Unverhofft kommt oft und ich zu einem Besuch von CARMEN in der Felsenreitschule Salzburg als krankheitsbedingter Ersatz.
CARMEN, das ist die wohlbekannte Oper in vier Akten von Georges Bizet, die 1875 uraufgeführt wurde und auf der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée basiert. Das Libretto entstammt den Federn von Henri Meilhac und Ludovic Halévy und laut den unendlichen Weiten des Internets zählt CARMEN zu den beliebtesten und meist aufgeführten Werken des Opernrepertoires. Tatsächlich bietet bereits die Ouvertüre hohen musikalischen Wiedererkennungswert und ließe sich am besten mit „kenne ich, kenne ich“ subsumieren (musikalische Leitung und Dirigentin: Mirga Gražinytė-Tyla, Orchester: Mozarteumorchester Salzburg).
CARMEN, das ist aber auch Amour fou in seiner prächtigsten Blüte. Don José will eigentlich Micaela heiraten, als er Carmen – einer wunderschönen, wunderbaren und ziemlich narzisstischen Arbeiterin – verfällt. Alle Heimkehr- und Heiratspläne des jungen Soldaten sind in den Wind geblasen. Einmal zu tief in Carmens Augen geblickt, schon begibt er sich in moralische und gesetzliche Abgründe. Das kann nicht gut enden, wird spätestens dann klar, wenn der junge Held an der Nadel hängt und sich immer mehr zu Carmens Marionette wandelt. Gleichzeitig ist die Figur der Carmen eine Sirene par excellence, der die Männer scharenweise erliegen. Don José stellt keine Ausnahme dar; kurzweilig amüsiert sich Carmen mit ihm, ehe sie seiner bereits wieder überdrüssig wird. Als dann auch noch der feurige Matador Escamillo die Bühne betritt, nimmt die Tragödie ihren Lauf.
Was sich latent deprimierend liest, zählt aus gutem Grund zu einem der beliebtesten Opernstoffen. Monumentale Themen der Menschheitsgeschichte (Liebe, Erotik, Eifersucht, Tod u.Ä.) werden beispielhaft verhandelt und sind mit faszinierenden Musikstücken versehen. Andreas Gergen (Inszenierung) hat die Oper für Salzburg wunderbar modernisiert auf die Bühne gehoben und mit einer Farbbrillanz ausgestattet, die seinen Regiearbeiten meistens innewohnt. In das bunte Vorhaben spielt der starke Kontrast ein, den die ehrwürdigen Mauern der Felsenreitschule und das moderne Bühnenbild mit Hamburg-Alster Analogien (die Container!) liefern. Das erfrischt. Jung und neuzeitlich zeigt sich CARMEN in poppig-lasziver Form (Bühne: Conny Lüders); die Kostüme greifen die gleichen Tendenzen auf (Peter J. Davison). Die Arbeiterinnen erinnern als Femmes fatales in ihren leichten, schrillen Kleidern an Damen der Nacht, deren Klientel zwischen Upper-Class und billig changiert. Überhaupt sind viele der Szenen erotisierend aufgeladen. Das lässt Micaela, als Botin der Unschuld und der heilen, heimatlichen Welt, in die sie Don José zurückholen möchte, noch reiner erscheinen; bieder und konservativ betritt sie in hochgeknöpfter Bluse und schwarzen Hosen die Bühne, den Rucksack über die Schulter geschwungen. Der aufdringlichen Soldaten erwehrt sie sich erstaunlich souverän und das Publikum ist entzückt, sobald Micaelas (Elena Stikhina) Stimme erklingt. Besonders eindringlich „Moi, je viens te chercher!“, auch wenn die ambivalente Marien-Erscheinungs-Kostümierung, die dem Auftritt vermutlich einen transzendenten Touch verleihen soll, ein Zuviel darstellt und bisweilen irritiert.
Auch in der Oper wird „gegendert“. Zumindest bei A. Gergens CARMEN Interpretation. Die Horde Gassenjungen, die die Bühne stürmen und die Soldaten mit viel Esprit und Freude am Spiel verhöhnen, entpuppen sich als Mädchen und Jungen gleichermaßen. Unter lautem Jubel und Geschrei erobert der Kinderchor seine Manege und tobt sich aus.
Zu den musikalischen Höhepunkten des Abends zählen u.a. die wohlbekannten Klassiker, wie das von Carmen (Oksana Volkova) und dem Ensemble (Chor und Extrachor des LT Salzburg, Mitglieder Salzburger Festspiele) dargebotene „Habanera“ oder Escamillos (Zachary Nelson) „Votre Toast, Je Peux Vouz Le Rendre“. Wunderbar, gerade weil die Darstellung der Carmen an anderen Stellen durchaus noch Ausfüllpotential besitzt.
Einen absolut gelungenen Regieeinfall stellt auch die finale Szene dar, in der Don Josés (Andeka Gorrotxategi) und Carmens letztes Aufeinandertreffen zu einem symbolischen Stierkampf oszilliert. Das Amour fou Oper fleht seine Angebetet noch einmal eindringlich an, erhört zu werden. Als sie Don José diesen Wunsch verweigert und ihn stattdessen verhöhnt, fällt das Ende Carmens mit dem Todesstoß des Matadors zusammen. Die Karten hatten Recht („Carreau, Pique… La Mort“). Das Volk jubelt auf der anderen Seite der Arena dem Stierkämpfer zu, während Don José entrückt die Huldigungen stellvertretend entgegennimmt.
Die CARMEN Inszenierung in der Felsenreitschule fesselt. Die einen mehr (jaa!!), die anderen weniger. Letztere zeigen sich dafür vor allem von der musikalischen Umsetzung begeistert. Insofern sind alle zufrieden und glückliche Gesichter dominieren die Reihen während des Schlussapplauses.
Fotonachweis: (c) Anna-Maria Löffelberger
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