„Kennen Sie Gatsby?“ Am Schauspielhaus Salzburg kursiert eine Frage
Die Roaring Twenties halten Einzug. Irmgard Lübkes Inszenierung über den großen Verwandlungskünstler kratzt gelungen am schillernden Klischee des American Dream.
Jeder kennt seinen Namen, aber die wenigsten wissen, wer er ist. Der sagenumwobene Gatsby. Im Kosmos von Francis Scott Fitzgeralds bedeutendsten Roman ist Gatsby eine Legende. Die schaffte sogar den Sprung von der Fiktion in die Realität. Niemand sonst steht so für den amerikanischen Traum wie Fitzgeralds Protagonist. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Rauschende Feste, zahlreiche Promis und ein gigantisches Anwesen all inklusive.
Wie aber inszeniert man diesen großen literarischen Brocken mit den Möglichkeiten einer überschaubaren Theaterbühne? Irmgard Lübke machte es am Schauspielhaus Salzburg vor und der American Dream wird auf ein gelungenes Maß gestutzt. Fast so, als würde Gatsby und den seinen Frau Welt persönlich den Rücken zukehren (Fassung: Rudolf Frey, Bühne: Vincent Mesnaritsch, Kostüme: Elke Gattinger, Dramaturgie: Tabea Baumann, Licht: Marcel Busá).
In aller Plot-Kürze
Protagonist ist der rätselhafte Emporkömmling Jay Gatsby, der im Sommer 1922 in seinem Haus auf Long Island rauschende Feste feiert. Er glaubt, damit seine große Liebe Daisy zurückgewinnen zu können, die in der Bucht gegenüber wohnt und mit dem reichen Tom Buchanan verheiratet ist. Das klappt allerdings nicht so recht. Es kommt zum tragischen Ende. Gatsbys Geschichte wird zwei Jahre später aus der Retrospektive erzählt.
Musical-Ausgelassenheit trifft Weltliteratur
DER GROSSE GATSBY ist keine Analogie auf Alexander den Großen, dessen russische Kollegin Katharina oder wie die Großen alle heißen. Ganz im Gegenteil, in den 20er Jahren waren es die Magier und Unterhaltungskünstler, die mit dem Attribut „groß“ versehen wurden. Also Der Große Houdini. Oder eben Der Große Gatsby. Die mysteriöse Opulenz lässt Imgard Lübke nur eingangs zelebrieren, wenn die Figur als stummer, distanzierter Beobachter fungiert (Bülent Özdil als fleischgewordener Mythos) und im ersten Schritt Zeuge einer ausgewachsenen Musical-Szene wird. Tatsächlich, in köstlich amerikanischer Persiflage werden die unendlichen Möglichkeiten Amerikas gepriesen, Sätze euphorisch begonnen und gegenseitig beendet. Absolut kitschig, erstaunlich stimmstark und würdig einer Broadway Bühne (Musik: Fabio Buccafusco). Die gibt es hier zwar nicht, gleichzeitig mischt sich in die Hybris eine kritische Note. Es folgt der totale Bruch.
Auch wenn es der Titel anders vermuten lassen würde, inoffizieller Protagonist ist weniger Gatsby als Nick Carraway. Simon Jaritz-Rudle gibt diesen aufmerksamen, undurchsichtigen Erzähler, der sich persistent nach Gatsby erkundigt und selbst wenig von sich preisgibt. Nick ist ein charmanter Frauenversteher, der seine Fühler in alle Richtungen ausstreckt. Von Christiane Warneckes kess-selbstbewusster Jordan Baker bis zu Magdalenas Oettls lebenslustiger Catherine. Gleichzeitig entpuppt sich der Lebemann als erstaunlich weitsichtig. Er alleine erkennt das wahre Wesen Gatsbys: zu echter Liebe fähig zu sein. Also so wirklich und richtig, mit allem drum und dran, ja und inklusive einer Brise Wahnsinn. Deshalb konstatiert Nick kurz vor dessen Ende auch treffend, dass er, Gatsby, so viel mehr Wert sei als all die anderen gemeinsam.
