Judas | Schauspielhaus Salzburg

Judas – Schauspielhaus Salzburg

Die Judas-Show

Judas Iskariot kennt die ganze Welt – doch was bleibt von der Figur, wenn man die gängigen Klischees beiseite schiebt? Am Schauspielhaus inszenierte Uwe Reichwaldt Lot Vekemans’ Monolog “Judas” als gelungenen Perspektivenwechsel – Wolfgang Kandler überzeugt dabei mit intensivem Spiel.

Er wurde geboren, als die Sonne am höchsten stand und die längsten Schatten warf. Es scheint dem Mann wichtig, das zu betonen, der sich still unter die Zuschauer:innen mischte, aber den eigenen Namen nicht nennt. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, richtet der Unbekannte diese ersten Worte ans Publikum und genau dorthin verlagert sich auch das Gros von „Judas“.

Uwe Reichwaldt inszenierte Lot Vekemans’ Stoff im Foyer des Schauspielhauses Salzburg – ein stimmiger Ort für einen wie ihn. Gehobene Mittelschicht: Das passt zu diesem Mann aus Judäa, auch wenn er, so viel i-Tüpfelchen-Reiterei muss sein, vermutlich aus einer reichen Familie stammte. Die 30 Silberlinge brauchte er ebenso wenig wie die Anwesenden heute – und überhaupt ist die Sache mit Jesus ein Cold Case. Warum jemanden verraten, der zur Prime-Time auftrat und in Jerusalem so bekannt war wie ein bunter Hund?

Lot Vekemans Stück erklärt Judas’ Ambivalenz nicht und will es auch gar nicht. Wie später Amos Oz entwirft die Dramatikerin alternative Varianten, was hätte sein können – jenseits gängiger Evangelien-Theorien. Mit „Judas“ gibt sie dem berühmtesten Antagonisten der christlichen Welt erstmals eine eigene Stimme.

Gemarterte Seele: „Judas“

Diese Stimme vermeidet den eigenen Namen und wird von Wolfgang Kandler geliehen (Dramaturgie: Jérôme Junod). Der Salzburger Schauspieler erweckt Judas im Hier und Jetzt zu neuem Leben. Wenn er gequält „Boah, ich hätte gerne einfach wieder einen Namen!“ stöhnt, ist das der Aufschrei einer Seele, die seit 2000 Jahren mit einer Tat hadert – begangen aus den besten aller Absichten. Vekemans Judas glaubte mehr an Jesus als dieser an sich selbst. Er wollte ihm beweisen, dass die Prophezeiungen Humbug sind und er in Jerusalem kein Ende finden wird.

Doch die Sache mit der Heiligen Stadt ging mächtig in die Binsen. Trotzig beharrt Judas nun auf seinem reinen Gewissen, wird dabei aber selbstherrlich, indem er alle anderen gönnerhaft über einen Kamm schert. Es ist ein spannendes Experiment, das Uwe Reichwaldt inszenierte und Wolfgang Kandler großartig als Ein-Mann-Stück performt. Der Schauspieler geizt dabei nicht mit Emotionen: „River Deep, Mountain High“, immer querfeldein. Tränen fließen, die an Menschlichkeit und Gewissen appellieren – und zu berührenden Bühnen-Momenten in einem sehr intensiven Stück führen.

Vierte Wand, was nun?!

Wer es bis jetzt nicht verstanden hat, bekommt ein Beispiel: Im Stück wird eine parallele Ebene eingezogen. Die vierte Wand war gestern. Der biblische Missetäter spricht immer wieder das Publikum direkt an, fraternisiert, stellt Ja- oder Nein-Fragen und wird dabei auch jovialer. Wie hätten wir gehandelt? Wir, das sind viele. Wir, das ist auch er. Damit sind wir auch er und potentielle Verräter:innen. Das passt zu den direkten Ansprachen. Oder biblisch ausgedrückt: Wer hat Angst vor dem ersten Stein? Niemand! Doch sobald wir gefragt werden, laufen wir davon. Gelassen tariert der Schauspieler fehlende Antworten aus und zieht sein Judas eigene Schlüsse, die zugleich den praktikablen Zweck erfüllen, ihn reinzuwaschen und Gefühle zu evozieren. Er habe ja auch nur menschlich gehandelt.

Besonders offensichtlich wird das Metatheater, wenn Personen aus dem Publikum an einen Tisch gebeten werden – Sinnbild für das letzte Abendmahl. Wer hat den Eintritt geprellt?  Jetzt sitzt Judas jesusgleich in der Mitte. Mit einem Weinglas in der Hand blickt er jeder Person in die Augen. Schuldig oder nicht schuldig? Wäre es nur so einfach. Den Schuldigen kennt diesmal nur er.

Auch dieses Spiel wird Judas nicht erlösen. Doch es ist eine innovative Alternative zum Mythos des ewigen Verräters. Übrigens: Wer dem Mann aus Judäa eine Freude machen will, bringt ihm einen neuen Namen mit. Judas hat nach 2000 Jahren nämlich die Schnauze voll von Klischees und Vorurteilen. Tabula rasa am Schauspielhaus Salzburg mit einem gelungen inszenierten Monolog und großartig intensivem Schauspiel.

 

Fotonachweis: Schauspielhaus Salzburg

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