Trip down Balkan lane: DIE GUTEN TAGE am Toihaus Salzburg
Am Toihaus Theater inszenierte Felicitas Biller DIE GUTEN TAGE und verwandelte den Romanerstling von Marko Dinić in einen schrägen Roadtrip mit funkigen Balkan-Beats.
Vielleicht ist die Invertierung eine Koketterie des Autors, vielleicht reiner Zufall. Zumindest scheint es aber ein Gleichklang der Titel, wenn man Marko Dinić‘ Romanerstling „Die guten Tage“ Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ gegenüberstellt. Ersteres läutete jetzt die post Lockdown-Phase für das Toihaus Theater ein. Nachdem die Proben 2020 ins Filmische verlegt wurden, hält man nun dem Medium die Treue. Das Resultat ist ein abgedrehter Roadtrip, dessen collagenartige Montur eben doch auch an den berühmten, nie vollständig aufgeführten Kraus erinnert.
In aller Plot-Kürze
Auslöser der Reise in die Vergangenheit ist ein Ring (Tolkien, hallo!). Aber keiner, „to rule them all“, sondern einer, den der Protagonist einst von seiner Großmutter erhielt. Nach deren Tod wird er zum Movens, in die alte Heimat aufzubrechen. Im Gastarbeiterbus, der von Wien über Ungarn nach Belgrad führt, hat der zweifelnde Held jede Menge Zeit, sich zu besinnen, zu erinnern, mit der Gegenwart und der Vergangenheit zu hadern und vielleicht ganz in Coming-of-Age-Manier zu sich selbst zu finden.
Realität versus Fiktion
Die Lage ist vertrackt. Einerseits inszenierte Felicitas Biller DIE GUTEN TAGE als abgedrehten Roadtrip mit funkigen Balkan-Beats, die trotz verrückten Frisuren, deutsch-österreichischen Sänger*innen und klarer Übersteigerung gelungen authentisch klingen. Andererseits ist da dieser scheinbar autobiografische Charakter, der beständig mit seiner Artifizialität kokettiert. Was ist Realität, was ist Fiktion. Angeheizt wird die Ambivalenz durch die persistent vorhandene Einstreuung von Realem (Bühnefassung: Felicitas Biller & Marko Dinić). Dass sich Regisseurin und Autor seit Uni-Tagen kennen, verstärkt das Phänomen. Reale Dinge erobern den fiktionalen Raum, beispielsweise auch dann, wenn dem Protagonisten eine Figur mit Military-Jacke zur Seite gestellt wird. Für alle, die damals nicht Germanistik an der Universität Salzburg studierten: Die Standardklamotte von Marko Dinić; nur das Deutschland Emblem musste weichen.
Der Balkan-Express nimmt mit DIE GUTEN TAGE Fahrt auf
Die Fahrt im Balkan-Express ist wunderbar abgedreht und mit Liebe zum Detail dargestellt (Bühne: Felicitas Biller, Video: Fabian Schober, Filmproduktion: Fabian Schober, Philipp Slaboch, David Weise (Feikind)). Die Dreiersitzgruppe im Bus ziert eine Leinwand mit Landschaft in schwarz-weiß, die so verfliegt wie die Fahrt selbst. Dominik Jellen gibt einen sympathischen, anfangs zögerlichen Protagonisten, der später sichtlich emotional wird, wenn er von den Problemen mit dem Vater spricht. GUTE TAGE greift hier nicht nur einen literarischen Topos auf (Generationenkonflikt, bevorzugt zwischen Vater und Sohn), sondern etabliert auch etwas, das man als Coming-of-Age im Balkan-Express bezeichnen könnte. Das Resultat ist der geläuterte Held, oder zumindest einer, der jetzt besser versteht.
Pop! Goes the weasel
Das Mädchen im roten Mantel war gestern. Heute ist es es der Protagonist im roten Pulli. Der wird spätestens dann zu einer Analogie auf den Autor, wenn selbiger im Video der Balkanband einen Cameoauftritt hinlegt, selbstverständlich ebenfalls in rot. Eine kleine, pointierte Hommage an das Medium Film.
Im Bus nach Belgrad trifft der Protagonist im roten Pulli auf einen Mann, der sich als Schriftsteller zu erkennen gibt, dann aber doch mehr Wert auf Elektriker legt. Max Pfnür verleiht der Figur eine gelungen schräge Note und lässt sie flink durch die Finger gleiten. Die Figur könnte alles sein, ab einem gewissen Zeitpunkt auch das Alter ego des Protagonisten. Die Military Jacket Montur suggeriert es zumindest. Damit wären das aber auch gar keine Dialoge, die im Bus in die Vergangenheit stattfinden, sondern Monologe. Eine spannende Idee. Die wird durch Gudrun Plaichinger verstärkt, die Dritte im Bus-Bunde. Ihre Figur unterhält sich mit Pfnür nicht nur mittels Onomatopoesie, sondern zückt auch immer wieder ihre Geige und produziert gelungene Balkan-Anleihen, wie sie kaum Klischee besetzter ausfallen könnten und genau dadurch ins Schwarze treffen. Die Töne intensivieren den schrägen Charme des digitalen Roadtrips.
Der vorab schon erwähnte Collagen artige Charakter von Billers Inszenierung entsteht auch durch die nur scheinbar unzusammenhängenden Reminiszenzen. Tatsächlich entpuppen sie sich als Erinnerungen, die nach etwas mentaler Puzzle Arbeit auch sinnstiftend fungieren. Immer wieder in Video-Form eingestreut, entsteht ein divergentes Potpourri, das sich nicht festlegen lässt. Dazwischen lyrische Anleihen, gerne auch von großen Namen wie Tolstoi oder Hölderlin. Kann ja nicht schaden und zugegeben, es sorgt für Glücksgefühle, dieser und ähnlicher Zitate habhaft zu werden.
Fotonachweis: Fabian Schober
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