Das Wort „Held“ leitet sich vom griechischen hḗrōs ab. Die „Heroen“ in der griechischen Mythologie sind zumeist Halbgötter, die entweder aufgrund eines göttlichen Elternteils oder exorbitanter Taten zwischen Göttern und Menschen angesiedelt wurden. Griechisches Heldentum bleibt aber nicht auf die männliche Spezies beschränkt, man denke an die kriegerischen Frauen: Amazonen, Riesinnen und weibliche Ungeheuer. Im Mittelalter entfällt der Aspekt des Transzendenten, des Göttlichen, mit heroischen Taten dürfen aber auch die Helden der mittelalterlichen Literatur glänzen. Frauen sind immer noch präsent, wenngleich der Fokus auf den maskulinen Taten liegt (ohne die Damen würde allerdings die Begründung für die zahlreichen und beinahe inflationär stattfindenden Aventiuren fehlen, die die Ritter so gerne unternehmen. Ganz zu schweigen davon, dass sie diese ohne weibliches Trickarsenal oftmals nicht überleben könnten). Eine der Lieblingsheldenserien meiner ersten Jahre war Batman; die uralte Variante, wo noch Schilder mit „BÄNG“ und „ZACK“ hochgehalten wurden und die Darsteller grundsätzlich in Strumpfhosen ähnlichen Ganzkörperanzügen herumtänzelten. Heutige Heldenserien sind absolut amerikanisiert und hauptsächlich von unglaublich schönen Menschen bevölkert, die man sehr einfach gegeneinander austauschen könnte, da sie sich ohnedies alle optisch verblüffend ähneln. Das legt den Verdacht nahe, dass sie den gleichen Schönheitschirurgen besuchen. Das wiederum ist nicht meine These, sondern die eines ehemaligen Mediävistik-Professors, der sich damals allerdings auf dentale Analogien berief.
Dann habe ich heute im Krankenhausflur mein neues Ideal entdeckt. Das setzt sich während des Wartens kerzengerade neben mich, nur um sich dann dafür zu entschuldigen, dass sie sich neben mich setzte, wo alle anderen, weiter entfernten Stühle auch noch frei gewesen wären. Aber nicht doch. Dann kommt sie ins Plaudern. „Sie“ ist eine ältere Dame und hier trifft das Wort „Dame“ wohl mehr zu denn je. Genau so stelle ich ihn mir nämlich vor, diesen Typus einer „Dame“. Geistig absolut fit und sehr freundlich erzählt sie mir von sich. Dass sie bereits 94 ist, trifft mich etwas unerwartet, wirkt sie doch energiegeladener als so manche 50jährige. Oder vermutlich auch 30jährige. Gleichzeitig strahlt sie eine unglaublich positive Energie aus. Das zieht an. Sie ist vor mir fertig und springt förmlich aus dem Wartestuhl auf. Beinahe scheint es so, als schwebe sie aus dem Raum, so leichtfüßig schreitet sie zum Ausgang. Als ich meinen Auftragsdienst beendet habe, treffe ich sie vor dem Eingang wieder, wo sie auf ihr Taxi wartet. Wir kommen neuerlich ins Gespräch und ich leiste ihr gerne Gesellschaft. Das Geheimnis ihrer beeindruckenden Agilität? „Turne bis zur Urne, denke bis zur Senke“, wie sie mir schelmisch grinsend mitteilt. Sie sei eine Turnerin, führt sie ihr Credo weiter aus, während ich noch immer über den Spruch schmunzle. Auch vor dem Krankenhaus steht sie mir kerzengerade gegenüber und lächelt mich freundlich an. Ich beginne sie wirklich zu bewundern. Diese Bewunderung steigert sich weiter, als sie mir erklärt, dass sie nebenbei auch noch ihren dementen Mann betreut. „Nebenbei“ bedeutet neben ihrer Chemotherapie, in die sie, so ihre Vermutung, hineingetrickst wurde, weil sie das freiwillig nicht mehr hätte machen lassen. Langsam sei es an der Zeit zu gehen, das habe sie auch den Ärzten erklärt. Ihr Mann sei allerdings ein ganz lieber, fährt sie weiter fort, so als müsse sie sich selbst rechtfertigen. Leicht resigniert hält sie dann aber doch noch fest, dass sie ihn vermutlich nicht mehr lange weiter betreuen könne; sie habe ja jetzt noch 6 Wochen Therapie vor sich. Die Ärzte haben ihr zudem mitgeteilt, dass mit Voranschreiten des Prozesses alles schwieriger wird. Trotzdem versprüht sie diese unglaublich optimistische Energie. Gerade als ich dem noch einmal Nachdruck verleihen möchte, kommt ihr Taxi. Schnell aber herzlich verabschieden wir uns. Und ich fühle mich irgendwie bereichert. Außerdem bestätigt. Die 94jährige Dame ist mein neues Vorbild und meines Erachtens auch eine unauffällige, bescheidene und ziemlich freundliche Heldin.
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