Der Tod und das Mädchen

Nachts bei Mondschein zwischen den Gräbern von St. Peter.

Das Toihaus Salzburg bespielt in einer einmaligen theatralen Performance den Friedhof von St. Peter.

Drückend schwül ist es, als sich die Besucherschar vor dem vermutlich schönsten Friedhof in Salzburg versammelt und auf Einlass wartet. Seit Tagen ruft die Ankündigung, dass in St. Peter (!) „Der Tod und das Mädchen“ (!!) um 22:00  (!!!) aufgeführt wird, im eigenen Freundeskreis dreifachen Neid hervor. Zu Recht. Die Wetterverhältnisse scheinen der theatralen Performance des Toihauses Theaters ebenfalls wohlgesonnen. Elegant fällt anfangs leichter Sommerregen, der so hübsch von pittoresken Blitzen ohne Donner begleitet wird, die immer wieder sekundenschnell Gräber, Gruften und die über dem Friedhof thronende Festung erleuchten, dass es grandios zum stimmungsvollen Ambiente beiträgt.

Die originelle Zeitangabe kann nicht ganz eingehalten werden; das könnte am vom Residenzplatz herübertönenden Xavier Naidoo – Konzert liegen, dessen Ende von Vorteil ist. Oder an anderen Umständen. Was es auch immer sein mag, 22:06 ist eine marginale Abweichung und keinesfalls zu verachten. Mittlerweile flackert es schon verheißungsvoll auf dem Friedhof, dessen Wege durch zahlreiche Kerzen und Fackeln gesäumt sind. Zu Franz Schuberts berühmter Musik bahnen sich die SchauspielerInnen und KünstlerInnen ihren Weg, das Publikum immer dicht auf ihen Fersen. Das Staunen will kein Ende nehmen, eigene Wege dürfen erklommen und zwischen den Gräbern respektvoll balanciert werden. Währenddessen leuchtet der Himmel über St. Peter immer wieder stimmungsvoll auf oder wird von Blitzen erhellt, auch als der Regen längst verklungen ist. Es scheint fast so, als würde Petrus höchstpersönlich die theatralen Performance goutieren.

An diesem Abend erfährt das vom Mittelalter ausgehende Totentanz-Motiv eine neue Facette. Gleichzeitig wird demonstriert, dass auch das Hier und Jetzt noch von der traditionellen Urangst des Menschen vor dem Tod geprägt ist und sich eine Beschäftigung mit der Vergänglichkeit nach wie vor größter Beliebtheit erfreut. Vermutlich aus ähnlichen Gründen wie damals; um sich aus der Angst vor dem Tod zu befreien, oder zumindest ihr leichter Herr (oder Frau, bei tschääänder-Bedarf) zu werden. – Leichtes, wohltemperiertes Schauern breitet sich bei den ersten Schritten durch die erleuchteten Reihen aus. Mit der Zeit werden die Besucher mutiger und verlassen angestammte Pfade, um neue Perspektiven zu erkunden.
Die illustre Gesellschaft auf dem Friedhof ist keinesfalls von Trauer erfüllt. Fröhlich tanzt sie durch die Reihen der Gräber, frönt dem Leben und der Liebe, gleichzeitig werden diese glückseligen Episoden immer wieder durch die Vorankündigung auf die Vergänglichkeit des Menschenlebens durchbrochen. Der von Klotho gesponnene Lebensfaden wird mit einer Schere mitten auf dem Höhepunkt der irdischen Freude jäh durchschnitten. Prompt verstummt das fröhliche Gelächter. Doch nicht für lange Zeit. Kurz darauf tollt die Meute neuerlich durch den Besucherstrom und raunt den Einzelnen Geheimnisse ins Ohr, die zugegeben eingangs für etwas Verwirrung sorgen, sich aber stimmig in die fabelhafte theatrale Performance einfügen. Das Publikum wird zu einem Bestandteil im Kreislauf zwischen Leben und Tod. Der nächste Wechsel lässt nicht lange auf sich warten. Stöhnend und jammernd ziehen die SchauspielerInnen durch die Menge und scheinen dem Ende nahe. Die Warnung vor dem Nicht-Umdrehen wird geflissentlich ignoriert, all das Brüllen kann der Neugierde keinen Einhalt gebieten. Übermütig und belustigt schwören die anderen immer wieder, sich ohnedies nicht umgedreht zu haben. Was befindet sich dahinter? Die Vergänglichkeit in Form einer Frau Welt, die ihren entstellten Rücken ebenfalls mit ihrer vordergründigen Schönheit und Jugend verschleiert? Oder Orpheus, der sich verbotenerweise nach Euridyke umsieht, während er sie aus der Unterwelt erretten möchte? Die Konsequenz, die im Hier und Jetzt so leichtlebig ignoriert wird, scheint Unheil zu bergen. Der Imagination und Kreativität sind an diesem Abend – wie so häufig bei den Produktionen des Toihauses – keine Grenzen gesetzt. Das öffnet die Schleusen für ungeahnte und inspirierende Gedankenströme.

