Ladies Night

Die fidelen Antihelden oder eine liebenswerte Chaos-Truppe, die „Chomeographien“ einstudiert und pflichtbewusst „Pirouetten“ setzt.

Die Probebühne am Rainberg als hervorragende Kulisse für die ehemals blühende nordenglische Industriestadt Sheffield: Das Einzige, was dort heute noch wächst, ist die Arbeitslosigkeit. In dieser aussichtslosen, tristen Stimmung schmieden der aggressive Problembürger Dave, der täglich um seinen Sohn kämpft und bereits an den Alimenten scheitert, und der gemütliche Barry, mit dem Hang zum Übergewicht, einen Plan. Was die Chippendales auf der Bühne vorhampeln, beherrschen sie doch aus dem Effeff. Und das, wie Barry eingangs großspurig verkündet, sogar noch viel besser als die amerikanischen Muskelmänner. Da es sich zu Zweit allerdings schlecht strippt, benötigen sie noch ein paar andere „Freiwillige“. Norman kommt da ganz gelegen; eigentlich wollte sich der introvertierte Tollpatsch gerade selbst anzünden, um seinem Leben ein Ende zu setzen, aber selbst das will nicht so recht klappen. Unisono schleicht sich dafür ein weiblich-mitleidiges „ohhhhhh“ durch die Zuschauerreihen, als der biedere Norman die Bühne betritt und traurig zur Tat schreitet. Unfreiwillig durch Barry und Dave gerettet, schließt er sich seinen neuen Freunden an. Gavin und Wesley werden (unglaublich amüsant) gecastet und der ehemalige Vorarbeiter Graham juvenil-brachial zu seinem Glück gezwungen – erneut schwappt eine Mitleidswelle über das Auditorium. Dann ist das Chaos-Team komplett und könnte nicht besser besetzt sein.

Thomas Enzinger (Regie) hat mit LADIES NIGHT eine Komödie inszeniert, die diese Bezeichnung absolut ausfüllt. Königlich amüsiert sich das Publikum über die ersten Gehversuche der sechs Antihelden, die nicht so recht klappen wollen. Herrlich interpretieren die einzelnen Schauspieler ihre Charaktere und intensivieren präsente Eigentümlichkeiten. Während Norman (famos Clemens Ansorg) träumerisch zu „Je t’aime“ über die Bühne tänzelt, sich – über seine eigenen Beine stolpernd –  in seinem Hemd verheddert und durch die völlige Abwesenheit jeglichen Rhythmusgefühls glänzt, sprüht Hanno Waldners Gavin förmlich vor Elan (unvergleichlich sein sonniges „alles supi“ und seine Pollyanna-Attitüde). Zudem scheint Letzterer ein Auge auf Wesley (Marco Dott als harter Kerl mit weichem Kern) geworfen zu haben. Tim Oberließens Dave übt sich derweilen im maskulin chauvinistischen Habitus, die Haare entsprechend gescheitelt und tatsächlich optische ziemlich einem englischen Proll angepasst (die Verfasserin weiß das, die Verfasserin hat eine Zeit lang in England verbracht). Christoph Wieschkes Barry hadert ständig mit seinem Gewicht und kann doch nicht zu essen aufhören und Graham (Axel Meinhardt) hat seiner Frau immer noch nicht seine Kündigung gebeichtet.

An diesem Abend ist trotzdem nicht alles Jux und Tollerei. Immer wieder klingen sozialkritische Momente und zwischenmenschliche, höchstpersönliche Themen an. Die sechs Männer aus Sheffield sind keineswegs perfekt; das wird nicht nur physisch deutlich, sondern auch am mentalen Ballast greifbar, den sie mit sich herumschleppen und den kleinen Tragödien, die sich vor dem Publikumsauge entfalten. Der Abend hat Ecken und Kanten und das verleiht ihm seinen ganz besonderen Charme.

Zum besonderen Flair der sozialen Verlierer, die eben nicht resignieren, trägt auch die Choreographie (Verena Rendtorff) bei, die teilweise unglaublich komisch interpretiert wird. Es ist schwierig, da noch alles gleichzeitig im Blick zu behalten; bisweilen wäre doch mehr als nur ein Augenpaar sehr wünschenswert. Vor allem dann, wenn sich Gavin (diese hervorragend transportierte Komik und körperliche Beherrschung) und Norman (dieses großartige Mienenspiel und der bewusst entgleiste Körper) gleichzeitig auf der Bühne befinden. Mitunter stehlen dann die genüsslich zelebrierten, fabelhaft komischen kleinen Details den ernsten Momenten die Show. Darauf hat M. die Verfasserin hingewiesen und sie hat ziemlich recht damit. Daves Telefonat mit seinem Sohn verliert sich im allgemeinen Gelächter, Penis-Pumpe sei Dank, und Gavins Reaktion auf „Footloose“ ist so großartig zu beobachten, dass Barrys und Daves eindringliche Unterhaltung an dieser Stelle vermutlich der Aufmerksamkeit des Publikums entgleitet („vermutlich“ deshalb, da sich die Verfasserin ebenfalls nicht von Gavin vor dem TV-Gerät losreißen konnte).

