Titel sind meistens Indikatoren auf zu Erwartendes oder Prolepsen auf künftig Eintretendes und bestenfalls auch noch Impulsgeber für Veranstaltungsbesuche. Zumindest sofern ihnen nicht dadaistische Sprachspiele oder epochale Strömungen mit Hang zu zufälligen Wortaneinanderreihungen zu Grunde liegen. So ist es dann vermutlich auch zu erklären, dass der LEBKUCHENMANN ein enormes Bedürfnis nach Weihnachtsbäckerei weckt. Zumindest so lange das Stück noch geheimnisvoll in der Zukunft liegt. Danach könnte sich vielleicht eine kleine Lebkuchen-Phobie einschleichen, weil ganz ehrlich, wer möchte diesem fröhlich-sympathischen Lebkuchenkerlchen auch nur ein Härchen krümmen?
Die Bewohner des unteren Küchenregals haben ein Problem: der Kuckuck aus der Kuckucksuhr kuckuckt nicht mehr. Fatal, droht ihm doch damit die Entrümpelung seitens der „Großen“. Das können und wollen Herr Salz und Fräulein Pfeffer nicht akzeptieren. Gemeinsam mit ihrem neuesten Mitbewohner, dem frisch gebackenen Lebkuchenmann, arbeiten sie an einer entsprechenden Lösung. Honig muss her, der ist aber auf dem „Oberdeck“ des Küchenregals zu finden und dort herrscht das finstere Regiment des missmutigen Teebeutels, den keiner leiden kann und der auch sofort garstig jeglichen Honigzugang verweigert. Der Teebeutel-Griesgram geht sogar noch weiter und freut sich hämisch ob des zu erwartenden Abdankens des hilflosen Kuckucks. Als dann auch noch die Mafia-Maus auftaucht und extremen Hunger auf Lebkuchen kundtut, ist das Chaos perfekt.
Es sind die großen Themen von Freundschaft und Zusammenhalt, die David Woods Kinderstück prägen und Christoph Batscheider unaufdringlich in Szene setzte. Dabei erweisen sich die Schauspielschüler*innen als ideale Besetzung; spielfreudig lassen sie das Figuren-Ensemble des LEBKUCHENMANNS zu neuem Leben erwachen und animieren das junge Publikum zum Mitmachen. Teilweisen intendiert, nach einer kleinen Aufwärmphase teilen die zahlreichen Kinder aber auch ganz gerne so und ungefragt ihr Publikumswissen. Es folgen eifrig hinausgerufene Ratschläge etwa zur Erklimmung des oberen Regals („jetzt wirst du aber umfallen“) oder euphorische Liebesbekundungen an den gebeutelten Teebeutel („wir lieben dich schon!“). Nur der Einsatz zur Mäusejagd erfolgt zu früh, dafür tönt der damit einhergehende Warnschrei (von „Ruf“ kann gar keine Rede mehr sein, wenn hunderte Kinder unisono ihre Aufregung kundtun) umso stimmkräftiger.
Das Bühnenbild scheint einem Kinderbuch entsprungen und hat sich wunderbar mit den Kostümen verbrüdert (Ausstattung: Isabel Graf). Es ist eine ziemlich harmonische Beziehung, die die beiden für einen Theatermorgen führen. Größenverhältnisse latent ignorierend, wurde eine wunderbare Küchenlandschaft kreiert, okay, Schranklandschaft, die zum Philosophieren ob so manches Accessoires animiert („Die Teekanne ist echt!“ – „Nein, ist sie nicht“ – „Wohl, schon!“ – „Nein, das sieht man doch.“ – „…“). Wobei, die Echtheitsfrage provozierte auch bereits die bloße Präsenz des Lebkuchenmannes (Jonas Breitstadt), die eine angeregte Diskussion entstehen ließ. Tatsächlich wirkt er sehr lebkuchenhaft und das mit der Elastizität hat sein Darsteller auch voll drauf. Liebenswert, sympathisch und lebensfroh mischt der Lebkuchenmann das eingestaubte Leben auf dem Küchenregal so richtig auf und führt die verfeindeten Parteien aus den unterschiedlichen Etagen zusammen. Kein leichtes Unterfangen bei dem zürnenden Teebeutel (Cora Mainz) oder den in ihren Meinungen fest verhafteten Herrn Salz (voller Elan in Matrosenmontur Tilla Rath) und Fräulein Pfeffer (Magdalena Oettl entsprechend würzig). Ein gemeinsamer Feind, wie die Maus Flitsch (Lukas Möschl einmal mehr mit Silbenverdreh-Tick – Stichwort HAUSGEISTERHAUS), kann da schon Wunder wirken. Und Flitsch ist hungrig, sehr hungrig. Nur der Kammersänger Kuckuck (Paul Hofmann-Wellenhof), der entsprechend theatralisch an einem voranschreitenden Stimmverlust leidet, muss sich krankheitsbedingt irgendwann aus dem Geschehen zurückziehen, ist aber trotzdem mittendrin und darf sich rühmen, das kreativste Kostüm sein Eigen zu nennen.
Und weil es sich eben um ein Kinderstück handelt, wird die Maus – einmal gefangen – aus pädagogischen Gründen natürlich nicht eliminiert. Ein Mäusemord in einem fröhlichen Kindermusical wäre auch tatsächlich irgendwie deplatziert. Die Lösung ist viel eleganter und die Küchenschrank-Bande schickt Flitsch genau dorthin, wo der Pfeffer wächst (und laut gigantischem Kuvert auch ein Ex-Ensemblemitglied des Schauspielhauses wohnt). Nach Madagaskar. Bon Voyage.
Fotonachweis: Gregor Hofstätter // Schauspielhaus Salzburg
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