchenhorden umlagerten Frontsänger, der mittlerweile fleißig Autogramme schreibt und Konversation betreibt, während Ch. Annen, M. Huck und S. Kantereit wieder unbehelligt dem Kickern frönen. Irgendwann schafft es Ersterer dann immerhin in die Nähe seiner Freunde, die bereits tiefenentspannt in einer Ecke relaxen. Jetzt wird auch deutlich, warum H. May vor der Show vermutlich freiwillig durch Abwesenheit glänzte.
NB: Dieser seltsame Moment, wenn man nach Mitternacht auf dem Fahrrad gen Zuhause radelt, auf der menschenleere Straße plötzlich zwei Männer und einen Hund auf sich zukommen sieht und sich einer davon breitbeinig auf dem Fahrradweg aufbaut. „Stehenbleiben!“ ruft mir der Geselle mit der Bierflasche in der Hand zu. „STEHENBLEIBEN“ schreit er plötzlich. Mh, glaubt er tatsächlich, dass ich daraufhin anhalte? „Warum denn?“ rufe ich ihm amüsiert zu, während ich auf ihn zufahre und dann mit kurzem Blick zurück (nein, da kommt nichts) ausweiche, wobei ich kräftig in die Pedalen trete. Die Antwort bleibt er mir schuldig. Stattdessen höre ich ein „nein, sie war’s nicht“, das an seinen Freund gerichtet ist. Da bin ich aber erleichtert 😉
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