Jeder Mensch muss zwangsläufig irgendwann den Weg allen Irdischen schreiten, egal ob Kaiser, König, Bauer oder Bettelmann. Niemand vermag sich dem Tod zu entziehen. Ein kleines Kind ist stets in der Nähe der sinnlichen Mädchen-Figur anzutreffen, die mit einem Blumenkranz geschmückt bereits den Tod im Antlitz trägt. Zumindest so lange, bis das Kind zu Füßen des singenden Mädchens einschläft und von Anwesenden (Verwandten?) davongetragen wird. Auch das ist stimmig und fügt sich harmonisch in das atmosphärische Ambiente ein. Selbst vor der Mutter und dem kleinen Kind kennt der Tod kein Erbarmen und fordert sein Recht.

Das bunte Treiben lässt sich davon nicht beirren. Scheinbar durcheinander laufen und tanzen die Künstlerinnen koordiniert durch den sakralen, altehrwürdigen Raum. Übrigens einem der historisch und architektonisch am bedeutendsten Friedhöfe Europas (spricht das Programmheft). – Brot wird gebrochen und als Proviant für den Übertritt in die andere Welt im Publikum verteilt. Was leicht unheimlich anmutet, birgt zugleich etwas unglaublich Rührendes. Zum ersten Mal scheinen die Besucher auf die Flüsterstimmen zu reagieren. Die flüchtige, ephemere Geste wird zu einem transzendenten Augenblick. Die Besucherin ist mittlerweile völlig in der schillernden Zwischenwelt gefangen und damit ganz offensichtlich nicht die Einzige.

Leider findet auch das Zelebrieren und Feiern des Lebens – unterbrochen von kurzen Vorausblicken auf die Vergänglichkeit – ein Ende. Ein ziemlich Unvermutetes sogar. Gott sei Dank nicht das eigene Leben, sondern an diesem Abend tatsächlich nur die theatrale Performance.

Mit „Der Tod und das Mädchen“ ist dem Toihaus Salzburg eine wunderbar stimmungsvolle, zauberhafte, magische Produktion gelungen, die man sich keinesfalls – ich wiederhole – keinesfalls entgehen lassen sollte, wenn sich auch nur ansatzweise die Chance auf einen Besuch bietet. Die wäre übrigens das nächste und letzte Mal am 20.06.2015 – Treffpunkt: 21:15 Uhr am Friedhof St. Peter, Start: 21:30 Uhr und Kartenreservierung unter +43(0)662-87 44 39 oder office@toihaus.at.

Fotonachweis: Man möge der Verfasserin das dürftige Fotomaterial verzeihen. Es war dunkel, es war eine Handykamera und eigentlich hatte sie auch Hemmungen, die salbungsvolle, feierliche, spirituelle, fröhliche, magische, sinnliche usw. Stimmung mit schnödem, materiellem Kram des banalen Weltenlebens zu belästigen oder gar zu durchbrechen.

 

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