Tour-de-Farce
Das Theater ecce verkürzt das Sommerende: Reinhold Tritscher inszenierte die Uraufführung von Peter Blaikners Komödienspiel BETROGENE BETRÜGER.
Mediävisten*innen und alle, die immer schon mit einer Inszenierung mittelhochdeutscher Texte in die Moderne geliebäugelt haben, werden frohlocken. Peter Blaikner hat’s getan. Gut, das ‚deutsch‘ darf an dieser Stelle getrost gestrichen werden. Für BETROGENE BETRÜGER ließ sich der Autor schließlich von fünf französischen Farcen inspirieren – dem ‚Mittelhochen‘ blieb er allerdings treu und legte noch ein Scherflein nach. Der Übersetzung folgte die Nachdichtung, die der sprachaffine Blaikner mit einer Modernisierung garnierte.
Das Resultat ist ein temporeiches und mit Anzüglichkeiten prall gefülltes Farcen-Sammelsurium. Das ist zwar weniger zeitgenössisch als erhofft, birgt allerdings eine ganze Reihe anderer Überraschungen. Die verlegte Regisseur Reinhold Tritscher ins Heckentheater; zumindest theoretisch, denn aufgrund von Regengefahr wanderte die Produktion an diesem Abend ins gegenüberliegende Schloss Mirabell – auch nicht schlecht und mit jeder Menge Volkstheaternähe.
Für BETROGENE BETRÜGER wird R. Tritschner wieder zum Schauspieler und bereichert sein eigenes Ensemble als Prinzipal des, nun ja, eben eigenen Ensembles. Bereits an dieser Stelle lässt sich ein Hang zum spielerischen Umgang mit Kunst und Sprache erahnen. Der Prinzipal nimmt das theatrale Genre auf’s Korn und lässt die Grenzen des Stücks im Stück verschwimmen. In groben, stark reduzierten Reimen führt er als erzählender Theaterleiter in die Handlung und holt das Publikum im Anschluss wieder ab. Freilich ohne dabei eine besondere didaktische Strategie zu verfolgen. Rein theoretisch ist die Figur also redundant, wäre da nicht sein eigener Plot, die zur inoffiziellen sechsten Farce avanciert. Auf’s Köstlichste von den anderen Mimen auf Gage drangsaliert, windet sich der Prinzipal aus jedem ausgelegten Strick, und oszilliert selbst zum abgefeimten Wortverdreher.
Das Ensemble ist überschaubar und beschränkt sich auf vier Darsteller*innen. Bina Blumencron ist als einzige Frau die Henne im Korb und wirft sich stimmgewaltig in ihre unterschiedlichen Rollen. Egal ob als unschuldiges Mädchen, das vom Vater verheiratet werden soll, und gar nicht so unschuldig ist, sondern eigentlich ziemlich durchtrieben („Kätzchen“), oder als abgebrühte und leicht hysterische Advokaten-Gattin, die den Gemahl emsig bei seinen Betrügereien assistiert und dabei ihr schauspielerisches Talent entdeckt („Gemahl“). Ein Highlight ist freilich ihre Darbietung als voluminöser und sehr roter Teufel, der sich selbst mit Johnny Cashs „Ring of Fire“ ankündigt („St. Peter und der Musikant“). Fein ziseliert Blumencron die jeweiligen Charakteristika ihrer Figuren und nutzt das Potential der ungewöhnlichen Kostüme voll aus. Die erweisen sich als absolute Blickfänge; die kreativen Entwürfe von Norbert Gruber sind – so darf vermutet werden – aus Pappmaché und werden wahlweise umgehängt, vorgehalten oder aufgesteckt (Bühne: Alois Ellmauer). Bei Bedarf funktioniert auch wenden, wenn das Glas plötzlich leer sein oder aus dem Tageskleid ein Nachthemd werden soll. Wie praktisch, möchte man*frau einwerfen, und wie kreativ! In den steifen Kostümen verbirgt sich nämlich auch allerlei nützlicher Schnickschnack und handliche Extras. Außerdem werden sie von amüsanten Accessoires ergänzt; so grillt in der Hölle ein kleines Menschlein wie ein Huhn am Spieß – unter recht viel Gestöhne und noch mehr Flammen. Der Hund der Advokaten-Gattin wird Gassi geführt, inklusive emsigem Schwanzwedeln. Und wenn Petrus mit dem Musikanten um die Seelen des Publikums pokert, dann hängt das Spielbrett schon am Kittel des Heiligen. Kein Wunder, dass die kreativen Schöpfungen alsbald die Handlung dominieren.
Aber auch der Rest des Ensembles punktet durch starkes Schauspiel: Jurij Diez oszilliert zwischen Musikant mit eingeschlagenem Schädel, in dem eine halbe Weinflasche steckt, französischem Schwerenöter Jean-Paul und gewieftem Dummkopf. Egal ob auf Balz- oder Krawall-Kurs, mit vielen subtil und offensiv applizierten Gesten und Ausdrücken beherrscht er seine Rollen bis in die letzte Faser. Ähnlich Gerhard Es, der als latent aggressive Schwiegermutter oder betrogener Advokaten-Betrüger für großes Amüsement sorgt.
Der Humor ist bei BETROGENE BETRÜGER, wie angekündigt, zwar zum Gros in neuzeitlichen Sprachduktus gefasst, aber immer noch zotig und derb. Das kann man mögen, muss man freilich aber nicht. Da wäre dann doch weniger mehr und eine weitere sprachliche Überarbeitung ganz förderlich gewesen. Dafür punktet BETROGENE BETRÜGER vor allem durch sein intensives Schauspiel und originelle Requisiten. Auch die Sprachjonglagen und Reime laden zur temporeichen Tour-de-Farce ein.
Fotonachweis: Andreas Hauch // Theater ecce
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