Puristische Tristesse trifft auf Kreativität; simpel ist es, das Bühnenbild von LADIES NIGHT und doch elegant gelöst. Famos die Wechsel zwischen den Szenen. Die Schauspieler erstarren immer wieder und legen selbst Hand an der Produktion an. Das ist stimmig. – Die Pause ist viel zu lange, als es endlich weitergeht, folgt eine dermaßen humoristische Szene, die die Zuschauerin sofort wieder ins Geschehen abtauchen lässt.

Ein kurzweiliges Stück. Das Ende ist natürlich viel zu schnell erreicht: Eine energiegeladene Striptease-Perfomance, die ziemlich punktet. Das Publikum flippt spätestens jetzt aus, wobei, nein, das Publikum ist schon längst völlig aus dem Häuschen; die Euphorie erreicht allerdings jetzt ihren Kulminationspunkt. Die sechs Männer geben alles in ihren Uniformen. Hemden werden Richtung Publikum geschleudert (eines fliegt zur allgemeinen Erheiterung schnurstracks zurück). Dass es dann doch keine wirklich professionelle Nummer ist, demonstriert ein kecker Barry, der durch kleine Seitenblicke und -hiebe erheitert. Es fallen die Hüllen. Einer ist zu früh dran, das Licht noch nicht grell genug. Man sieht in dieser endloslangen Minute alles von ihm. Wirklich alles. Exzellent ausgeleuchtet. Das scheint ihn selbst allerdings nicht sonderlich zu kümmern. Lässig schlendert er von der Bühne, ohne große Eile, die Kappe hält er schlenkernd in der Hand, andere bedecken sich eilig wieder – aber mittlerweile ist es ohnedies dunkel. Chapeau.

Exkurs – Exkurs: An dieser Stelle erinnere ich mich an meinen traumatischen „Hair“-Besuch in Wien. Den #2. Beim #1 konzentrierte ich mich so sehr auf den einzig angezogenen Charakter (nämlich Claude), dass ich die berühmte Stelle – DIE Nacktszene – glatt verpasste. Beim #2 saß ich dummerweise in einer Loge auf der Bühne und damit hinter dem leicht getönten Plastikvorhang, der die DarstellerInnen etwas verhüllen sollte. Den Job erfüllte das Accessoire auch, nur halt nicht, wenn man direkt dahinter saß. An diesem Abend im Raimundtheater sah ich mehr, als ich jemals sehen wollte. Und dann erinnerte ich mich wieder an die „Monk“-Folge, als Monk an einem FKK-Strand recherchieren sollte. Konnte er nur nicht, stattdessen starrte er in die Sonne. Seiner Assistentin war das nicht ganz geheuer; sie ermahnte ihn besorgt, dass er das unterlassen solle, da er sonst noch erblinde. Monk antwortete daraufhin leicht verzweifelt „ja, nur WANN endlich????“. 😉 Exkurs – Exkurs Ende.

 LADIES NIGHT läuft nicht mehr lange. Ich würde es mir ansehen, auch wenn es mittlerweile keine Karten mehr dafür gibt. (Man darf auf Wiederaufnahme hoffen?!).

NB: An dieser Stelle sende ich besondere Grüße an Freundin K., die eigentlich an diesem Abend mit der Verfasserin ins Stück hätte gehen sollen. Doch dann hatte Freundin K. eine „kleine“ Meinungsverschiedenheit mit ihrem Fahrrad, das bockig wurde und der Rest ist schmerzhaft. Gute Besserung für dich, liebes Yogilein, das nächste Mal dann wirklich – zwischenzeitlich zerre ich den Montag in Eigenregie auf die Dachterrasse und freue mich auf unsere nächste AY-Session. 😉

NB: Mein besonderer Dank gilt auch Facebook, das seine wirklich guten Momenten hat. Beispielsweise lieferte es mir M. – danke für’s spontane Einspringen, es war mir ein Volksfest. 🙂

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Landestheater Salzburg

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