Die Geschichte von den Pandabaeren | (c) Calin Muresan

Die Geschichte von den Pandabären – Theater ecce in Koproduktion mit dem Teatrul National Radu Stanca

Poetisch, zauberhaft und divergent: Ben Pascals „Die Geschichte von den Pandabären“ ist ein lyrisch moderner Totentanz, der mit großartigem Schauspiel und psychedelischen Visuals begeistert.

Stell‘ dir vor, es läutet an der Tür und da steht eine Frau, die behauptet, das Schicksal zu sein. Halt, nein, das war ja „Sono il Destino“, der aktuelle Sommersong von Alle Achtung. Ähnlich mysteriös lässt sich aber auch die schöne Unbekannte aus Matéï Visniecs „Die Geschichte von den Pandabären“ an, das Ben Pascal für das Theater ecce in Koproduktion mit dem Teatrul National Radu Stanca/Sibiu in Rumänien als Koveranstaltung an der ARGEkultur inszenierte. Der Saxophonist Michel Pailhole erwacht eines Morgens neben einer ihm unbekannten Frau. Angeblich habe er sie am Vorabend mit der Lyrik von Baudelaire und seinem Saxophonspiel in der Bar von Kiki verzaubert. Nur leider hat Michel weder einen Freund namens Kiki noch auswendig gelernte Gedichte im Repertoire. Sichtlich pikiert über so viel Misstrauen, will sich die schöne Fremde verabschieden. Er kann sie überreden zu bleiben. Neun Nächte wird sie ihn besuchen und er im Anschluss alles verlieren.

Neun Nächte für die Ewigkeit

Der Deal der mysteriösen Frau ist exklusiv. Neun Leben für die Ewigkeit. Zugleich haftet bereits dem Handel etwas eminent Morbides an, das „Die Geschichte von den Pandabären“ in  die Nähe des Totentanzes rückt. Ungefähr genauso poetisch kommt auch das Stück daher, das mit Sprache spielt und mit Worten und Bildern verzaubert. Wer sich darauf einlässt, erlebt lyrische Glücksmomente. Wer lieber an der Oberfläche verweilt, darf sich über Dialogelemente mit pointiertem Unterton freuen, die ironisch das Geschehen kommentieren. Es scheint so, als hätte Regisseur Ben Pascal mit seiner Inszenierung an alle gedacht; ähnlich wie beim Totentanz. Nur dass vom Kaiser bis zum Bettelmann hier einer modernen Form weicht – und neben der Hauptebene gleich sämtliche Meta-Varianten bedient.

Zu diesen Metaebenen zählt auch die visuelle Komponente mit den Live-Projektionen und Lichtmalereien von Remo Rauscher. Tatsächlich entsteht mit der Inszenierung ein ganz neues Kunstwerk, so ephemer wie eminent und garantiert jeden Abend eine Uraufführung. Die Bühne wird zur horizontalen Leinwand für Schauspieler und Kunst gleichermaßen (Bühnenbau: Gerd Walter). Zugleich akzentuieren Rauschers Visuals den poetischen Zauber der „Geschichte von den Pandabären“. Wenn Stille die Dialoge dominiert, dann sprechen die psychedelisch anmutenden Lichtspiele und Live-Malereien umso lauter und ebnen den Weg für gänzlich neue Interpretationsmöglichkeiten. Die werden vom musikalischen Arrangement aufgegriffen und verstärkt (Astrid Wiesinger). Zugleich unterstreichen sie das Schauspiel von Kristin Henkel und Daniel Bucher und verdoppeln es auf lyrische Weise.

Dance me to the end of life

Wer ist diese mysteriöse Frau, die Michel da in seinem Bett vorfindet? Kristin Henkel schenkt ihr eine unergründliche Tiefe. Zum einen kichert sie fröhlich mädchenhaft vor sich hin und scheint das Leben in vollen Zügen zu genießen. Verschmitzt beißt sie in einen Apfel und lauscht sichtlich amüsiert, den Vorstellungen Michels, sie könne durch geschlossene Türen wandeln. Andererseits wird sie mit dem nächsten Augenschlag herrisch und erteilt mit kaltem Tonfall ihre Befehle. Widerspruch nicht möglich. Der Text auf dem Anrufbeantworter changiert nach ihrem Gutdünken (sehr gelungen inszeniert mit rot blinkendem Licht unter der runden Drehbühne) und ein mysteriöses Haustierchen, schenkt sie dem verwunderten Michel obendrein. Es ist die großartige Divergenz von Kristin Henkels Figur, die fasziniert, und perfekt mit Michel harmoniert.

Vielleicht ist auch das der Grund, warum sich Kristin Henkels Unbekannte so perfekt als ‚Tödin‘ verorten lässt. Eine ‚la morte‘ also, die dem Protagonisten ihre Aufwartung macht wie einst Petrarcas Laura. Auch das Feilschen um eine kleine Verlängerung der Lebenszeit ist in der Literatur schon ein alter Hut. Mit Michel erhält er allerdings ein schickes Update. Denn der scheint nichts vom bevorstehende Ende zu ahnen – das es vielleicht aber auch gar nicht gibt. Die Offenheit des Stücks begeistert und nimmt auch nach der Vorstellung kein Ende. Immerhin schindet Michel neun Nächte heraus, voller Poesie und einer Ewigkeit, die sich ziemlich verlockend anlässt.

Psychedelisch poetischer Abgesang mit erstaunlich menschlichen Zügen

Der offene Charakter des Sujets bleibt unergründlich und entzieht sich den Rezipient*innen. Dazu trägt auch Daniel Buchers Spiel bei, das den divergenten Zug der Inszenierung aufgreift und weiter intensiviert. Im Hier und Jetzt verortet, ist Buchers Michel der Anker in die Realität. Seine Figur gibt preis, die mysteriöse Frau kommentiert, analysiert und scheint metaphernhaft enthoben, ja, richtiggehend transzendent. Michel indes wirkt im Kontrast dazu geradezu lasterhaft menschlich, mit all seinen Ecken und Kanten – auch visuell, mit Löchern in den Socken.

Genau dieses Wechselspiel sorgt dafür, dass an späterer Stelle, als nur noch Rauschers Visuals und diverse Bandaufnahmen dominieren, eine weitere Ebene ihre Pforten öffnet. Weniger Meta, aber dafür kriminalistisch: so wandelt sich „Die Geschichte von den Pandabären“ vom psychedelisch poetischen Abgesang, zum potentiellen Fall für Bibi Fellner und Moritz Eisner aus dem österreichischen „Tatort“. Oder auch nicht, denn wiederum sehr magisch romantisch, man denke an „Le fabuleux destin d’Amélie Poulain“, entsteht aus dem bisher ganz und gar Unmöglichen vielleicht eine neue Liebe – und werden die schöne Unbekannte und Michel zu Kupplern.

 

Fotonachweis: Calin Muresan

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