Spiel mit den Zeiten: DER GROSSE GATSBY
Die Bühne beschränkt sich auf angedeutete Wände, Fenster sowie eine sehr reale Plastikplane und ist damit auch authentischer als jede fiktive Glitzerwelt. Hinter der Plastikplane wird rekapituliert. Mit den Zeiten jongliert Irmgard Lübkes Inszenierung wie keine andere. Figuren treten aus ihren Positionen hervor und berichten plötzlich selbst aus der Erzähler-Perspektive. Die Plastikplane ist die Kulisse einer Prolepse, die Bruchteile der Gegenwart von der Vergangenheit trennt.
So tobt Wolfgang Kandlers Wilson hinter der Plane voller Trauer und Wut. Michaelis (Magdalena Oettl) redet zwar beruhigend auf ihn ein, das scheint aber nur so semi gut zu funktionieren. Wilsons Bein zittert vor unterdrückten Emotionen. Das Puzzle löst sich an späterer Stelle. Längst ist die Plastikplane gefallen, als Wilsons Frau Myrtle (naiv und leidenschaftlich Sophia Fischbacher) von einem Auto überfahren wird. Übrigens eine sehr gelungene Szene, die wie viele andere in diesem Stück mehr beschreibt anstatt zu zeigen. So verharrt Myrtle Wilson wie festgefroren, während ihre Affäre Tom (Theo Helm) sie fast wehmütig und milde fassungslos berührt. Selbst Liebschaften verweilen in Long Island auf lange Sicht nur an der Oberfläche.
Die treue Seele und das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel
Der Verwandlungskünstler Gatsby bewahrt das Geheimnis um seine Figur am besten aus der Distanz. Einmal ans Licht gezerrt, changiert die Legende zu einem anhänglichen Verflossenen – der Amour fou erstaunlich nahe. Schauspieler Bülent Özdil ziselierte also sehr menschlichen Facetten in die Figur. Die speist sich einzig aus dem Streben nach der großen Liebe, der zu Daisy (Katharina von Harsdorf). Von Harsdorfs Daisy wiederum frönt wunderbar blasiert, egozentrisch und gelangweilt den oberflächlichen Beziehungen. Neuartige Tänze, Jazz-Musik, Partys und Geld. Nicht ohne Grund heiratete sie Tom Buchanan, einen reaktionären Millionär aus reicher Familie, als Gatsby einberufen wurde. Theo Helm gibt Tom immer eine Spur aggressiv und rasch aufbrausend.
Jeder mit jedem und von einem Fest zum nächsten. Dafür steht auch Christiane Warneckes Jordan Baker, die sich selten bis nie ein Blatt vor den Mund nimmt und als Allegorie der Vergnügungssucht ein Weinglas auf der Stirn balanciert. Die Inszenierungswelt abseits von Protagonist Gatsby demonstriert eindrücklich den Widerspruch der Konsumgesellschaft und ihrem Streben nach Erfolg, Reichtum und Glück. Catherine (Magdalena Oettl) reiht passenderweise bereits zu Beginn die Plastikbecher auf, die genauso Einwegware symbolisieren wie die oberflächlichen Beziehungen der Figuren. Sehr unterhaltsam, Marcus Marotte als angeheiteter Gast, der staunend davon berichtet, dass die Bibliothek aus lauter ‚echten‘ Büchern bestehe. Und, dass er schon seit einer Woche betrunken sei.
Wer braucht schon Glitzer, Glanz und Glamour?
Ganz so Roaring waren die Twenties dann also doch nicht. Diesen Charakter akzentuiert Irmgard Lübkes Inszenierung hervorragend. Immer wieder mischen sich düstere Facetten und Zwischentöne in die Handlung. Sei es durch melancholische Klavierbegleitung oder intensive Perspektivenwechsel. Die erinnern an den literarischen Charakter der Dramatisierung und sorgen dafür, dass das Stück – nach Entdröselung der anfänglichen Verstrickungen – erstaunlich kurzweilig ausfällt. Und das ganz ohne Glitzer, Glanz und Glamour.
Fotonachweis: Jan Friese
Artikel zum Download in PDF-Format
by