Hamlet | Shakespeare | Landestheater Salzburg

Hamlet – Landestheater Salzburg

PLEASE, MR. GRAVEDIGGER.

Sein oder Nichtsein – in Salzburg premierte Alexandra Liedtkes HAMLET als wort- und bildstarke Tragödie im zeitgenössischen Kleid. Eine Inszenierung, die Lust auf mehr macht.

Shakespeares größter Fan? Vermutlich Aristoteles, der die Vorzüge der Tragödie schon zu grauer griechischer Vorzeit erkannte: Jammern und Schaudern, diesen Emotionen attestierte er größte, reinigende Wirkung – auch als Katharsis bekannt. Was der berühmte Philosoph einst befand, schrieb Theatergeschichte. In Shakespeare fand Katharsis einen Meister, der die Leidenschaften eleos und phobos perfektionierte. Sein „Macbeth“ gilt als Weltbilddrama, „Othello“ als häusliche Tragödie, in „Romeo & Julia“ geht’s um die tragische Liebe und in „Hamlet“? Geben sich alle Varianten ein illustres Stelldichein.

In aller Plot-Kürze

Hamlets Welt steht Kopf: Der Vater verstorben, die Mutter bereits wenig später mit Schwager Claudius verlobt. Als Hamlet dann noch der eigene Vater als Geist erscheint und ihm offenbart, dass ihn Claudius ermordert habe, schwört der königliche Filius Rache. Alleine, der Plan birgt seine Tücken und am Ende sind so ziemlich alle tot.

„Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt“

Der erste Vorhang fällt und Hamlet und die Trauergemeinde brüllen sich minutenlang die Seele aus dem Leib. Nach der Pause fällt der zweite, diesmal ist es Ophelia, die emotional ihren Vater betrauert. Hamlet | Shakespeare | Landestheater SalzburgEs sind (laut)starke Bilder, die die Tragödie rund um den dänischen Prinzen einleiten und das optimale Maß an Stimmung aus dem Stegreif beschwören. Klug wurde von Alexandra Liedtke (Regie) die mangelnde Moral von Gertrude (gelungen Britta Bayer mit starken Anne Wintour-Reminiszenzen) und Claudius (Christoph Luser wunderbar als doppelzüngiger Onkel) akzentuiert, wenn die Trauerfeier des Königs nahtlos in die Brautfeier des frisch getrauten Ehepaars übergeht. Die beiden können kaum die Finger von einander lassen; übermütig überhäufen sie sich mit stürmischen Zärtlichkeiten und schüren wenig subtil die Rage von Hamlet (Gregor Schulz). Die urige Blaskapelle schwenkt vom Trauermarsch zur Hochzeitshymne; lachend und grölend tönt das Geschrei der Feiergesellschaft durch die puristisch-soliden Bühnenwände, während Hamlet auf den Geist seines Vaters trifft.

Viva la Abstraktion

Für große Bilder sorgt auch die zum Glück so gar nicht naturalistische Bühne (Raimund Orfeo Voigt). Statt simpler Rekonstruktion bekannter Topografien setzt die Regie auf Abstraktion mit Anker im Zeitgenössischen. Die unterschiedlichen Elemente werden durch ihre Flexibilität zum herrschaftlichen Labyrinth und zur bespielbaren Seelenlandschaft. Die diversen Ebenen fließen nahtlos ineinander über. Bald sind Sein und Schein nicht mehr deutlich zu differenzieren. Hamlets gespielter Wahn vermischt sich mit echter Verzweiflung, Hamlet | Shakespeare | Landestheater SalzburgOphelias Leiden mit der Realität (Gregor Schulz & Genia Maria Karasek). Die Verankerung in der Moderne wird mit unschuldigem Weiß für Gertrude und Claudius persifliert und manifestiert sich nach der Hochzeit in unterschiedlichen Braun- und Gelbtönen – mit Ausnahme von Hamlet. Der trägt den Mantel des ermordeten Vaters und seine Trauer wird optisch großartig, aber unaufdringlich in den Vordergrund gerückt (Kostüme: Johanna Lakner). Interessantes Detail am Rande, die Handschuhe Claudius‘: Eine dezente Anspielung auf die stigmatisierten Hände des Mörders.

