Anger-Management für Poseidon
Mozarts IDOMENEO am Landestheater in Salzburg: Ein lyrisch-schöner Opernabend.
Das antike Griechenland war selten so lebendig wie dieser Tage. Am Landestheater in Salzburg steht in der Sparte Schauspiel die ILIAS auf dem Programm. Opernfreund*innen hingegen dürfen sich über Mozarts Dramma per musica in drei Akten IDOMENEO, RÈ DI CRETA freuen.
Es ist die Zeit nach der Zerstörung Trojas. Auf seiner Heimreise gerät der kretische König Idomeneo in einen gefährlichen Sturm. Um Meeresgott Poseidon zu besänftigen, verspricht er ihm das erste Lebewesen, das ihm begegnet. Wie es der Zufall will, ist das just sein eigener Sohn Idamante. Um ihn zu verschonen, schickt ihn Idomeneo deshalb lieber präventiv mit Elettra, der Rivalin von Idamantes Angebeteter Ilia, auf eine Insel. Ob er damit den allwissenden Poseidon wirklich zu überlisten vermag?
Nüchtern, klar und trotzdem klassisch
Mozarts lyrische Oper feierte bereits 1781 im Cuvilliés-Theater München seine Uraufführung. Für Salzburg stattete Arila Siegert IDOMENEO mit einer feinen Mischung aus Moderne und klassischen Reminiszenzen aus. Das Bühnenbild ist puristisch klar; in der Mitte der variabel verschiebbaren Hauptwand prangt ein kreisförmiger Ausschnitt, der Ausguck, Einblick und Durchblick symbolisiert, kurzum das Licht der Aufklärung. Gleichzeitig könnte das Loch im Platfond für das alles sehende göttliche Auge des Poseidon stehen. Die visuelle Chiffre unterstützt demnach die Allmächtigkeit der griechischen Heroen, die – mag man*frau den episch-antiken Stoffen Glauben schenken – Menschen gerne als ihre Schachfiguren nutzen. Poseideon selbst bleibt naturgemäß für das Zuschauer*innen-Auge unsichtbar (griechische Götter*innen zeigen sich schließlich nicht jedermann*frau). In Poseidons Oberpriester findet die göttliche Instanz allerdings adäquaten menschlichen Ersatz, der dezent, würdevoll und majestätisch alle Blicke auf sich ziehend durch die Szenen schreitet (Franz Supper). Nüchterne, erdige Farbtöne und klare Schnitte übertragen die Antike in die Moderne und finden sich auch in den Kostümen wieder.
Lyrisch-schöne Ensemble-Darbietungen
Der Tenor Clay Hilley opferte die Weihnachtsfeiertage im heimischen Amerika, um als Vertretung für den leider noch immer erkrankten Idomeneo Christoph Strehl einzuspringen. Das gelingt C. Hilley ganz vorzüglich. Klar und prägnant die Stimme, verzweifelt der Ausdruck, wenn der Vater mit dem grausamen Schicksal hadert, das ihn in die biblischen Fußstapfen des Abrahams treten lässt. Als Idamante rückt Rowan Hellier in die Nähe eines schon etwas älteren Isaaks. Hin und her gerissen zwischen Müssen und Wollen, befindet sich ihr Idamante im Dauerkonflikt, allerdings mit Wohlfühlgarantie (Mozart sei’s gedankt). Davon kann Elettra (Meredith Hoffmann-Thomson) als Agamemnons Tochter nur träumen. Die Figur entwickelt eine gefährliche Obsession zum kretischen Frauenschwarm, die an Stalkertum grenzt. Nun ja, vermutlich überschreitet sie diese feine Linie bereits, wenn sie dem königlichen Filius hartnäckig nachstellt. Den furios-leidenschaftlichen Ausdruck lässt M. Hoffmann-Thomson großartig in ihren stimmlichen Ausdruck einfließen. Ganz anders hingegen Ilia, die sanfte und liebenswerte trojanische Prinzessin, die vor den Trümmern ihrer Stadt steht. Lavinia Bini verleiht ihr eingangs einen geradezu mädchenhaften Charme, der sich langsam in Willensstärke manifestiert und schließlich darin kulminiert, sich für den ehemaligen Feind zu opfern. Dass das voller vokaler Leidenschaft und Inbrunst gelingt und berührt, dafür sorgt L. Binis Interpretation.
Geballte Chor-Power
Starke Momente sind neben der wunderbaren Orchestrierung (das Mozarteumorchester unter der Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla, Cembalo: Ayala Rosenbaum) vor allem auch durch die Chor-Passagen garantiert. Eindrücklich und fulminant inszenierte A. Siegert diese Auftritte und verleiht IDOMENEO gerade dadurch eine zusätzlich künstlerische Note. Bühnenbild, Choreographie und Gesang verschmelzen zu einem großen Gesamtkunstwerk, wenn Idomeneo sein Unglück besingt. Gleichzeitig schneiden einzelne Chormitglieder, von videoanimierten Wellen geflutet, als anthropomorphisiertes Element mit Schwertern die Luft. Das Meer zürnt dem kretischen König. Darunter leidet auch das Volk. Schmerzgeplagt und verwundet schleppt es sich im Hintergrund die Stufen hinauf. Dort legt es sich pittoresk leidend danieder und wird zum symbolischen Mahnmal für den verzweifelten Vater und egoistischen König.
Die bereits erwähnten klassischen Reminiszenzen entfesselt nicht nur das antike Sujet, sondern im Besonderen auch A. Rosenbaum. Mit ihrem großartigen Spiel auf dem Cembalo lädt sie zu einer kleinen Reise in das 18. Jahrhundert ein und schlägt elegant die Brücke in die Epoche zwischen altem Griechentum und Moderne.
Die Moral und IDOMENEO
Politik und Religion spielten zu Mozarts Zeiten eigentlich noch keine große Rolle, wohl aber die Diskrepanz zwischen der Pflicht gegenüber den Göttern und die Treue zu den Menschen. IDOMENEO ist neben seinen wunderbar lyrischen Klang-Passagen also auch eine kleine Tugendlehre. Unter A. Siegerts Regie-Zepter rückt der vormals nicht vorhandene politische Aspekt in den Fokus. Das Volk als Flüchtende, das Volk, das lautstark seine Wünsche kundtut und nicht übergangen werden kann.
Das zusätzliche Ende, das sich die musikalischer Ausnahmeerscheinung leistete, ist dafür in seiner alten Pracht vorhanden. Dafür sind wir dem Kompositeur und der Regisseurin wirklich dankbar. Wir lieben nämlich Happy Ends. 😉
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Schauspielhaus Salzburg
by