Rien ne va plus: mit „Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone“ premierte die letzte Produktion für 2015/16 am Schauspielhaus Salzburg. Ein gelungener Abschluss.
Es darf davon ausgegangen werden, dass Mrs. Shears Hund Wellington keinen superguten Tag hatte. Das liegt aber weniger daran, dass er an diesem Morgen vielleicht vier gelben Autos begegnete, ein Anblick, der in Christopher das blanke Grauen wecken und ihn für den Rest des Tages in Schweigen versinken lassen würde. Nein, bei Wellington ist die Ursache vielmehr in der Mistgabel begründet, die unglücklicherweise in seinem Körper steckt und ihn auf direkten Weg in den Hundehimmel sandte. Da hilft es auch nicht, dass Christopher, der fünfzehn Jahre, drei Monate und zwei Tage alt ist, fremde Situationen und Menschen fürchtet, Emotionen nicht lesen kann, den Berührungen schmerzen, der dafür aber alle Primzahlen bis 7507 und die Hauptstädte aller Länder dieser Welt kennt, ihn findet.
SUPERGUTE TAGE ODER DIE SONDERBARE WELT DES CHRISTOPHER BOONE basiert auf dem erstmals 2003 publizierten Roman Mark Haddons, den Simon Stephens 2012 zur Theaterfassung umarbeitete und Petra Schönwald jetzt für das Schauspielhaus Salzburg ansprechend inszenierte (Bühne: Fabian Lüdicke, Kostüme: Agnes Hamvas, Musik: Christopher Biribauer, Licht: Marcel Busa). Es ist außerdem vermutliche der einzige Erfolgsroman, der im Klappentext mit dem Asperger-Syndrom wirbt, dessen Autor sich aber nachträglich genau davon distanzierte. Bereits 2009 betonte Haddon, dass er eigentlich gar keine Ahnung von Asperger und Autismus habe und sich auch vorab nicht wirklich darüber informiert hatte. Vielmehr sei Christopher Boone ein Junge mit besonderen Eigenheiten, wie alle anderen auch. Dass die bei Christopher gen Asperger im Speziellen und Autismus im Allgemeinen tendieren, wertet der Autor als Zufall. Trotzdem sind es genau diese Eigenschaften, die SUPERGUTE TAGE zu einer Reise durch eine andere Welt werden lassen und faszinieren.
Christopher macht es sich zur Aufgabe, den Mord an Wellington aufzuklären und beginnt seine Ermittlungsarbeit in der unmittelbaren Nachbarschaft. Dort sorgt er für einiges an Furore und tappt von einem Fettnäpfchen ins nächste, ohne sich dessen auch nur ansatzweise bewusst zu sein. Als ihm der Vater schließlich seine investigative Arbeit verbietet, entdeckt der motivierte Junge zufällig Briefe seiner eigentlich toten Mutter, die ihn überstürzt nach London aufbrechen lassen. Jetzt ist da nur noch das Problem mit der Abschlussprüfung in Mathe, die er zu versäumen droht, was Christopher – der nichts so sehr liebt wie seine Routinen und Regeln – verzweifeln lässt.
Es sind Bauklötze, große disparate Elemente, die wahlweise an die Möbelabteilung von IKEA denken lassen (Expedit – wir Ikea-Nutzer*innen wissen Bescheid) oder an einen Abenteuerspielplatz erinnern, und die fein säuberlich auf der Bühne aufgestapelt wurden. Dass das Ganze System hat, zeigt sich alsbald. Peu à peu wird das gigantische Möbelpuzzle zu einem kleinen Labyrinth umgeschichtet, das auch durchkrochen und erklommen werden kann. (Ein Traum – ich will auch). Immer wieder schießen weiß gekleidete und mit schwarzen Linien akzentuierte Schauspieler*innen daraus hervor und deklamieren, ehe sie wieder elegant dahinter entgleiten und verschwinden. Manchmal durchschreiten sie dazwischen aber auch schwungvoll und zackig imaginäre Gänge und Windungen. Da trifft es sich dann hervorragend, dass die weiß gekleideten und mit schwarzen Linien akzentuierten Schauspieler*innen (Janna Ambrosy, Jonas Breitstadt, Moritz Grabbe, Ute Hamm als Spielemacher*innen) Christophers komplexen Gedankengängen ihre Stimmen leihen.