Verzweiflung und Ironie

Hamlet. Diese berühmten Fußstapfen füllt Gregor Schulz mit einer ganz eigenen Mischung aus großer Tragödie und ironischen Momenten. Sein dänischer Thronfolger ist ein junger Trotzkopf mit starkem Willen und menschlich-moralischen Zweifeln. Als ihm der tote Vater erscheint (Robert Zalmann als imposanter, blutgarnierter Geist mit Stimme aus dem Off), schwört er Rache. Gleichzeitig hadert er an späterer Stelle mit der väterlichen Forderung. Wunderbar arbeitet Schulz die Verzweiflung und die seelischen Konflikte des Prinzen heraus und krönt sie mit Ironie. So manches Mal ersetzt er dafür Hamlets Bühnensprache mit Interjektionen in Standard. Der lapidare Unterton entschärft oder spitzt die jeweilige Situation je nach Fasson pointiert zu. Ironie beherrscht auch Christoph Lusers Claudius und sorgt für Situationskomik, als er vom neuen Sohn schwärmt… dem großen – und ihn Gregor Schulz dabei um einen halben Kopf überragt.

In HAMLET tanzen die Puppen

Das musikalische Konzept von Alexandra Liedtkes HAMLET sorgt für weitere theatrale Glücksgefühle (Musik: Karsten Riedel). Düster verstärkt das Arrangement die Tragödie und akzentuiert homogen den modernen Charakter. HAMLET ist so aktuell wie nie und darf das auch mit stolz geschwellter Brust präsentieren. In die gleiche Kerbe schlägt das Puppenspiel von Simon Buchegger.Hamlet | Shakespeare | Landestheater Salzburg Wunderbar gibt er mit „Ach, ich hab sie verloren“ von Glucks Orpheus & Eurydike einen ersten Vorgeschmack auf Kommendes. Die shakespearische Variante der mittelalterlichen Bahrprobe, die den Mörder entlarven soll, ist kein Schauspiel, sondern ein Puppenspiel. Dafür schlüpft Buchegger ambitioniert von einer Figur in die nächste, dass die Leiter unter ihm bedenklich ins Wackeln gerät und bei allen Leidenschaften zum Glück doch nicht fällt.

O’zapft is!

Emotionen, Emotionen, Emotionen – HAMLET ringt auch Hanno Waldners Laertes die ganze Gefühlspalette ab, die aber sitzt. Währenddessen fällt Walter Sachers Polonius‘ effektvoll durch Hamlets Messerattacke hinter der Wand. Alleine, das Bühnenblut fließt an dieser Stelle nur sehr spärlich. Die Klinge unmittelbar nach dem Mord? Blitzeblank. Übrigens genauso wie das Hemd des eben Ermordeten noch blütenrein ist. Nur die Hände von Gertrude, die Hamlet für die Tat umklammerte, sind plötzlich mit Rot überzogen. Nach der Pause taucht bei Polonius die verspätete Wunde auf, allerdings ohne Einstichspuren. Ja, so ein Mordopfer hat’s nicht leicht. Dafür wandelt es sich in einen wunderbar schaurigen Totengräber, der einmal mehr Fiktion und Realität auf unheimliche Weise vermengt.Hamlet | Shakespeare | Landestheater Salzburg

Und Aristoteles lacht

Alexandra Liedtkes HAMLET demonstriert, dass große Tragödie selbst 400 Jahre später noch nicht tot gespielt ist – auch wenn sie längst Kulturgeschichte schrieb. Daran ändert auch ein massiver Strich nichts. Statt nach England verbannt zu werden, legt sich der royale Dänenspross direkt mit Laetes an. Vielleicht wollte die Regisseurin den Stoff durch die Raffung verträglicher machen. Das wäre allerdings nicht notwendig gewesen: HAMLET ist so kurzweilig und spannend, wie eine elisabethanische Tragödie nur sein kann – und darüber hinaus. Schließlich entfaltet der zeitlose Stoff von Liedtke gerade durch seine moderne Verankerung im Hier und Jetzt eine unglaubliche Stärke. Und die macht Lust auf mehr.

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger

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