KinderKRIEGen ja oder nein
Sollte man in Zeiten wie diesen eigentlich noch Nachwuchs in die Welt setzen? ATMEN stellt sich im Armen Theater Wien diese und andere große Fragen stellvertretend für eine Generation, die ihre eigenen Sorgen generiert.
Was passiert, wenn ein junger Theater-Autor Stoff-Nachschub für die Bühne liefert? Diese Frage beantwortete das Arme Theater Wien unlängst mit der Inszenierung von Duncan Macmillans ATMEN: Statt der 101. Goethe- oder Schiller-Rezeption stehen plötzlich Antinatalismus und CO2-Ausstoß im Fokus. Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert! Die Moderne bricht ins althergebrachte Theater-Idyll und sorgt für ordentlich Wirbel – ganze ohne fein ziselierte Verse, gigantische Bühnenbild-Visionen oder adrett inszenierte Skandale.
In aller Plot-Kürze
Ein junges Generation-X-Pärchen irgendwo im reichen Westen: Sie arbeitet gerade an ihrer Dissertation, er an seiner Musik-Karriere. Beide sind jung, schön und aufgeschlossen. Gemeinsam lesen sie kluge Bücher, machen sich Gedanken über das Baumsterben und stellen regelmäßig die eigene Existenz in Frage. Das könnte gut und gerne noch ein paar Jährchen so weiterlaufen, doch dann stellt er ihr die Fragen aller Fragen: Baby ja oder nein?!
Generation X
Das große B-Wort wird zum Dreh- und Angelpunkt von Duncan Macmillans modernem, kritischem Schauspiel. Die Baby-Frage bildet als Movens den dramaturgischen Rahmen und ist gleichzeitig der rote Faden, der durch die Produktion führt. Regisseur Erhard Pauer greift die tragisch-komischen Zwischentöne, schlagfertigen Pointen, quecksilbrigen Dialoge und unglaubliche Tiefe, die das Stück bei aller Ironie und allem Wortwitz birgt, auf und inszenierte sie als temporeiche Coming-of-Age-Story. Anders als gängige Entwicklungsromane setzt ATMEN dabei nicht auf die Kindheit als Ausgangspunkt, sondern auf die Diskussion um das KinderKRIEGen der Mitdreißiger. Die hitzigen Diskussionen, die um das Thema kreisen, können dabei tatsächlich zu kleinen-großen Krisenherden werden – und liefern jede Menge Gesprächsstoff.
Spannendes Theater-Erleben
Das Bühnenbild reduzierte Erhard Pauer auf das Nötigstes. Nein, dabei handelt es sich um kein bloßes Sprachgeplänkel oder Wortkoketterie in ihrer Reinform. Tatsächlich stehen den beiden namenlosen Protagonisten (Krista Pauer und Aris Sas) nur zwei Stühle in einem hohen Raum zur Verfügung. Deshalb greifen der*die Schauspieler*in tief in die eigenen Talent-Kiste und geizen nicht mit mimischem Können und Empathie. Körper und Stimme werden zu den wichtigsten Instrumenten, durch die das Schauspiel des Duos eine sehr intime Note erfährt. Hier lenkt nichts vom Thema ab, sondern wird Theater in seiner persönlichsten Form zelebriert.