Das Bühnenbild oszilliert zur Topographie der eigenen Welt des Christopher Boones, durch das seine Andersartigkeit und Distanz zum Gros augenfällig wird. Die Innenschau verstärkt sich durch Ton und Technik, die die Reizüberflutung des inselbegabten Jungen auch für das Publikum erfahrbar machen. Besonders gelungen die Episode am Bahnhof, in der Christopher auf dem Weg nach London durch die Zugstation irrt und mit einem hartnäckigen Polizisten (J. Breitstadt ziemlich auf Zack und vermutlich der einzige Provinz-Polizist, der die ZEIT liest), einem Geldautomaten (herrlich Ute Hamm, die sogar an der Karte nagt) oder einem sich ungeduldig repetierenden Schalterbeamten (amüsant Moritz Grabbe) konfrontiert wird, ehe die fremde Welt über dem überforderten 15jährigen kollabiert. Eindrücklich wird dieser intensive Moment von Paul Hofmann-Wellenhof dargestellt, der als Christopher hervorragend besetzt ist. P. Hofmann-Wellenhof versetzt sich in die fremde Welt des ungewöhnlichen Jugendlichen und lässt dessen Eigenheiten durch kleine spezielle Gestiken, Ticks und seine Mimik greifbar werden. Immer wieder fingert Christopher am blau-weiß gestreiften Hoodie oder irrt der Blick unstet durch den Raum, wenn er eigentlich den Blickkontakt halten sollte. Selbst Christophers Stimme erhält einen eigenen Ausdruck, der sich dem gereizt gebrüllten Imperativ des Vaters oder dem freundlichen Interrogativsatz der ältlichen Nachbarin komplett entzieht und sich in unbewusster Nonchalance verliert. Christopher wandelt schon längst wieder durch seine eigene Welt und hat für seinen Vater Ed keine Zeit. Den mimt übrigens Nenad Subat als wohlwollend und auf eigene ruppige Art liebevoll, inklusive eines kleinen Aggressions- und Alkoholproblems. Christopher indes mangelt es gewaltig an Empathie, die er nicht vermisst (ziemlich praktisch), die ihm dafür selbst in Massen zu Teil wird (noch praktischer). Magdalena Oettl ist die überforderte Mutter, Judy, die angesichts der innerfamiliären Probleme irgendwann das Handtuch wirft und sich später mit Schuldvorwürfen plagt.
Janna Ambrosy eilt da bereits als Siobhan mit Ritterhelm Christopher höchst ritterlich zur Hülfe. Das scheint zwar nicht ganz stimmig, da aber offenbar ohnehin für die Dramatisierung eine größere Rolle auf einen Mini-Auftritt reduziert wurde, verwirrt die sogar in diesem Kontext etwas ungewöhnliche Kopfbedeckung und das sagenumwobene Schwert nur marginal. Die Mathematik-Prüfung entert die Metaebene und changiert zum Excalibur-Projekt. (Eine Freude für jede Ältere Literatur-Absolventin, da der Aventiure als solcher ohnedies gemeinhin zu wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird.)
Gelungen die Musik- und Lichtwechsel bzw. deren leitmotivischer Charakter zwischen den einzelnen Szenen, die das Publikum auf Wiedererkennung konditionieren und einfaches Differenzieren zwischen Jetzt-Zeit, Erinnerung und Planeten-Fantasien ermöglichen. Eine wahre Erleichterung ist dann der Umstand, dass in der theatralen Fassung von SUPERGUTE TAGE – dem Himmel sei’s getrommelt und gepfiffen – auf die mathematischen Beispiele und Christophers langatmige Exkurse aus Haddons Roman verzichtet wurden. Die sind nämlich durchaus entbehrlich.
Petra Schönwalds Inszenierung von SUPERGUTE TAGE ODER DIE SONDERBARE WELT DES CHRISTOPHER BOONE demonstriert recht anschaulich, dass Normalität immer im Auge des Betrachters liegt, stets hinterfragbar und sogar einen kleinen Krimi wert ist.
Übrigens schade, dass das Stück nur als Jugendstück geführt wird und somit meistens den Vormittagen vorbehalten ist. Das Abendpublikum verpasst da etwas, ziemlich viel sogar. 😉
Fotonachweis: Gregor Hofstätter // Schauspielhaus Salzburg
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