Brush up your Bizet.
Endlich hält der Humor Einzug im Hause CARMEN, der berühmten Opéra comique von Georges Bizet. CARMEN À TROIS zeigt, wie das funktioniert. – Eine ironisch lockere Persiflage auf die Opernwelt mit hohem Wiederkennungswert.
Ich bin froh. Froh darüber, erst vor einigen Monaten Georges Bizets Oper CARMEN auf der Bühne erlebt zu haben. Damit brauche ich dem Grüppchen vor mir kein Gehör zu schenken. Dessen Rädelsführer rezipiert in der Pause fleißig Wikipedia – um was ging es bei Georges Bizets Opéra comique schnell genau? Stattdessen gehöre ich – wie es der Zufall will – zu den Souveränen im Saal, quasi den Opern Opern-Checker beim MotzArt Kabarett Festival. Und ja, es ist tatsächlich dieser Zufall, der es mir ermöglicht, die musikalische Parodie auf Bizets Klassiker in vollen Zügen zu genießen. Die Rede ist natürlich von CARMEN À TROIS (am Flügel: Rhodri Britton). Mit ihrem „Don Giovanni“ (Auftragswerk für das Salzburger Mozartjahr) überzeugten Sabine Fischmann und Michael Quast bereits das Salzburger Festspiel-Publikum. CARMEN À TROIS tritt in diese große Fußstapfen.
Der Plot von CARMEN ist hinlänglich bekannt. Lebenslustige und von allen begehrte Zigeunerin trifft Sergeant bei Wache vor Zigarettenfabrik in Sevilla. Doch oh Schreck, Sergeant Don José ignoriert die holde Carmen. Das stachelt ihren Ehrgeiz an. Sie bezirzt, gewinnt und führt den wackeren Sergeant vom rechten Weg ab. Dort angekommen, ist Don Josés Leidenschaft vollends entfacht und brennt um so länger. Sehr zum Leidwesen Carmens, die ihn mittlerweile gerne wieder loswerden möchte. Sie verlässt Don José für den feurigen Torero Escamillo, obwohl ihr die Karten einen frühen Tod weissagen. Selbstverständlich kommt es, wie es bei einer Oper meistens so kommen muss…
Bizets CARMEN ist alles andere als eine komische Oper. Den Zusatz erhält das Werk durch ein historisches Missverständnis. Wegen seiner gesprochenen Dialoge muss CARMEN an der Pariser Oper Opéra comiue aufgeführt werden. Großer Pathos und leidenschaftliche Gefühle geben sich auch bei S. Fischmanns und M. Quasts herrlicher Travestie ein Stell-dich-ein. Gleichzeitig hält aber endlich auch die versprochene Komik Einzug. Sprichwörtlich mit Pauken und Trompeten – oder in dem Fall Tschinellen und Tröten.
Opereskes Work-Out
Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viel Parodie in so eine Oper passt. Kunstvoll zelebriert das Trio auf der Bühne den Opernstoff. Pianist Rh. Britton gibt bestens gekleidet das Tempo vor und leitet das Duo musikalisch durch seine zahlreichen Pointen. Mit etwas Verspätung drücken sich S. Fischmann (in so ziemlich allen weiblichen Rollen) und M. Quast (in den meisten männlichen) auf die Bühne. Schüchtern nehmen sie in ihren aus der Zeit gefallenen, biederen Kostümen Platz. Optisches Unterstatement ist alles – deshalb gehen sie bei der Ouvertüre auch sofort in die Vollen. Da werden die Tschinellen geschwungen, dass es nur so kracht, mit kleinen Tröten lebendige Einsprengsel kreiert und der Triangel ihre fünf Minuten Opern-Ruhm beschert. Dazwischen rudern S. Fischmann und M. Quast emsig mit den Armen und springen wie von Taranteln gestochen immer wieder aus ihren Stühlen empor. Schnell wird klar, musikalisch sind sie, die Protagonisten*in, aber auch sehr körperlich. Hier ist Kondition vonnöten; mit großartigem Einsatz lassen sie deshalb die Bühnenbretter krachen. Spanische Flamenco-Einlagen wechseln sich mit kreativen Verrenkungen ab. Das Trio nimmt sich dabei selbst alles andere als ernst.
