AM BODEN theater.direkt

Am Boden – theater.direkt

Lady of the Flies.

Ein faszinierend fesselnder Monolog: Michael Kolnberger inszenierte AM BODEN mit Christine Winter in der Rolle der Kampfjet vernarrten Drohnenfliegerin.

Als George Brant „Grounded“ schrieb, packte er als einer der ersten ein neues Phänomen in Theater. Das sollte gleichzeitig sein bislang erfolgreichstes Stück werden. „Am Boden“, wie die deutsche Übersetzung lautet, ist ein sorgfältig recherchierter Monolog über Drohnen. Als Europäer mag man verwundert fragen, Drohnen? Hä? Sind das nicht diese drolligen kleinen Dinger, die Amazon zum Versenden von Paketen verwenden möchte? Alles harmlos.AM BODEN: Ch. Winter

In Amerika werden die unbemannten Flugobjekte bevorzugt im Krieg eingesetzt. Genau genommen handelt es sich dabei sogar um die Lieblingswaffe der US-Regierung. Was dazu gedacht war, die eigenen Piloten zu schützen, mutierte zu einer perfiden Maschinerie des Tötens. Ausgelagerte Drohnenführer, meilenweit von ihrem Einsatzgebiet entfernt, schießen auf vermeintliche Terroristen. Da kann es auch mal Zivilisten treffen. Töten per Joystick und danach wieder heim in die eigenen amerikanischen vier Wänden. Klingt simpel, ist aber ein riesiger Spagat zwischen Alltag und Krieg mit fatalen Konsequenzen.

In aller Plot-Kürze

Die Ich-Erzählerin ist eine F16 Kampfpilotin aus Leidenschaft. Sie ist süchtig nach dem Kick am Himmel und enttäuscht, als sie ungewollt schwanger wird. Baby bedeutet Schluss mit der Fliegerei, zumindest vorerst. Also hängt sie ihren Fliegeranzug an den Nagel und bezieht mit ihrem Freund ein Häuschen. Nach drei Jahren hält sie es nicht mehr aus. Sie will zurück in den Job, ihr Freund unterstützt sie. Statt einer neuen Kampfmaschine wird ihr ein Bürostuhl und eine Drohne im Wert von 14 Millionen zugeteilt, die Reaper.

Von Nevada aus soll sie mit dem unbenannten Luftfahrzeug tausende Meilen entfernt Jagd auf Terroristen machen. Die ehemalige F16 Pilotin pendelt zwischen Luftwaffenstützpunkt in der Wüste und amerikanischem Kleinfamilienidyll. Zwischen Liebesleben und automatisiertem Töten. Alsbald verschwimmt die Grenzen zwischen Privatleben und Terroristenjagd auf gefährliche Weise.

Totale Stille

Michael Kolnberger (Regie) legt den Fokus seiner AM BODEN Inszenierung auf die moralischen Konflikte der Protagonistin – von denen gibt es en masse. Christine Winter schlüpft in die Rolle der selbstbewussten Kampfpilotin und durchlebt kein simples Wechselbad der Gefühle. Das wäre an dieser Stelle zu kurz gegriffen.AM BODEN: Ch. Winter Hier folgt gleich ein ganzer Gefühlsorkan. Den wuppt die Schauspielerin mit unglaublich viel Gefühl und Authentizität. Tatsächlich legt Winter mit AM BODEN eine außerordentliche Leistung hin. Sie stülpt das Innerste der Figur nach außen und erlebt alle Konflikte im Alleingang – gezwungenermaßen, das Stück ist schließlich ein Monolog. Gleichzeitig kann AM BODEN auch nur durch diese Monologisierung seine totale Sprengkraft entfalten, bei der vieles angedeutet wird und in Untertönen mitschwingt. Das aber genau macht die Inszenierung hoch explosiv. Im Publikum herrscht tiefe Stille, stolze 90 Minuten lang, eigentlich schon Lob genug für die Mitwirkenden.

Soundmalerische Qualitäten

Bei aller Stille haftet Kolnbergers Regiestück etwas eminent Musikalisches an. Das liegt zum einen an den homogen applizierten Song-Einspielungen. Musikauswahl? Sehr gelungen. Zum anderen arbeitet AM BODEN mit Loop. Das heißt, Christine Winter nimmt bestimmte Sequenzen ihres Spiels auf und lässt sie nebeneinander ablaufen. Das Ergebnis besitzt soundmalerische Qualitäten und akzentuiert die Dramatik. (Kleiner Nachteil: Dadaisten rotieren vor Neid vermutlich in ihren Gräbern).

Abgesehen von aller akustischer Finesse ist da aber diese faszinierende Figur im Zentrum des Geschehens. Wunderbar getroffen ihr Wandel. Als hartgesottene Kampfjet-Pilotin in einer Männerdomäne stapft sie prahlerisch und breitbeinig durch das Bühnenbild (Arthur Zgubic). Kein Ausdruck zu derb, kein Witz zu tief. Das Burschikose und Eckige sitzt, wackelt und hat Luft. Wie eine gefangene Tigerin läuft sie vom einen Ende zum anderen, die Bühne bis auf Bett und Loop leer. Diese Reduktion ist absolut angenehm, nichts könnte hier ablenken. Stattdessen ist das Publikum gezwungen, der Protagonistin beim Vor- und Zurücklaufen zuzusehen.AM BODEN: Ch. Winter Hyper nervös, immer wie auf Nadeln, die Unruhe der Figur ist greifbar.

Adrenalinkick

Auch die Verzweiflung und den Spott der Figur fängt Christine Winter gelungen ein. Immer wieder hadert sie mit dem fehlenden Blau. Dem dazu Gezwungen-Sein, auf einem Stuhl irgendwo im Nirgendwo auszuharren und eine Drohne am anderen Ende der Welt zu steuern. Noch wichtiger allerdings ist der Konflikt, der daraus resultiert. Diese gefährliche Mischung aus Langeweile, stundenlanges Auf-den-Computer-Starren und plötzlicher Adrenalinschub, wenn Bewegung in die Wüste kommt. Wie ein Callcenter-Job mit tödlichen Konsequenzen. Göttliche Hybris gepaart mit totaler Überwachung und morbider Routine. Das Töten wird automatisiert. AM BODEN lässt Realität und Fiktion verschwimmen und zeigt die Folgen des moralischen Super-GAU, ungeschönt und rau. Die unweigerlich daraus resultierende posttraumatische Belastungsstörung lässt das Team wunderbar langsam anklingen und zu einem dramatischen Crescendo anschwellen. Besonders gelungen die allerletzte Szene, ein unerwarteter Brückenschlag Richtung Eingang. Die alte Ich-Erzählerin ist zurück, wenngleich im Wahn, ein weiteres Opfer der modernen Kriegsführung.

 

Fotonachweis: theater.direkt

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