Nur mal eben kurz die Welt retten
Michael Ende hatte nicht nur einen Hang zu Alliterationen, sondern auch ein Händchen für fantastische Geschichten. Eine besonders märchenhafte Variante verzaubert aktuell am Schauspielhaus Salzburg.
Eine Welt ohne Fantasie? Das wäre eine ziemlich triste Angelegenheit. Zum Glück gibt es aber Menschen, die das Leben mit ihren Geschichten füllen. Zu eine der Produktivsten zählt Michael Ende: Während er in „Momo“ noch die Grauen Herren ins Rennen schickte, ging er ein paar Jahre später mit „Die unendliche Geschichte“ gleich noch einen Schritt weiter. Die Kindliche Kaiserin laboriert an einer geheimnisvollen Krankheit, die ganz Phantásien bedroht.
In aller Plot-Kürze
Bastian Balthasar Bux ist ein Junge ohne Freunde, der sich eines Tages vor seinen Schulfeinden in eine Buchhandlung rettet. Dort triff er einen grummeligen Ladenbesitzer und ein geheimnisvolles Buch, „Die unendliche Geschichte“. Als ihn der Büchermann vor die Tür setzt, steigt er zur nächtlichen Stunde wieder ein und verliert sich in der Erzählung. Die handelt vom gleichaltrigen Atréju in Phantásien, einer Parallelwelt, die von der mysteriösen Krankheit der Kindlichen Kaiserin bedroht wird. Atréju soll sie retten und ist auf die weltenübergreifende Hilfe von Bastian angewiesen.
Ein Fest für kreative Köpfe
DIE UNENDLICHE GESCHICHTE ist Vorlage für viele Interpretationen. Die werden vor allem dadurch befeuert, dass der Autor den Plot von Anfang an zur Bespielung durch die eigene Imagination freigab. Ein Fest für jeden kreativen Kopf! In Salzburg wurde der längst zum Klassiker avancierte Kinder- und Jugendstoff, an dem sich auch Erwachsene gerne abarbeiten, für die diesjährige Produktion der Schauspielhaus Schauspielschule (was für eine Alliteration lieber Michael Ende) aufgegriffen. Robert Pienz inszenierte sie mit den SchauspielschülernInnen der unterschiedlichen Semester als farbenprächtiges, fantastisches Märchen mit durchaus ernsten Zügen.
Fantastische Ausstattung
So schön und so fantastisch – tatsächlich ist die Inszenierung der UNENDLICHEN GESCHICHTE mit wunderbar bizarren, herrlich kreativen Kostüm-Kreationen gespickt (Ausstattung: Ragna Heiny); ganz egal ob Winzling Uckück auf der überdimensionale Rennschnecke, das umtriebige Irrlicht mit kleinem Lampenschirm vor dem Kopf, Nachtalb Wuschwusul mit Lichterkette unter dem halbdurchlässigen Vorhangstoff, dem riesigen Auge auf der Bühne oder einem großköpfigen Pärchen in der Manier von Philemon und Baucis: Die Produktion lässt keine märchenhaften Wünsche offen und setzt mit viel Liebe auf das kreative Detail. Dabei schöpft es aus dem unendlich Vollen der Vorlage, die die bereits erwähnte Märchen-Nähe weiter intensiviert: DIE UNENDLICHE GESCHICHTE speist sich aus den verschiedensten Mythologien. Da geben sich auch ägyptische Sphinxe und asiatische Glücksdrachen zu fein abgestimmten musikalischen Harmonien ein Stelldichein (Musik: Fabio Buccafusco).
Congratulations, you have reached the next level!
Bei so viel präziser Ausarbeitung fügt es sich hervorragend, dass die Bühnenbretter, die oft zitiert die Welt bedeuten, auch mit dem tatsächlichen Stoff unterfüttert sind. Teile der UNENDLICHEN GESCHICHTE bilden in bedruckter Version das soliden Fundament für ein fantastisches Salzburger Spiel. Wobei moderne Reminiszenzen wohldosiert Eingang finden: Atréjus Abenteuerreise durch die drei magischen Tore erinnert latent an ein Computerspiel – und bemüht auch den diese Spielzeit sehr aktuellen Halogen-Leuchten-Einsatz. Das mysteriöse südliche Orakel Uyulála wird mittels trendiger Videoprojektion an die Bühnenwand geworfen und setzt sich aus zwei oder drei Gesichtern der Darsteller zusammen, die zu einem genderlosen Ganzen oszillieren und weiter die Fantasie beflügeln (Video: Michael Winiecki, Licht: Marcel Busa).
Fuchurs Bad in der Menge
Wunderbare Leistungen liefert aber auch das junge Team auf der Bühne. Als Rabe, Pferd Artax oder Glücksdrache Fuchur schlüpft Nico Raschner in so ziemlich alle physisch sehr aktiven Fantasiekostüme – und zeigt jede Menge Affinität zum Detail. Schultert er als Artax noch Atréju und trabt kokett aus dem Raum, winkt er als Publikums-Liebling Fuchur mit dem beschuhten Bein in die Menge und genießt seine ‚drachige‘ Stage-Diving-Experience in vollen Zügen. In der Rolle von Atréju zeigt Jakob Kücher totalen Körpereinsatz – hier wird gerollt, gesprungen und gehechtet, was nur möglich ist. Trotz aller Köperbeherrschung verliert der Schauspielschüler aber nie sein Ziel aus den Augen: Als moglihafter Atréju stürzt er sich authentisch ins Spiel – und brilliert. Agnes Herrlein geistert in mehreren Rollen durch die Inszenierung, ob als Winzling auf der sagenhaften Rennschnecke (was für ein praktisches Haustier!) oder als wunderbare Urgl, mit überdimensionalem Kopf und humorigem Gang. Apropos! Ihre bessere Zweisiedler-Hälfte Engywuck legt Raphael Steiner entsprechend geisteswissenschaftlich entrückt an. (Man beachte auch die … um… Strickhose?!). Keifend fährt Urgl ihm immer wieder über den Mund. Adrett auch sein Buchhändler Koreander, mit beeindruckender Lupen-Vorrichtung und exzessiv gelebter Kinder-Antipathie. Als wahrlich irrlichterndes Irrlicht treibt es Corinna Bauer abgehackt, zappelnd über die Bühne, dass einem selbst ganz wirr im Kopf werden möchte. Wohingegen sie gelassen und über den Dingen stehend als Kindliche Kaiserin an Bastian appelliert. Den gibt Tim Erkert entsprechend verträumt. Dabei scheint er manchmal sogar selbst so gefesselt von der Story in dem herrlich leuchtenden Buch, dass er phasenweise auf das Umblättern vergisst… 😉
Vom Ende: Dem des Michaels und das andere
Und plötzlich ist er da, der Schluss. Tatsächlich kommt das Ende dann doch so unerwartet abrupt, dass es selbst Ende-Fans kalt erwischt, also die von Michael natürlich. Zum Glück wird aber auch dabei märchenhaft geklotzt und nicht gekleckert: Das finale Lichter-Glitzersetting darf sich durchaus sehen lassen und bildet den theatral-schönen Abschluss, egal ob vom Familienausflug oder erwachsenen Trip.
Fotonachweis: Jan Friese
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