WAHNSINN, WARUM SCHICKST DU MICH IN DIE HÖLLE.
Mit HÖLLE, HÖLLE, HÖLLE rollen Ben Pascal und Silvia Salzmann Sartres Komödie „Geschlossene Gesellschaft“ experimentell und zeitgenössisch auf. Das putzt ganz ungemein.
Drei ist eine heilige Zahl. Dreifaltigkeit, am dritten Tag ist Jesus wieder auferstanden und so weiter. Drei ist aber auch die Zahl, auf die Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ fußt. Und damit auch das ganz und gar nicht heilige Thema der Hölle, die den Dreh- und Angelpunkt der transzendenten Komödie konstituiert. Das wiederum bringt uns auf direkten Weg zu Ben Pascal und Silvia Salzmann. Die beiden haben sich nämlich der „Geschlossenen Gesellschaft“ verschrieben und die himmlische Zahl nicht nur mit drei multipliziert, sondern sie auch gleich in eine multimediale Tanz- & Musikperformance transformiert. Logisch, wir schreiben schließlich 2018 und das ruft nach neuen Mitteln.
In aller Plot-Kürze
Zwei Frauen und ein Mann werden von einem geheimnisvollen Diener in einen Raum geführt. Alle drei sind vorzeitig aus dem Leben geschieden. Dass sie sich in der Hölle befinden, wird ihnen nach und nach klar. Der erste ist Garcin; ein Journalist, der seine Frau misshandelte und sich generell nicht mit Heldentum bekleckerte. Dann ist da Inès. Homosexuell und ziemlich intellektuell verführte sie weniger klug die Frau ihres Cousins. Der wird von einer Straßenbahn überfahren (Unfall oder Mord bleibt ungeklärt), woraufhin sich seine Frau umbringt. Estelle wiederum ermordete ihr Kind und trieb ihren Geliebten zum Selbstmord. Jetzt werden die drei Sünder*innen zu den Folterknechten der jeweils anderen – Sisyphos und Tantalos haben genug gelitten.
All that jazz
Ben Blaikner wollte für seine Adaption von Sartres Parabel die Sprachlichkeit reduzieren: Und strich sie ganz. Das heißt, die verbale, denn non-verbal könnte HÖLLE, HÖLLE, HÖLLE kaum geschwätziger sein. Choreografin Silvia Salzmann benötigt dafür keine opulente Ausstattung. In Tanz und Ausdruck ist das Ensemble sich selbst genug. Leitmotivisch werden bestimmte Musiksequenzen mit Charakteren verknüpft. Abgehackt und suchend erwacht Garcin (Thomas Geismayr) als Erster im Raum. Bewegt sich eingangs kaum vom Fleck und arbeitet vor allem mit der oberen Hälfte seines Körpers. Genauso staccatoartig erklingt die Instrumentierung der Jazz-Musiker im Hintergrund (Paul Dangl, Florian Sighartner, Clemens Sainitzer – liefern den intensiven Live-Soundtrack). Weniger Zeit zur Orientierung gewährt die Choreografie der ersten Tänzerin (Leonie Humitsch), vermutlich Inès. Selbstbewusst forsch erobert sie mit fließenden Bewegungen zu jazzlastigen Tönen den Raum.
Bastelstunde
Wenn die erste Tänzerin Inès war, erwacht im Anschluss Silvia Salzmann als Estelle zu ewiger Schuld und Sühne. Weniger forsch, dafür umso beharrlicher begibt sie sich auf Erkundungstour. Immer dabei, der Diener; auch wenn die drei Tänzer*innen für HÖLLE, HÖLLE, HÖLLE schon auf der Bühne standen, als das Publikum noch in Richtung Plätze tapste – Remo Rauscher wird mit seinen beiden Live-Projektionen zu einer Diener-Metapher (und laut Blaikner ergeben er und seine Gerätschaften einmal mehr die Zahl Drei. Das leuchtet ein, also irgendwie halt). Dabei darf sich der Projektions-Akrobat kreativ austoben. In wunderbarer Schönschrift – die neuerdings Handlettering genannt wird – wirft Rauscher Sartre-Zitate auf die Bühne und spielt hochkonzentriert Daumenkino. Mit rotem Lippenstift bemalt er dramatisch Aufnahmen und erzeugt visuelle Loops auf zweiter Ebene. Bastelstunde anno 2018. Auch wenn der körperliche Einsatz auf dem harten Tisch in Yoga-Manier zwar sehr humorig, aber für den Rücken wenig erbaulich scheint. Die Effekte schlagen ein, verstärken das Geschehen auf der Bühne und führen es weiter aus (Licht: Valentin Danler).
Transmediale Hölle
Währenddessen verschärft sich die Lage im Raum. Von der Verweigerung des Folterknechtedaseins ist bald nicht mehr viel übrig. Pieksen, verschmelzen, auslachen, aneinander abprallen sind die haptischen Ausdrucksweisen einer transmedialen, verkörperlichten Hölle. Als der Diener die Tür nach außen öffnet, drängen sich alle erpicht verschämt darauf zu, nur um gleich wieder verschreckt den Rückzug anzutreten. Exzessiv bringt der Diener zuerst sorgfältig, dann immer manischer eine Acht zu Papier – und besiegelt mit der unendlichen Schleife das Schicksal der drei Sünder*innen.
In der christlichen Religion besteht die Hölle aus dem Fegefeuer, bei Dante steckt der Teufel im ewigen Eis fest. Sartre und HÖLLE, HÖLLE, HÖLLE berufen sich auf den Stillstand. Das Verharren und Nicht-Tätig-Werden, obwohl die Wahl gegeben scheint, bedeutete für den französischen Philosophen bereits tot zu sein. Und tot, das sind auch die drei Unheiligen auf der Bühne. Die transmediale Inszenierung holt sie ins Hier und Jetzt des Theaterraums und erzeugt so eine sehr spezifische Verknüpfung mit der Realität. Gestern Sisyphos und Tantalos, heute Garcin, Inès und Estelle – und morgen? …
Fotonachweis: Ben Blaikner
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