„Oh, pospishil!“ Von der Burg in die freie Szene nach Salzburg. Michael Kolnberger inszenierte für theater.direkt am OFF „Die Barbaren“. Ein Monolog für eine Ausländerin, der Emotionen weckt.
„Oh, pospishil!“, den Ausruf der Verzweiflung hört das Publikum inflationär. Er gehört wie „pikobello“ oder „Pillermann“ zum Stammvokabular von Marusja (Elisabeth Breckner). Die kam in den Neunzigern ins „geliebte Gastland“ und gab sich alle Mühe, sich anzupassen. Sogar einen „Strebergarten“ besitze sie, prahlt sie mit mühsam unterdrückten Aggressionen. Aber so ganz angekommen ist Marusja nach all den Jahren trotzdem noch nicht – und das liegt nicht an mangelndem Einsatz oder Enthusiasmus.
FOMO im Füchtlingsheim
„Die Barbaren“ ist ein Monolog, der auf ganz eigene Weise berührt. Das Stück speist sich aus dem Erfahrungs- und Beobachtungsschatz seiner Autorin Nino Haratischwili, die selbst in jungen Jahren aus Georgien nach Deutschland kam, wieder zurückging und heute als preisgekrönte Autorin und Regisseurin in Berlin lebt. Marusja hat da weniger Glück. Die Kunstfigur ist die Protagonistin eines sozialen Abstiegs. Tatsächlich behandelt der Stoff Xenophobie auf einem anderen Level, unter den Geflüchteten selbst. Ein Phänomen, das vermutlich bereits bei den ersten Völkerwanderungen zu beobachten war und wir alle kennen: Modern ausgedrückt hat Marusja FOMO.
Fear of missing out also. Klar, der Neid ist ein Hund und hat nicht nur die „Eingeborenen“ im Griff, wie Marusja die Einheimischen liebevoll, aber doch mit leichtem Tadel in der Stimme nennt. Das Wort hat etwas Archaisches und ist sicher nicht zufällig gewählt. Elisabeth Breckner spielt die Figur mit dem Faible für Wörter empathisch, während sie mit sanfter Hand die Stimmung zum Kippen bringt. Dafür putzt sich Marusja langsam in Rage. Das ist wörtlich zu nehmen. Wohldurchdacht wurden Besen über die gesamte Bühne und im Publikum drapiert. 70 Minuten monologisiert Breckner und schiebt währenddessen kleine Häufchen von rechts nach links oder kippt sie einzelnen Besucher:innen vor die Füße (Raum und Kostüme: Arthur Zgubic).
Allegorische Metapher in “Die Barbaren”
Der Lack an den goldenen Kehrschaufeln ist an manchen Stellen bereits ab. Subtiler kann man die Gefühle von Marusja nicht subsumieren. Statt in schönen Häusern putzt sie jetzt im Flüchtlingsheim und hasst jede Sekunde davon. Sie fühlt sich von den anderen belächelt und verspottet. Ihre Traumata und Tränen wollte damals keiner hören. Ihrem Sohn und ihr bot bei der Ankunft im neuen Land niemand Kurse an – und jetzt wird so viel Gedöns um die Zuwanderer gemacht? Die Kernthematik von „Die Barbaren“ ist provokant und darf es sein. Schließlich besitzt die Autorin einen Migrationshintergrund. Glücklicherweise auch die Schauspielerin (in Siebenbürgen geboren) und der Autor (u.a. DAF-Lehrer). Da ist er, der gesellschaftliche Freifahrtschein, auch die ungustiösen Dinge andenken zu dürfen oder auf der Bühne zu inszenieren.
Soziale Dekonstruktion, oh pospishil!
Genau dieses Bohren in Wunden, dieses Ansprechen von Tabus, ist das Movens, das zum Hinhören und Hinterfragen führt. Mit dem Unaussprechlichen fängt Michael Kolnberger das Publikum ein, und Elisabeth Breckner hält es an der Stange – der ihres Besens und der ihrer Taschen. Wenn sie sich vor dem Spiegel schminkt, wird das Make-up zur Kriegsbemalung. Wiederum sprichwörtlich. Michael Kolnberger inszeniert sinnbildhaft, und der Putzwahn endet katastrophal, ja, muss es geradezu. Die Vorzeichen sind deutlich.
Alle Besen zum Scheiterhaufen arrangiert und die Heldin ganz im Habitus einer griechischen Märtyrerin mit weißem Brautkleid. Diese personifizierte Unschuld (minimal befleckt von ihren roten Gesundheitsschuhen) entdeckt eines Morgens ein giftiges Kraut im kultivierten Strebergarten. „Oh pospishil!“, ein Zeichen. Die soziale Integration ist ab diesem Moment kolossal gescheitert, der intensive Nachgeschmack von „Die Barbaren“ genau richtig dosiert.
Fotonachweis: theater.direkt | Piet Six
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