Kleine große Feinheiten
Mit großer Dramatik und seriösem Timbre liest M. Quast aus Prosper Mérimées‘ Novelle, quasi dem CARMEN’schem Urstoff. Alleine erweist sich seine Rolle als latent detailverliebt – sehr sogar. Also hängt CARMEN À TROIS spätestens bei Zeile drei. Es ist die andalusische Sonne, die M. Quast nicht mehr loslässt. Die brennt vom Himmel, wie es nur die Sonne in Sevilla zu brennen vermag. Nach einer gefühlten halben Stunde über das andalusische Phänomen greift S. Fischmann mit typischer Rollen-Schnute ein. Der helle Stern zieht sich allerdings trotzdem fortan als prominente Pointe und roter Faden durch die Handlung. Derer gibt es viele, dazu zählt selbstverständlich – wir stecken in einer Travestie über die Oper – auch das musikalische Repertoire. Mit großem Fingerspitzengefühl und wunderbarer Umsetzungsgabe werden die Partituren aus Georges Bizets Oper variiert und geformt. Dass sie dabei niemals der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ist der Opern-Liebe der drei Künstler*innen zu zollen. Stattdessen zelebrieren sie die großen Stücke der Opern-Geschichte: „Habanera“ darf S. Fischmann auf Französisch darbieten. Mit hartem R, ganz wie die Chansonette Edith Piaf. M. Quast überlässt seiner Kabarett-Kollegin als Kavalier die berühmte Blumenarie des Don Josés. Inbrünstig und in rotes Licht getaucht, nimmt die Sängerin die Herausforderung an und hinterlässt mit ihrer berührenden Interpretation bleibenden Eindruck.
Sprachlichkeit und Oper
Nicht nur auf die Musikalität wird großen Wert gelegt. Gleichzeitig lässt das Duo seine kabarettistischen Muskeln spielen. Das funktioniert am besten mit der Aneignung verschiedener dialektaler Färbungen. Da S. Fischmann und M. Quast aus „deutschen Landen“ stammen, sächselt eine Micaela natürlich. Zuniga hingegen verleiht die Künstlerin eine bayerische Zunge. Sein „dreckiges“ Lachen entpuppt sich als heiter lautmalerisches „hö hö, hä hä“, während sie als Carmen in südländischen Akzent verfällt. M. Quast ist nicht nur ein starker Verfechter des richtigen Sächselns bei Micaela, sondern verfügt auch über ein beachtliches Repertoire an Tierstimmen. Es blökt und zwitschert und kräht bei CARMEN À TROIS wie ungehört in Bizets Original.
Verballhornungen funktionieren höchst kultiviert in CARMEN À TROIS. Nicht verwunderlich, sind in der heiteren Opern-Travestie doch musikalische Kabarettisten*innen oder kabarettistische Musiker*innen unterwegs. Und die machen Lust auf mehr. Beim finalen Applaus ruft deshalb auch der Wikipedia rezipierende Neo-Opern-Fan aus der Reihe davor ein begeistertes „Dacapo!“ in Richtung Bühne. Ganz stolz scheint er darüber, jetzt auch zu den Opern-Kennern zu gehören, während der weibliche Snob zur Linken auf seinen Kommentar hin nur kurz ironisch aufschnauft. Ihre enthusiastischen Kommentare in der Pause zeugen allerdings davon, dass CARMEN À TROIS alle vereint: Opern-Neulinge und die, die sich ohnedies für die Experten*innen halten. 😉
Fotonachweis: Wolfgang Runkel
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