Ich nannte ihn Krawatte | Toihaus Theater

Ich nannte ihn Krawatte – Toihaus Salzburg

INCLUDE ME OUT.

Stumme Poesie, gestische Beredsamkeit und großartige darstellerische Leistungen: Arturas Valudskis Inszenierung ICH NANNTE IHN KRAWATTE begeistert auf ganzer Linie.

„Memento Mori“, forderten die mittelalterlichen Mönche, „sei dir deiner eigenen Sterblichkeit bewusst“. Spannenderweise steckt das Sterben, also das „mori“, auch im japanischen „Hikikomori“. Das mag Zufall sein, ich bin weder Linguistin noch des Japanischen mächtig, allerdings wäre es ein sehr treffender. Hikikomori, das sind die jungen Menschen, die sich in ihrem Zimmer einsperren und ihr selbst gewähltes Exil jahrelang nicht mehr verlassen. Hikikomori ist also auch eine Art des Sterbens, des gesellschaftlichen. Gleichzeitig spiegelt Hikikomori auch den modernen Hang zum Rückzug ins Private, zur Abgabe der Verantwortung (das klingt bekannt? Jap, Biedermeier). Hier setzt ICH NANNTE IHN KRAWATTE an. Und weil am Toihaus Theater obendrein gerade Japan Fokus herrscht, eignet sich Arturas Valudskis Dramatisierung des gleichnamigen Romans hervorragend für den aktuellen Spielplan (Regie & Ausstattung: Arturas Valudskis, Licht & Technik: Alexander Breitner, Robert Schmidjell).

In aller Plot-Kürze

Ein junger und ein alter Mann treffen sich auf einer Parkbank. Der eine ist ein Hikikomori, der andere – in Japan kategorisiert man offenbar gerne – ein Salaryman (Firmenangestellter). Beide sind Außenseiter. Der eine wagt sich das erste Mal seit Jahren nach draußen, der andere wurde unrühmlich entlassen und hat Angst, seiner Frau von seiner Kündigung zu erzählen.Ich nannte ihn Krawatte | Toihaus Theater

Das Schweigen der Außenseiter

Die ersten dreißig Minute herrscht auf der Bühne das große Schweigen. Wirklich? Nein. Denn auch wenn das Magenknurren des Sitznachbars drei Stühle weiter noch deutlich zu hören ist oder die Musik aus der Bar nebenan ungeniert durch die Wand wummert, könnten die Figuren auf der Bühne in ihrer absoluten Stille kaum schweigsamer und gleichzeitig geschwätziger sein. Das Spannende an Arturas Valudskis ICH NANNTE IHN KRAWATTE ist gerade dieser Bruch mit der Textlichkeit der literarischen Vorlage. Die wurde von den Kritikern hoch gelobt. Von „glasklarer Sprache“ der jungen Autorin war die Rede. Valudskis Stück distanziert sich in gewisser davon, wenn er die die beiden Schauspieler zu stummen, gestischen Höchstleistungen motiviert. Je subtiler, umso besser. Hikikomori Andreas Jähnert und Salaryman Alexander Mitterer nehmen die Herausforderung an und begeistern.

Ein bisschen Edward, ein bisschen Rain Man

Sprachlichkeit fällt bei der Theater-Fassung von ICH NANNTE IHN KRAWATTE also schon mal flach. Stattdessen wird Andreas Jähnerts Hikikomori zu einer gelungenen Mischung aus Edward mit den Scherenhänden (nur ohne Scheren oder Narben) und Rain Man. Autistisch introvertiert der starre Blick, die immer gleiche Miene, die Augen im Staunen groß. Die Hosenbeine zu kurz, die Schnürsenkel offen und auch der Blazer spannt deutlich, alles an ihm ruft sozial inkompatibel. Kein Wunder, es sind die ersten Schritte des Außenseiters zurück in der Welt.Ich nannte ihn Krawatte | Toihaus Theater Beinahe traumatisiert wirkt dieser Taguchi Hiro also, wenn er vorsichtig auf der noch leeren Parkbank Platz nimmt und dann verschreckt aufspringt, als sie knarrt. Andreas Jähnert scheint die Figur mit jeder Pore zu verkörpern bis in die letzte abstehende Haarspitze.

Glasklare Stille

Was im Falle des Romans die viel gelobte „glasklare“ Sprachlichkeit, ist bei der österreichischen Erstaufführung das gestische Pedant. Der junge Mann knabbert lautstark an seinen Fingernägeln, dass es bis in die letzte Reihe tönt. Der ältere raschelt exorbitant mit den Papieren in seiner Aktentasche und räuspert sich ständig nervös oder hustet verlegen. Die Fahrigkeit beherrscht Alexander Mitterer vorzüglich, immer wieder blickt er, wie im Zwang, auf sein Handgelenk. Die Zeit scheint für ihn allerdings stillzustehen. Da wieder, der nächste Blick, kaum dass der erste abgewandt. Dazwischen Szenen im Dunkeln, fernab auf einem Stuhl oder unter der Parkbank. Der eine wäscht sich hingebungsvoll die Füße, während der andere mit großer Körperbeherrschung einmal quer über die Parkbank turnt und zurück. Bilder wie aus den Tiefen des Unterbewusstseins, die eine intensive Note tragen und scheinbar intime Einblicke ins Innerste der Psychen gewähren.

Außenseiter-Dasein verpflichtet

Die stumme Annäherung hat längst poetische Dimensionen angenommen. Sie erreichbar bald ihr Ende, als sich die Figuren das erste Mal sanft zunicken. Eine kaum merkliche Geste voll stiller Poesie. Dann ergreift der Ältere tatsächlich das Wort und gibt den Startschuss für eine Textlichkeit, die allerdings wiederum seltsam anders anmutet. Jeder erzählt verschämt und bruchstückhaft die eigene Geschichte, meistens in Monolog-Form. Nur sehr selten reagiert der Parkbank-Nachbar direkt, meistens mimisch oder in versteckten Mini-Gesten. Hier ein unruhiges Hin und Her, dort ein nervöses Räuspern. Und immer dabei, immer leise den Takt vorgebend, Yorgos Pervolarakis, der im Hintergrund für das musikalische Arrangement sorgt (Komposition & Interpretation). Wie ein behutetes Fatum gibt er in der Stille sachte klopfend den Rhythmus vor.  Die (japanische) Leistungsgesellschaft ist omnipräsent, auch im musikalischen Setting. Auch das scheint mehr als stimmig, so wie alles an dieser intensiven Inszenierung. Unbedingt ansehen!

 

Fotonachweis: Ela Grieshaber

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