Jenny Jannowitz oder Der Engel des Todes | Taro Ebihara

Jenny Jannowitz oder Der Engel des Todes – OFF Theater

Neurosen Wildwuchs: Das Salzburger OFF Theater inszenierte mit „Jenny Jannowitz oder Der Engel des Todes“ ein rasantes Spiel, das vor schwarzem Humor trieft und die Problematiken unserer Zeit ins Visier nimmt. Stress lass nach!

Dort, wo die Neurosen wuchern, ist Karlo Kollmar ganz in seinem Metier. Der leicht depressive IT-Spezialist hat den ganzen Winter verschlafen, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Stattdessen wird Kollmar von seinem Chef Dr. Pappeldorn zur Belohnung in den Urlaub geschickt, und auch sonst verhalten sich alle merkwürdig. An den Namen seiner Freundin kann sich Karlo nicht mehr so recht erinnern, und wer ist eigentlich Jenny Jannowitz? Diese Frau, die ihm ständig über den Weg läuft, wenn er von Termin zu Termin taumelt und weitere Jahreszeiten versäumt.

Der Wink mit dem Zaunpfahl war gestern, heute zieht „Jenny Jannowitz“ dem Publikum eins mit dem Empire State Building über. Dafür greift das OFF Theater Salzburg in der Regie von Alex Linse die Kafka-Parallelen von Michel Decars Stück auf und intensiviert sie genüsslich auf allen Ebenen (Dramaturgie: Jonas Meyer-Wegener, Ausstattung: Lara Brandstätter, Ton/Licht & Soundscape: Constantin Wonisch). Die ungesunde Gesichtsfarbe und betonten Augen der Schauspielerinnen und Schauspieler spiegeln die Hektik der modernen Gesellschaft. Zugleich verleiht sie der Inszenierung einen Filter, der bisweilen an Schwarzweißfilm denken lässt. Gefangen im Hamsterrad der Zeit, gibt es für sie keinen Ausweg mehr. Noch bleicher kommt nur Jenny Jannowitz (Jenny Szabo) daher. Ihre Schauspielerin hält sich dafür dezent im Hintergrund. Wenn die Figur spricht, dann leise, bedacht, in knappen Sätzen, aber mit ordentlich Wumms. Es ist ja eigentlich auch schon alles gesagt. Leicht verwundert scheint der Todesengel nur, dass Karlo Kollmar so lange braucht, um zu begreifen.

Jetzt bloß nicht am eigenen Lachen ersticken

Das temporeiche Spiel beherrschen Anja Clementi, Diana Paul und Tom Pfertner. Als Trinität des modernen Grauens verkörpern sie in rasantem Spiel Dr. Pappeldorn und Sybille (die aber auch Sabine oder Sabynne sein könnte) sowie sämtliche andere Rollen. Dass ihnen dabei nicht schwindlig wird, ist erstaunlich und für das Publikum vor allem im ersten Teil humorig. Alex Linse entwickelte mit dem Ensemble ganze Choreografien, die nahtlos ineinandergreifen und die Trinität zu einer Figur verschmelzen. Daraus entsteht ein unberechenbares, janusköpfiges Wesen, das Karlo Kollmar noch mehr in den Burn-out treibt. Tatsächlich ist es die Zeit, die so schnell an dem gestressten ITler vorbeizieht. Da kann es schon mal passieren, dass man eben noch 24 war und dann schon stramm auf die 33 zusteuert.

Jakob Kücher gibt Karlo Kollmar in roter Adidas-Jogging-Kluft und sehr gelungener Nonchalance (Ausstattung: Lara Brandstätter). Liebenswürdig verpeilt kann die Figur selbst nicht so recht begreifen, wie ihr eigentlich geschieht. Und während das Publikum noch lacht, läuft es Gefahr, dass ihm das Lachen demnächst in der Kehle stecken bleiben könnte. Die existenzielle Krise wird immer greifbarer, und das kafkaeske Schwindelgefühl der schnellen Handlung springt vom Neurosen gebeutelten IT-Menschen auf das Publikum über. Identifikation? Läuft!

Get moving: „Jenny Jannowitz“

Sehr gelungen auch das reduzierte Bühnenbild mit eigenem Fitnessparcours (Alex Linse/Jonas Meyer-Wegener). Elegant und behänd verschwinden Menschen unter dem Podest, gleiten ins Schwarze oder schieben Gegenstände hindurch. Es ist ein Geben und Nehmen, das hier stattfindet und den Raum auf kluge Weise ausweitet. Das Streben nach Selbstverwirklichung kann in diesem Tempo nicht gut ausgehen. Tut es auch nicht. Allerdings kommt es am OFF Theater gleichzeitig mit so viel schwarzem Humor und düsteren Pointen daher, dass man es dem Leben auch nicht so recht übel nehmen kann. Sollte man aber vielleicht, warnendes Beispiel und so.

 

Fotonachweis: Taro Ebihara

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