Der junge Mann auf der Bühne zeigt sich von seinen Gefühlen überrumpelt. Die Frage nach dem Kinderwunsch bricht förmlich aus ihm heraus. Seine Freundin reagiert schockiert und will sich dem Gespräch entziehen. Da reagiert er plötzlich bockig. Freilich erfährt das Publikum erst kurz darauf, dass sich das Paar gerade an der Ikea-Kassa befindet – einer von vielen humoresken Höhepunkten. In ATMEN werden eigentlich ernste, nachdenkliche Momente humorig aufgedröselt serviert, was für die leichte Note eines konfliktfreudigen Themas sorgt. Aris Sas mimt den Musiker mit Verve und Empathie. Begeistert holt seine Figur aus und erzählt von den Vorzügen so eines kleinen biologischen Mini-Mes. CO2-Ausstoß hin oder her, dann pflanzt man als Entschuldigung für die Eitelkeit der eigenen Gene halt einen Wald. Außerdem, wo kämen wir da hin, wenn sich nur die einfache Bevölkerung, die Leute, die sich um die Zukunft der Welt keine Gedanken machen, fortpflanzen dürften? Diese und ähnliche Fragen wirft ATMEN auf und versucht gleichzeitig Lösungsvorschläge zu präsentieren. Die Euphorie des männlichen Charakters wirkt ansteckend; einmal mehr beweist Aris Sas dabei sein Gespür für Mimik, die die Stimmungen der Figur entsprechend akzentuiert. Kleine Dämpfer in Form von giftigen Seitenhiebe der Freundin steckt der auf einen Vollzeit-Job gestutzte Musiker eingangs locker weg. Erst später regen sich auch bei ihm leichte Zweifel, dann Gegenwehr, schließlich geht er zum Angriff über, um einmal mehr zu kapitulieren.
It’s a man’s world
Es ist eine ziemlich männliche Sicht, die in ATMEN seinen Ausdruck findet (sorry Duncan Macmillan!). Gnadenlos werden alle Klischees bedient, vom Babywunsch bis zum Seitensprung – übrigens auch die von der ewig schnatternden Frau. In rasantem Tempo sprudeln Vorwürfe, Zweifel, Freude und Begeisterung aus der weiblichen Figur heraus, dass einer ganz schwindlig werden möchte. Krista Pauer hält die unglaubliche Geschwindigkeit ihres Charakters konstant aufrecht und verteilt ihre Euphorie genauso zügig und lebhaft wie ihre Kritik und ihre Zweifel. Aris Sas nimmt leichten Fußes die Verfolgung auf – als Mann in einem Männerstück hat die Figur allerdings deutlich weniger Chancen, ihre Argumente an die Frau zu bringen. Schließlich wendet sich dann auch die leichte, vergnügliche Note: Trauer, Enttäuschung und Betrug rücken in den Fokus. Das Schauspieler-Duo stellt sich den Stimmungen seiner Protagonisten und trägt sie authentisch nach außen. Der Katharsis-Effekt springt auf den Zuschauerraum über und wirkt ansteckend. Vielleicht ist es die Nähe zum Publikum, vielleicht auch das intensive Schauspiel, vermutlich beides.
Darf’s ein bisserl mehr sein?
Ohne Requisiten zu arbeiten, bedeutet nicht, fantasielos ans Werk zu gehen. Erhard Pauer inszenierte für ATMEN eine ausgeklügelte Choreographie. Harmonisch schreitet das Paar auf der Bühne imaginäre Wege ab. Aus der Warteschlange steigt es aus, ins Auto steigt es wieder ein – vor und zurück führen die Schritte durch das Leben von ihm und ihr. Deshalb sollte das mit dem Bühnenbild eigentlich revidiert werden; es gibt eines und wird dank des*der Schauspieler*in mit jeder Vorstellung neu zu imaginärem Leben erweckt. Gleichzeitig ist das fantasievolle Setting nicht minder eindrucksvoll wie etwaige ausgearbeitete Pendants.
Aber auch sprachlich hat die Produktion einiges zu bieten: Es ist dieses leicht verständliche Konglomerat aus österreichischem Standard und lokalen Anlehnungen, die das schon per se sehr breitenwirksame Sujet noch weiter ausdehnen und zur angenehmen Bekömmlichkeit beitragen. Die verschachtelte zeitliche Struktur wird einfach präsentiert und nimmt das Publikum mit zur Coming-of-Age-Reise des Protagonisten-Pärchens. Nur gen Ende hin wird es dann etwas eilig. In rasantem Zeitraffer werden auch noch die letzten Stationen abgespult – das ist eine der wenigen Schwachstellen einer andernfalls sehr gelungenen Inszenierung. Gerade deshalb ist es auch schade, dass das Stück nur eine Woche auf dem Programm des Armen Theater Wiens stand. Man darf gespannt auf mehr sein (und frau natürlich auch). 😉
Fotonachweis: Christian Vondru
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